
Der Blick von Eggerstanden in Richtung Säntis ist grandios: Zwischen milden Hügeln ragt das 2500-Meter-Massiv empor. Wir sind mit dem Rad im Appenzellerland unterwegs. Die Anfahrt vom gut 100 Höhenmeter weiter unten gelegenen, gleichnamigen Hauptort ist entspannt. Mit Unterstützung des vollgeladenen Akkus unserer Elektrofahrräder kann man locker bergauf radeln und dabei die Landschaft genießen – Strampeln a la Tour-de-France-Bergetappe sieht anders aus. Und das ist gut so. Schließlich will nicht jeder auf zwei Rädern gleich Rekorde brechen.
Sie kommt nur schwer in Schwung – die E-Mobilität auf vier Rädern. Ganz anders beim Zweirad: E-Bikes boomen, gerade in bergigen Regionen wie der Schweiz. Denn wer täglich zur Arbeit oder zum Einkaufen mit dem Rad unterwegs ist – und nicht verschwitzt ankommen will –, der setzt hier oft auf die Unterstützung per Akku. Das haben sich auch die Touristikplaner im Appenzellerland zunutze gemacht und bieten E-Bikes zum Leihen an. Auch als geplante Tour – als „Kulinarische E-Bike-Tour“ inklusive mehrerer Essensgänge in verschiedenen Gasthöfen am Weg.
„Ihre Bewegung – öseri Spezialitäte“ heißt das regionale Motto. Und Spezialitäten („Leckerli“) gibt es im Appenzellerland reichlich. Die Rohwurst Pantli etwa, die Mostbröckli, gepökeltes und geräuchertes Rindfleisch oder die Chääs-chnöpfli, das sind Spätzle mit Käse. Die alpin geprägte Küche ist, man ahnt es, ein wenig deftig. Das gilt natürlich auch für den Appenzeller Exportschlager, den lokalen Bergkäse in verschiedenen Reifegraden. Probieren kann man ihn bei einer E-Bike-Tour in spezialisierten Läden oder auch in der Schaukäserei im kleinen Ort Stein zum Beispiel.
Und so hat eine E-Bike-Tour durchs Appenzell fast immer auch eine kulinarische Komponente. Überhaupt ist ein Tag mit dem E-Bike gerade für die Über-50-Generation eine schöne Gelegenheit, sich mal wieder aufs Rad zu schwingen – und das in einer landschaftlich beeindruckenden und verkehrsarmen Region. Der Umgang mit dem Fahrrad erweist sich dabei übrigens als völlig unkompliziert. Schließlich handelt es sich um ein ganz normales Fahrrad, nur eben eines mit einem Akku und einem Elektromotor. Je nach Gusto und Fitness des Fahrers lässt sich ein passender Unterstützungsmodus dazuwählen. Selbst wenn der Weg oder die Straße ordentlich ansteigen, pedaliert man einfach in der gewohnten Frequenz und Trittstärke weiter. Das E-Bike glättet alle Passagen – und sorgt so stets für ein entspanntes Dahinrollen.
Bewegen muss man sich dennoch, nur eben nicht unbedingt allzu sportlich. Aber das wollen die meisten der E-Bike-Tour-Kunden auch nicht unbedingt. Der Genuss steht im Vordergrund. Auf eines aber sollte man trotz mehrerer Wechselstellen achten – auf einen gut geladenen Akku; denn ohne jede Elektrohilfe ist das Radeln mit den sehr schweren Rädern dann doch arg mühsam.
Das Appenzellerland erweist sich als perfektes Kurzreiseziel. Von Nordbayern in dreieinhalb Autostunden zu erreichen, bietet es eine perfekte Berglandschaft im Kleinen. Nach der Anfahrt aus dem Rheintal öffnet sich hinter dem kleinen Ort Gais ein Blick wie aus dem Bilderbuch: eine mild-hügelige Landschaft mit dem mächtigen Alpsteinmassiv und dem Säntis als höchstem Gipfel als Abschluss im Süden. Die beiden Halbkantone des Appenzellerlands – Innerrhoden und Außerrhoden – umfassen gerade einmal die doppelte Fläche des Stadtgebiets Würzburg. Allerdings leben nur etwa 16 000 Einwohner in den Streusiedlungen mit den hübschen Holzhäusern und den kleinen Ortschaften – die Hälfte der Einheimischen sorgt aber alleine im bezaubernden Hauptort Appenzell für ein gewisses städtisches Flair. Das Urteil steht: Falls es in den Alpen so etwas wie die perfekte Mini-Urlaubslandschaft gibt – ohne allzu heftige Extreme, dafür aber mit einer Art heimelig-alpinem Lummerland-Charme – dann ist es wohl das kleine Appenzellerland.
Bei so viel Lob muss es doch auch was Negatives geben, oder? Wenn, dann ist es wohl das Preisniveau. Für Schweizer Verhältnisse ist das Appenzell sicher nicht besonders teuer, für deutsche Einkommen eher doch. Da hilft die „Appenzeller Ferienkarte“ dann schon. Die bekommt jeder, der mindestens drei Tage in einem der teilnehmenden Hotels übernachtet. Und dann sind Busse, die regionale Eisenbahn und jeweils eine Berg- und Talfahrt mit den Bergbahnen (Ausnahme: der Säntis) kostenlos.
Gerade von oben offenbart das Appenzell den Reiz seiner Lage – eingeklemmt zwischen dem Bodensee im Norden und den Schweizer Alpen im Süden. Und wer am Hohen-Kasten-Gipfel steht, der kann sogar ins fast 1500 Meter tiefer gelegene Rheintal und hinüber nach Vorarlberg schauen. Die für Alpenverhältnisse relativ geringe Höhe der meisten Appenzeller Gipfel und Wege macht die Region zu einem heißen Tipp für herbstliche E-Bike- und Wandertage: Selbst ein langes Wochenende reicht für viele schöne Touren – etwa auf die sanfte Kuppe des Kronbergs mit seiner tollen Aussicht auf den Säntis. Oder wie wär's mit einer Wanderung zu einer gesamtschweizer Kultstätte: dem Äscher. Das historische Berggasthaus klebt förmlich über dem tiefdunklen Seealpsee am Fels unterhalb der Ebenalp, im Hintergrund das mächtige Alpsteinmassiv. Gäbe es eine Top10-Liste der schönsten Alpenplätze, das auch gut per Bergbahn zu erreichende Äscher wäre darin vertreten.
Und so macht man sich nach ein paar Tagen im Appenzellerland doch sehr erholt auf den Heimweg. Um einige Franken ärmer zwar, aber auch um viele schöne Eindrücke reicher. Und der Gedanke, sich vielleicht doch zu Hause ein E-Bike anzuschaffen, hat neue Nahrung bekommen. Spätestens beim ersten Bissen in den mitgebrachten Käse.
Tipps zum Trip
Anreise: Mit dem Auto Anfahrt über die A7 und A96 in Richtung Bodensee. Benutzt man die österreichische Autobahn inklusive des renovierten Pfändertunnels braucht es allerdings ein 10-Tages-„Pickerl“ (8,30 Euro). Immerhin aber lässt es sich so in dreieinhalb Stunden entspannt und in der Regel auch ohne Stau nach Appenzell rollen. Die Bahnverbindung ist leider sehr umständlich. E-Bike-Tour: Die „Kulinarische E-Bike-Tour“ (geht über 46 Kilometer) kostet inklusive Fahrradmiete, Helm und Vier-Gang-Menü, dessen Gänge man auf unterschiedliche Etappen und Gaststätten verteilen kann, immerhin 111 Franken, das sind rund 90 Euro. In der empfehlenswerten Appenzeller Ferienkarte ist neben Nahverkehr und Bergbahnen ebenfalls eine Tagesmiete für ein E-Bike eingeschlossen.
Preisbeispiel: Drei Übernachtungen mit Frühstück in einem 3-Sterne-Hotel wie dem sehr angenehm geführten Hotel Hecht mitten im Hauptort Appenzell kosten inklusive der beschriebenen kulinarischen E-Bike-Tour und der Appenzeller Ferienkarte in einem Paket 333 Franken pro Person, das sind rund 270 Euro. Rechnet man die üppigen Mobilitätsleistungen heraus, ergibt sich ein durchaus moderater Übernachtungspreis.
Informationen allgemein: Appenzellerland Tourismus, Beratung unter: CH-9050 Appenzell, Hauptgasse 4, Tel. (0041 71) 788 96 41.
info@appenzell.ch oder: www.appenzell.ch