
Es könnte ein riesiges Kristallstück sein, das aus dem All auf die Erde gefallen ist, dort von einer Eisenstruktur aufgefangen wurde und in dessen gläserner Oberfläche sich nun der blaue Himmel widerspiegelt. Oder ist es die Nachbildung einer Wolke mit zackigen Konturen? „Jeder sieht etwas anderes in dem Bauwerk, aber sicherlich ging es den Architekten um die Idee des Himmels“, sagt Museumsführerin Marie-Alice Groult.
Als eines jener ultramodernen Gebäude, die mit konventionellen Stilrichtungen brechen, ragt das Musée des Confluences an jener Stelle in die Luft, wo Lyon eine Halbinsel bildet, sich die Saône in die Rhône wirft und beide Flüsse zusammenströmen – genau das bedeutet das Wort „confluence“: zusammenfließen, einmünden. Gestaltet hat es das österreichische Architektenbüro Coop Himmelblau.
Ein Museum zum Nachdenken
Seit seiner Eröffnung im Dezember 2014 hat das Museum, das sich mit Wissenschaft, Anthropologie und Ethnologie auseinandersetzt, mehr als zwei Millionen Besucher angezogen. Es präsentiert nicht nur Ausstellungsstücke wie das älteste Dinosaurier-Skelett Europas oder ein Stück Mond zum Anfassen, sondern will auch zum Nachdenken anregen. Etwa über das Leben und den Tod, die Geschichte des Menschen und seine Rolle auf der Erde.
Nicht zufällig entstand das optisch und programmatisch zukunftsweisende Museum an diesem Ort und in diesem Vorzeige-Viertel von Lyon, das ebenfalls „Confluence“ heißt. Die ostfranzösische Stadt gilt als die vielleicht dynamischste Regionalmetropole des Landes und Confluence als exemplarisch für ihren städtebaulichen Ehrgeiz. Vermieden es die Lyoner lange, in dieses einstmals finstere Industriegebiet zu kommen, begann dort 2003 ein Erschließungsprojekt, in dessen Zuge bis 2018 auf 150 Quadratmetern Büro- und Wohnräume, Verwaltungsgebäude, Restaurants und ein Einkaufszentrum entstehen. Renommierte Architekten wie Herzog & de Meuron oder Jean Nouvel verewigten sich, aus zwei ehemaligen Gefängnissen wurde ein Uni-Campus.
Drei Energie-Gebäude, erbaut dank einer Partnerschaft mit Japan, erzeugen mehr Strom, als sie verbrauchen. Hatte das Städtebau-Projekt noch der frühere Bürgermeister und Premierminister Raymond Barre angestoßen, so führte es in den letzten Jahren Gérard Collomb weiter, der derzeit sein Amt als Rathauschef ruhen lässt, weil Präsident Emmanuel Macron ihn zum Innenminister gemacht hat. Der 70-jährige Sozialist gehörte zu dessen ersten wichtigen Unterstützern.
In Lyon ist man stolz auf Collomb, der das Image entscheidend verändert hat – von dem einer bürgerlich-miefigen Stadt zu dem eines innovativen und wirtschaftlich attraktiven Regionalzentrums, das vormacht, wie die Übermacht von Paris relativiert werden kann. Auch politisch gilt Lyon als Vorreiter, denn bereits Ende 2012, noch vor der Territorialreform, die die französischen Départements neu aufteilte, einigten sich Collomb und der damalige Generalrats-Präsident Michel Mercier auf eine neue Organisationsstruktur, um die städtischen und ländlichen Bezirke zu trennen. So entstand Frankreichs erste „Euro-Metropolregion“ mit rund 1,4 Millionen Einwohnern, die in Sachen Attraktivität seit mehreren Jahren Spitzenpositionen in internationalen Rankings erreicht.
Immer mehr Unternehmen siedeln sich im zweitgrößten Wirtschaftsstandort Frankreichs nach dem Pariser Geschäftsviertel La Défense an. „Viele wollen ihren Angestellten eine höhere Lebensqualität und Perspektiven für die berufliche Weiterentwicklung bieten“, sagt Jean-Charles Foddis, Geschäftsführer der Agentur Aderly, die die wirtschaftliche Entwicklung der Metropolregion fördert. Gerade im Vergleich zur Hauptstadtregion Île-de-France könne Lyon mit interessanten Miet- und Immobilienpreisen bei hohem kulturellen und Freizeitangebot punkten.
Die Flussufer laden zum Sport ein, Feinschmecker finden in der französischen „Hauptstadt der Gastronomie“ und Heimat des legendären Sternekochs Paul Bocuse sowieso ihr Glück. Hinzu kommen die zentrale Lage und gute Anbindung: Paris lässt sich in zwei Zugstunden erreichen, nach Marseille ans Meer ist die Reise noch kürzer. Und auch die Berge sind nicht weit.
Die Stadt wächst in alle Richtungen
So wie Confluence werden derzeit noch weitere Stadtviertel erschlossen, die Stadt wächst in alle Richtungen. Gleichzeitig bleibt das historische Herzstück, das „Alte Lyon“ (Vieux Lyon), das die Unesco 1998 in ihre Kulturerbe-Liste aufgenommen hat. Schmale Gassen prägen es, stimmungsvolle Renaissance-Höfe und in Passagen versteckte Schleichwege, die sogenannten Traboules. In diesem ehemaligen Weberviertel wurde auch der Reichtum Lyons begründet, wo einst der Handel mit Seide florierte.
Sie sehe die Stadt wie ein Geschichtsbuch und die einzelnen Viertel wie ihre Kapitel, sagt die Stadtführerin Sandrine Clauzier: „Die verschiedenen Zeit- und Stil-Perioden, die sich überlagert haben, sind hier sichtbar geblieben: die romanische Epoche, das Mittelalter, die Renaissance.“ Dreimal habe sich im Lauf der Geschichte das Zentrum schon verschoben. Und ein viertes Mal stehe wohl bevor, hin zum modernen Geschäftsviertel Part-Dieu. Ein neues Kapitel hat begonnen.
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