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In Bismarcks Land
Altmark: Ein Land der Flüsse, der Äcker und des weiten Himmels westlich von Berlin: Hier wurde vor 200 Jahren Otto von Bismarck geboren. Heute erwacht das Land wie aus langem Schlaf. Und Bismarcks prägen wieder das öffentliche Leben.
Schlossherr: Alexander von Bismarck vor Schloss Döbbelin
Foto: Fotos (3): Peter Förster, dpa | Schlossherr: Alexander von Bismarck vor Schloss Döbbelin
reda
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:12 Uhr

Dass Schloss Döbbelin in einem kläglichen Zustand war, ist heute nicht mehr zu erahnen. Als Alexander von Bismarck das Gebäude nach der Wende und dem Untergang der DDR in seinem maroden Zustand zum ersten Mal sah, habe er im Kopf „sofort damit begonnen“, es zu restaurieren und umzubauen, sagt er heute, während er durch die renovierten Räume führt.

Dass die Bismarcks das Gut hier in der Altmark bezogen, liegt tief in der Vergangenheit zurück – im Jahr 1344. Die Familie ist längst weitverzweigt, Alexander aber ist der einzige aus dem Familienverbund, der heute wieder in der Altmark lebt, einem Land, in dem viele Spuren zum wohl bedeutendsten Familienmitglied führen: Otto von Bismarck, dem Reichskanzler, der durch politisches Geschick und Krieg im Jahr 1871 Deutschland aus einem Flickenteppich kleinerer Staaten zum Deutschen Reich einte und dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Geboren ist er hier, in der Altmark, wo Ortsnamen (Bismark – ohne „c“), Herrenhäuser und Schlösser die Familiengeschichte der Bismarcks erzählen. Manche Gebäude tragen noch die Schrunden und Narben der Geschichte, andere sind liebevoll hergerichtet.

Unbewohnt war Schloss Döbbelin nie, berichtet Alexander von Bismarck. In der DDR-Zeit diente das Gebäude als Poststelle, als Arztpraxis und Konsum-Einkaufsmarkt. Zwei Familien fanden hier Wohnraum, für 50 Pfennig konnte man am Abend duschen.

Die Weihnachtswelt im Schloss

Der Hausherr ist im Westen groß geworden. In den 90er Jahren, als er zum ersten Mal in die Altmark auf dem Gebiet der ehemaligen DDR kommt, erfährt er, dass das Schloss in Sachsen-Anhalt nie enteignet worden ist. Er investiert und baut um. Bismarck organisiert Konzerte mit Stardirigent Justus Frantz, lernt auf einem von diesen seine heutige Frau Irina kennen, eine Russin. Sein Geld verdient der Vater von vier Kindern als Geschäftsmann mit dem Import von Deko-Artikeln. In „Bismarcks Weihnachtswelt“ schultern heute auf Schloss Döbbelin das ganze Jahr über Nikoläuse ihren Geschenke-Sack.

Im Schloss selbst schwelgen heute die Räume in sahneweißem Stuck, die Tristesse der DDR-Zeit ist vergessen. „Wir haben die Kinder mit dem Bobby-Car über das Parkett geschickt, damit es nicht ganz so neu aussieht“, sagt Hausherr Alexander von Bismarck, der in der Zeit des Umbaus oft selbst auf der Baustelle übernachtet hat. An den Wänden heute: ein großer Stammbaum, Jagdtrophäen, ein Porträt des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Hier ist das Land Bismarck-Land.

Altmark heißt die Landschaft westlich von Berlin, östlich von Hannover. Ein weites, dünn besiedeltes Land. Darüber spannt sich ein weiter Himmel, unter dem die Zeit langsamer zu vergehen scheint. Die Orte liegen weit auseinander, die Städte zieren Fachwerkhäuser und rote Backsteinkirchen. Es ist eine Landschaft, die den Bewohnern nicht viel schenkt und in der das Land oft genug gegen die Flut verteidigt werden muss, wenn die Elbe Hochwasser führt. Hier, in der Altmark, ist Otto von Bismarck am 1. April 1815 zur Welt gekommen.

In der Kirche des kleinen Orts Schönhausen steht ein schlichtes Taufbecken. Aus grauem Stein, angeschlagen am Rand, dominiert es den Raum und erzählt von einer Geschichte, die weit in die Vergangenheit reicht. An den Wänden finden sich Gedenktafeln an alle möglichen Generationen der Bismarcks. Der Vater des späteren Reichskanzlers hatte hier, in Schönhausen, seinen Sitz. Und als der kleine Otto am 15. Mai 1815 in diesem schlichten Becken getauft wurde, ahnte noch niemand, dass aus ihm einer der berühmtesten deutschen Politiker werden würde. Jener, der aus „Eisen und Blut“ das deutsche Kaiserreich schmiedet, das 1871 im Spiegelsaal von Versailles proklamiert wird.

Im Schlosspark des Bismarck-Geburtsorts Schönhausen stehen uralte Eichen, erbeutete französische Kanonen, eine Herkules-Statue. Im Hinterteil des Herkules steckt eine Ladung Schrot. Der junge Bismarck soll sie seinem wehrlosen Opfer nach einer missglückten Jagd selbst verpasst haben. Er galt als Heißsporn, der die Freiheiten des Studentenlebens genoss. Kartenspiel, Kneipen, Fechten. Er werde entweder der größte Lump oder der erste Mann Preußens, hat Bismarck den Mitstudenten einst geschworen.

Der Deichhauptmann

Nach dem Tod des Vaters 1845 kommt er in die Altmark zurück und bewirtschaftet für einige Zeit die väterlichen Güter. Zwei Jahre nach einem verheerenden Hochwasser erhält er 1846 das Amt des Deichhauptmanns. Bismarck ist zuständig für den Abschnitt entlang der Elbe zwischen Jerichow und Havelberg und damit für die Sicherheit vieler Bürger. Der künftige Politiker betritt die Bühne, Bismarck übt sich in Tatkraft, Macht und Autorität, er ist königstreu, ein glühender Konservativer. Als im Revolutionsjahr 1848 Bürger mit der schwarz-rot-goldenen Fahne der Revolution aus der Stadt auf sein Land kommen und die Dorfbewohner auffordern, die neue Flagge am Kirchturm zu hissen, tritt Bismarck ihnen mit einem Trupp Bauern entgegen und lässt sie verjagen, erzählt man in der Altmark. „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt“, sagt der Kanzler später.

Von Schloss Schönhausen steht nur noch ein Seitenflügel. In der DDR-Zeit ließ Walter Ulbricht das Hauptgebäude sprengen. Im verbliebenen Anbau ist heute ein kleines Bismarck-Museum untergebracht. Darin zu sehen ist Bismarcks weiße Uniform vom Bild der Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles. Und allerhand Nippes zeugt vom Bismarck-Kult, der später um den Reichskanzler entbrannte.

Die Altmark ist aber auch ganz abseits von Bismarck einen Besuch wert. Es ist eine Landschaft, die Ruhe gibt. Entlang der Elbe führt der Elbe-Radweg, einige Kilometer weiter schlängelt sich die Havel ruhig durchs flache Land. Wer die Zeit hat, besteigt ein Boot, begibt sich aufs Wasser. Die Havel hinunter Richtung Havelberg mäandert der Fluss zwischen großen Schilfflächen und knorrigen Bäumen. Hier leben Fischreiher, Biber, einige seltene Seeadler. Die Familie Schulze im kleinen Weiler Warnau lebt noch immer von den Flüssen und Seen. Sie sind Fischer in der fünften Generation, nach der Wende hat die Familie ein Restaurant eröffnet. Heute betreibt es Marita Schulze mit ihrer Tochter Sabine (36) und deren Lebenspartner Sven (40), der sich einreiht in die Reihe der Havel-Fischer. In der Fischerstube servieren sie unter dem ausgestopften Exemplar eines riesigen Welses mit dem Namen „Freitag“ (71 Kilo schwer, 2,20 Meter lang) frischen Zander, Hecht und Flussbarsch, und Restaurantchefin Marita Schulze berichtet gerne und gut gelaunt, wie das war, nach der Wende ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Und dann die Bundesgartenschau

Dieses Jahr sollen noch mehr Besucher hierherkommen – zur Bundesgartenschau, die zeitgleich in Brandenburg an der Havel, Premnitz, Rathenow, Havelberg und dem Amt Rhinow/Stölln stattfindet. In den Städten arbeiten sie seit Monaten an Landschafts- oder Klostergärten, im Mai werden Pfingstrosen und Rhododendron blühen, im Sommer Rittersporn, im September Dahlien. 1,5 Millionen Besucher erwartet die Havelregion zwischen April und Oktober.

Doch zurück zu Bismarck. Im kleinen Ort Krevese steht ein Bismarck-Herrenhaus. Es gehörte einem anderen Arm dieser verzweigten Familie. In der DDR-Zeit beherbergte es eine Dorfschule, dann eine Kinderkrippe und eine Polytechnische Oberschule. Im Schlosshof lag der Sportplatz der Dorfschule, in den Herrschaftsräumen wurde Latein, Musik oder Deutsch unterrichtet und ein Schüler, der dort damals zur Schule ging, erinnert sich genau, wie man nach einer Rangelei mit blutiger Nase die Herrenhaustreppe hinauf zum Direktor gerufen wurde.

Draußen, in einer alten Klosterkirche ist einer der Urväter der Bismarck-Familie beerdigt. Die kleine Dorfschule gibt es längst nicht mehr. Seit zehn Jahren leben die Kommunikationsdesigner Ralf Engelkamp und Rainer Kranz auf Krevese, in einem Haus, „das Fragen aufwirft“, wie Engelkamp sagt, einen Dackel auf dem Arm. Die Kreativen haben das Anwesen gekauft. Stück für Stück renovieren sie das Gebäude, haben es wohl vor dem Verfall gerettet. Haben auch den großen, englischen Landschaftsgarten der Verwilderung entrissen und die Sichtachsen zum Herrenhaus hin wieder freigelegt. Die Bundesgartenschau dürfte viele Gartenfreunde auch hierher führen.

So erwacht die Altmark Stück für Stück wie aus einem Dornröschenschlaf. Und doch bricht und reibt sich vieles auch heute noch an der Vergangenheit – an Bismarck, an der DDR-Zeit, an den Spuren und Umbrüchen der Wende. Auf Schloss Döbbelin sagt Alexander von Bismarck heute, er habe hier, in der Altmark, eine neue Heimat gefunden. Und auch in Krevese haben Ralf Engelkamp und Rainer Kranz längst Wurzeln geschlagen. Sie haben das alte Bismarck-Gebäude zu neuem Leben erweckt – allerdings ohne die Narben zu übertünchen, die die Geschichte hinterlassen hat.

Tipps zum Trip

In Schönhausen hat das Bismarck-Museum von Dienstag bis Sonntag geöffnet (Internet: www.bismarck-stiftung.de). Führungen durch Schloss Döbbelin gibt es ganzjährig (www.bismarck-doebbelin.de). Infos über das Herrenhaus in Krevese finden sich unter www.atelier-offen.de; Führungen nach Anmeldung. Die Bundesgartenschau in der Havelregion startet am 18. April und läuft bis 11. Oktober. Infos unter www.buga-2015-havelregion.de Übernachten: Zum Beispiel im „Exempel Schlafstuben“ im sehenswerten Tangermünde, Tel. (03 93 22) 73 54 000 oder im „Arthotel Kiebitzberg“ in Havelberg, Tel. (03 93 87) 59 51 51. Infos über Bootstouren u.a. unter www.

bootscharter-havelberg.de Essen zum Beispiel in der „Fischerstube Warnau“, Tel. (03 93 82) 73 77. Infos über die Region und die Möglichkeiten vor Ort gibt der Tourismusverband Altmark, Tel. (03 93 22) 34 60; Internet: www.altmarktourismus.de

Alles im Fluss: auf der Havel
Foto: Kerler | Alles im Fluss: auf der Havel
Lange Kerls: im Bismarck-Museum
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Gut Schönhausen: Hier wurde Otto von Bismarck geboren.
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