Nachts um halb zwölf am Münchner Hauptbahnhof. Auf Gleis 12 drängen sich Reisende mit Ziehkoffern und Reisetaschen in allen Größen. Hier ein Abschiedskuss, da ein flüchtiger Blick auf die Bahnhofsuhr. Der EuroNight in Richtung Südosteuropa steht abfahrbereit. Bald wird sich der Zug durch die Nacht in Richtung Budapest schieben.
Budapest, die Schöne an der Donau, die Hauptstadt Ungarns, kulturelles Zentrum für rund zehn Millionen Landsleute. Die Stadt, die gleichzeitig Regierungssitz ist, macht derzeit eher mit Finanzkrise, Inflation und drohender Staatspleite auf sich aufmerksam als mit touristischen Sehenswürdigkeiten. Doch nach wie vor ist sie Ziel zahlreicher Reisender aus Europa und Übersee.
Wer nur ein Wochenende Zeit hat, für den ist eine Fahrt mit dem Nachtzug nach Budapest eine praktische Option. Und wer sich auf der Reise in Nostalgie hüllen möchte, der kommt um den Nachtzug nicht herum. Die Wägen der ungarischen Zuggesellschaft MÁV-START, die Mitte der 90er Jahre gefertigt wurden, haben noch das heimelige Interieur, das man von früheren Zugreisen kennt. In den Sechser-Abteilen der Sitzwägen machen es sich die Reisenden auf federnden Polstersitzen bequem. Wer keinen Nachbarn hat, legt sich quer über drei Sitze. Das Licht ist gedimmt, auf die Stationsansagen verzichtet das Zugpersonal in der Nacht. Das gleichmäßige Rattern und Schaukeln des Zuges wiegt die Reisenden im Sitzwagen immer wieder in den Schlaf.
Nur ab und zu wird die Tür aufgerissen. Dann zeichnet sich die Silhouette eines Schaffners ab. In den Sitzwägen kontrollieren die Zugbegleiter, die jeweils an der Grenze wechseln, regelmäßig die Fahrkarten. Die Reisenden in den Liege- und Schlafwägen dürfen durchschlafen. Grenzkontrollen gibt es wegen des Schengener Abkommens schon seit Jahren keine mehr.
Der Nachtzug nach Budapest ist Treffpunkt für Menschen verschiedenster Länder und Kulturen. Ein junger Mann aus Indien erklärt, dass er auf dem Weg von Italien nach Österreich sei, um dort einen Job zu suchen. Eine junge Frau erzählt, sie steige in Budapest um. Sie muss noch weiter in ihre Heimat Rumänien. Und ein Herr, der kein Englisch versteht, schreibt kyrillische Zeichen in ein Büchlein.
Über Salzburg, Wien und Györ geht die Reise. Die durchschnittliche Auslastung des Nachtzuges pro Jahr liegt bei 50 Prozent, weiß Péter Sinka, International Service Manager bei MÁV-START. Während zu Oktoberfestzeiten bis zu 70 Prozent der Plätze belegt sind, sind es im Januar und Februar nur etwa 30 Prozent. Gut für die Reisenden, die günstig reisen möchten, aber trotzdem Platz zum Schlafen haben wollen.
Wenn der Zug im Morgenlicht die Stadtgrenze von Budapest erreicht und sich seinen Weg durch Industriegebiete, Wohnviertel und Geschäftszentren mit verglasten Häuserfronten bahnt, herrscht im Zug wieder Betriebsamkeit. Die karge Landschaft mit den farblosen Dörfchen, die noch kurz zuvor in die Fenster gestarrt hat, scheint vergessen. In Budapest sind Wachstum und Aufbruch spürbar. Keine Spur von Finanzkrise.
Budapest als solches existiert seit der Zusammenführung der Städte Buda, Óbuda (westlich der Donau) und Pest (östlich der Donau) 1873. Auf der hügeligen Buda-Seite wartet die Metropole mit einem malerischen Burgviertel auf, die flache Pest-Seite lockt mit trubeligen Boulevards, schicken Caféhäusern und szenigen Läden.
Wer in Budapest viel sehen, aber wenig Geld ausgeben möchte, für den tun sich unzählige Möglichkeiten auf. Reisende, die von der Nacht im Zug gerädert sind, sind mit einem Besuch in einem der vielen Thermalbäder sicherlich gut bedient. In Budapest wird die Badehauskultur groß geschrieben. Kein Wunder, denn die Stadt besitzt unzählige Heilquellen. Wer allerdings noch Kraft übrig hat, der sollte es nicht versäumen, die Stadt ausgiebig zu erkunden – entweder auf eigene Faust oder mit einer geführten Tour.
Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt sind mit etwas Ausdauer zu Fuß zu erreichen. Das hat sich eine Gruppe junger Budapester zu Nutzen gemacht. Die kostenlosen Stadtrundgänge, die sie in englischer Sprache anbieten, führen vorbei an der St.-Stephans-Basilika über die berühmte Kettenbrücke hinauf zum Burgviertel mit Blick auf das Parlament und die kleinen Karpaten.
Endre Ozsváth ist einer der Stadtführer der so genannten „Budapest Free Walking Tours“. An etwa fünf Tagen pro Woche führt er Touristen aus aller Herren Länder durch Budapest. Erst 24 ist er, aber seine Gruppe hat er fest im Griff. An Scherzen spart er nicht. Stadtführungen sollen ja unterhaltsam sein, sagt er. Auch stellt er seinen Gästen immer wieder einfache Denkaufgaben zur Tour. „Ich möchte den Leuten zeigen, dass sie mehr wissen als sie sich zutrauen“, sagt er und grinst. „Na, schaffen wir es, zusammen zehn berühmte Ungarn aufzuzählen?“
Am Nachmittag, der Rundgang ist eigentlich schon zu Ende, führt Endre alle Hungrigen noch in eine Kantine, wo ungarische Spezialitäten zu günstigen Preisen aufgetischt werden. Direkt gegenüber dem Hilton-Hotel auf dem Burgberg liegt sie, nur über eine unscheinbare Tür in einer Hofeinfahrt zu erreichen. Die Gruppe ist froh, Endre und seine Helfer dabei zu haben. Alleine könnte niemand die ungarischen Zungenbrecher für Krautwickel und Hackfleisch übersetzen.
Am Abend, wenn sich die Dunkelheit über die Stadt legt, verwandelt sich Budapest in ein strahlendes Lichtermeer. Wer bei diesem Anblick nicht noch einmal großen Augen bekommt, hätte sich wohl doch erst einmal in den heißen Quellen ausruhen sollen. In jedem Fall aber ist die erste Nacht in Budapest eine erholsame – auch wenn der ein oder andere vielleicht doch ein wenig das Schaukeln des Nachtzuges vermisst.
Tipps zum Trip
Information: Ungarn Tourismus, Wilhelmstraße 61, 10117 Berlin; Tel. (00 800) 36 00 00 00. Internet: www.ungarn-tourismus.de Nachtzug: Vom Münchner Hauptbahnhof fährt täglich ein Nachtzug ohne Umsteigen nach Budapest (Keleti pályaudvar – Ostbahnhof). Die Fahrtzeit beträgt etwa neun Stunden. Reisende können im Sitzwagen mit Sechser-Abteilen, im Liegewagen (Vierer- oder Sechser-Abteile) oder im Schlafwagen (Abteile für eine bis drei Personen) fahren. Die günstigsten Fahrkarten gibt es ab 39 Euro. Bei Reisen im Sitzwagen ist kein Zusatz-Service enthalten, im Liegewagen werden Bettzeug und Weckservice gestellt. Im Schlafwagen reist man in einem einfachen Bett. Dazu gibt es eine Waschgelegenheit im Abteil, einen Weckservice und einen Snack. Übernachtung: Wer eine preiswerte Unterkunft und den Kontakt zu jungen Reisenden sucht, ist am besten in einem Hostel aufgehoben. Empfehlenswert ist das Big Fish Hostel in der Straße Erzsébet körút. Es liegt in Gehreichweite zur Altstadt und zum Ostbahnhof. Übernachtet werden kann in Doppelzimmern (um 20 Euro pro Person) oder in Mehrbettzimmern (ab 15 Euro pro Person). Auf der Buchungswebsite www.hostelworld.com ist das Big Fish Hostel das von den Reisenden am besten bewertete Hostel in Budapest. Stadtführung: Kostenlose Stadtführungen in englischer Sprache bietet „TRIPTOBUDAPEST – Free Budapest Walking Tours“ an. Zweimal täglich geht es auf einen zweieinhalbstündigen Rundgang zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Wer mag, gibt ein Trinkgeld. Detaillierte Informationen zu den einzelnen Touren: www.triptobudapest.hu Partyszene: Die Kreativ- und Partyszene in Budapest ist fast legendär. Die User von www.lonelyplanet.com haben zwei Budapester Bars unter die drei besten der Welt gewählt: das „A38 HAJO“ (www.a38.hu/en/) ist ein altes Schiff auf der Donau mit täglich Live-Musik. Und die Ruinenbar Szimpla Kert (www.szimpla.hu/budapest/home) befindet sich in einem verlassenen Mietshaus – Eintritt frei bei allen Konzerten. Die Ruinenkneipen sind überhaupt ein Charakteristikum der Budapester Kneipenszene (www. ruinpubs.com). Sparty-Time: Eine Spezialität in Budapest sind „Spartys – Partys im Spa“. Wenn zwischen Heilwasser und Liegestühlen gefeiert wird, verwandelt sich das historische Thermalbad Széchenyi mit Lasershows, Akrobatik, Lichteffekten, Videos, Filmen und Musik in eine Partylocation. Gefeiert wird in Bikini und Badehose – ein Abstecher ins Thermalwasser ist möglich (www.sparty.hu). Währung: Ungarn gehört zwar zur Europäischen Union EU, nicht aber zur Währungsunion. Bezahlt wird mit deshalb mit Forint (HUF). Sie können Geld bequem vor Ort umtauschen. Vielerorts wird auch der Euro als Zahlungsmittel akzeptiert, Wechselgeld wird aber in Forint ausbezahlt. Ein Euro entspricht etwa 313 HUF.