Mögest Du Dir die Zeit nehmen, die stillen Wunder zu feiern, die in der lauten Welt keine Bewunderer haben.“ Irisches Sprichwort
Ein Schwan, der in Ufernähe sein Nest bewacht. Wolkenformationen, die sich majestätisch am Himmel türmen und im Wasser spiegeln. Schilfhalme, die sich im Wind sanft biegen. Silberreiher, die beinahe bewegungslos im Röhricht verharren. Entlang des Shannon River sind sie zahlreich, die stillen Wunder. Und wie könnte man sie besser feiern, als mit der Hand am Steuerrad eines Bootes?
Ferien auf dem Hausboot, ohne Boots-Führerschein, ohne Vorkenntnisse als Matrose, Leichtmatrose oder gar als Kapitän – in Irland ist das möglich. Mit 370 Kilometern ist der Shannon der längste und wasserreichste Strom des Landes. Knapp 250 Kilometer des Laufs sind schiffbar und bieten damit reichlich Gelegenheit, den Hobby-Kapitän in sich zu entdecken. Eine gute Basis, um ein Boot in Empfang zu nehmen, ist Carrick-on-Shannon. Das 4000-Einwohner-Städtchen liegt nur rund 160 Kilometer von der irischen Hauptstadt Dublin entfernt. Der Ort ist hübsch herausgeputzt und besonders beliebt wegen seiner gemütlichen Pubs, in denen man bis spät in die Nacht feiern kann.
Tonnen und Wegweiser mit Pfeilen sorgen dafür, dass keiner verloren geht
Doch Hobby-Kapitäne sind Frühaufsteher, sie wollen ja schließlich Strecke machen: Am frühen Morgen hängt der Nebel noch tief über dem Hafen. Die Fensterscheiben des schwimmenden Domizils auf Zeit, das sich schon nach der ersten Nacht ein wenig wie Zuhause anfühlt, sind angelaufen. Die Pénichettes, die Boote des Hausbootanbieters Locaboat Holidays, sind in ihrer Bauweise einer Péniche, einem französischen Binnenschiff, nachempfunden, haben große Fenster und lichtdurchflutete Kabinen.
Die Boote bieten – je nach Größe – bis zu zwölf Personen Platz, sind mit Toilette und Dusche ausgestattet. In der Kombüse ist vom Wasserkessel bis zum Flaschenöffner alles vorhanden, was man für das Leben auf dem Wasser so brauchen könnte. Bevor die Tour losgeht, bekommen die Landratten erst einmal eine Einweisung. Im Vorlauf zuhause mussten sich die Kapitäne in spe schon durch ein Online-Tutorial ackern. Doch wenn Peter von Carrickcraft, dem größten irischen Hausbootanbieter, der seit 2019 zu Locaboat gehört, erklärt, wie man Wasser und Diesel nachfüllt und was im Notfall zu tun ist, hören alle gespannt zu. Vor allem aber, wenn es darum geht, den über zehn Meter langen Stahlkoloss in Bewegung zu bringen und zu manövrieren. Sein wichtigster Hinweis: „Treat her like a lady – with patience.“ Behandele sie wie eine Dame – mit Geduld also. „And no rush.“ Bloß keine Eile, bitte!
Das tonnenschwere Boot bewegt sich langsam
Und tatsächlich: Wer hektisch am Ruder dreht, wird schnell merken, dass die Lady darauf nicht besonders gut anspricht. Das tonnenschwere Gefährt aus Stahl bewegt sich zwar langsam, aber mit Nachdruck – und es hat keine Bremse. Für den Anfang beruhigt schon der Anblick der dicken, blauen Fender, die rund um das Boot herum angebracht sind. Schneller als sechs Knoten, das sind rund zwölf Kilometer pro Stunde, bewegt sich der Kahn ohnehin nicht. Trotzdem lässt sich die Crew anfangs noch etwas zaghaft den Fluss in Richtung Boyle entlangtreiben.
Der Shannon soll seine Entstehung und seinen Namen der weiblichen Sagengestalt Sionan verdanken, heißt es in der keltischen Mythologie, und ein Flussmonster soll es dort auch geben. Cata wird als großes Wesen mit dicken Füßen, leuchtenden Augen, einem Walschwanz und der Mähne eines Pferdes beschrieben.
Wenn's knifflig wird: Ein Handbuch hilft, auf Kurs zu bleiben
Mark Roding, Betriebsleiter bei Carrickcraft, kennt den Fluss wie seine Westentasche, aber Cata ist er noch nicht begegnet. Dafür erzählt er launige Geschichten von Touristen, die das Boot unter einer Brücke eingeklemmt haben oder die versucht haben, einen Schwan zu fangen, nachdem Roding ihnen am Telefon gesagt hatte, dass die Tiere alle eine Plakette mit ihrem Standort auf dem Bauch tragen. Die Crew hatte mit einem Motorschaden Hilfe angefordert und konnte partout nicht erklären, wo sie sich befindet. Dabei kann man auf dem Fluss eigentlich gar nicht verloren gehen. Farbige Tonnen und Wegweiser mit Pfeilen entlang der Strecke sorgen dafür, dass man sich nicht verfährt oder in zu flachem Gewässer landet. Sollte es doch einmal knifflig werden, hilft ein bunt bebildertes Handbuch den Hobby-Kapitänen dabei, auf Kurs zu bleiben.
Statt nach Cata, sagt Roding dann auch, solle man lieber nach dem Eisvogel Ausschau halten. Die seltenen Tiere mit dem leuchtend blauen Gefieder jagen entlang des Shannon in Ufernähe nach Fischen. Und so richtet sich der Blick schnell wieder auf den Fluss und das Ufer zu beiden Seiten. Von dort aus beäugt eine Herde zotteliger, brauner Kühe misstrauisch das Geschehen auf dem Wasser, toben Pferde über die sattgrünen Wiesen. Die Schwänezähler der Queen müssten auf dem Shannon Extraschichten einlegen, so viel ist sicher. Außer dem sanften, aber steten Tuckern des Motors ist kaum ein Geräusch zu hören.
An der Schleuse wird es schon mal hektisch
Erst kurz vor der Schleuse kommt an Bord wieder Hektik auf. Das Boot muss in Position gebracht und mit Tauen fixiert werden. Am Shannon sind die meisten Schleusen bemannt, und so wird mit ein wenig Hilfe des Wärters und einem Schubs des Bugstrahlruders auch dieses Manöver gemeistert. Die Crew kann sich wieder entspannen.
Der Shannon bildet mit dem Fluss Erne und einigen Kanälen ein weit verzweigtes System an Wasserstraßen, die bis nach Dublin führen. Früher nutzten die Kähne der Guinness-Brauerei die Kanäle, um ihre Ladung zu transportieren. An manchen Stellen ist es so eng, dass man mit der Hand die Zweige am Ufer berühren kann, dann wieder öffnet sich die Fahrrinne und der Fluss wird zum See – oder besser gesagt zum Lough, wie die weitläufigen Wasserflächen hier heißen.
Eine Vielzahl von Anlegern am Fluss lädt zum Landgang ein
Inmitten einer dieser Wasserflächen, dem Lough Key, thront die ehemalige königliche Residenz der Familie McDermott aus dem 12. Jahrhundert auf einer grünen Insel. Auch am Flussufer hatte die Familie einen Wohnsitz, der ist allerdings im Jahr 1957 abgebrannt. Rund um die Anlage ist eine 800 Hektar große Parkanlage entstanden, die mit einem Baumwipfelpfad und einem Abenteuerspielplatz für Abwechslung im Bootsalltag sorgt. Von einem rund 18 Meter hohen Aussichtsturm bietet sich ein unvergesslicher Anblick über die Wasserlandschaft und das eigene Boot, das an einem kleinen Poller fest vertäut liegt.
Entlang des Shannon gibt es eine Vielzahl von Anlegern, die oft in der Nähe von kleinen Ortschaften liegen und zum Besuch eines Pubs einladen. In Tarmonbarry zum Beispiel unterhält Paul Dempsey das „The Purple Onion“. Der Wirt, der ein wenig aussieht wie Fernsehkoch Kolja Kleeberg, wäre wohl eigentlich lieber Galerist geworden und so verbindet er einfach beides. Während er Guinness und Häppchen zu leisem Jazz serviert, gibt es die Bilder irischer Maler, die er über die Jahre gesammelt hat, als Schmankerl für die Augen. Wer sich die Zeit nimmt, erfährt von Dempsey auch so manch erstaunliches Detail, das sich auf der ein oder anderen Leinwand versteckt hält.
Bye Paul, es geht zurück an Bord. Mit dem Steuerrad fest in der Hand lohnt es sich, ein allerletztes Mal nach dem Eisvogel am Ufer Ausschau zu halten. Und die stillen Wunder entlang des Shannon River zu genießen.