
Schneewittchen wohnt direkt an der Autobahn, Ausfahrt Marne-la-Vallée. Einfach rechts am quietschrosa Märchenschloss vorbei, und dann immer den aufgeregten Mädchen in ihren Prinzessinnenkostümchen hinterher. Neben einem Karussell aus Kaffeetassen und dem Labyrinth von Alice müssten Sie es gleich finden: Princess Pavilion steht auf dem blauen Dach. Drinnen halten zu den offiziellen Öffnungszeiten zwei Prinzessinnen aus Disneys Traumreich Audienz, und auf die Eltern wartet eine erste Herausforderung – im wahrsten Sinne des Wortes: warten. Es ist die Disziplin, die den Tag bestimmen wird in Europas erster Touristenattraktion, dem Disneyland Paris. Über 250 Millionen Besucher zählte der gigantische Freizeitpark vor den Toren der französischen Metropole in den 20 Jahren seit seiner Eröffnung, allein 2011 waren es 15,6 Millionen – Rekord.
Prinzessin also. Die Menschenschlange beginnt gleich hinter dem Eingang, und wahrscheinlich bewegt sich eine verwurzelte Eiche schneller als diese Raupe der Wartenden. Nach etwa einer Stunde ist es dann doch so weit. Eine freundliche Frau weist den Weg in ein schlechtbeleuchtetes Atelier, wo eine rotperückte Prinzessinnenschauspielerin in einem mittelmeertürkisen Kleid auf die Kleinen wartet. Sie ist herzlich, das Lächeln der dick bemalten Lippen scheint im Gesicht wie festgefroren. Eltern knipsen mit ihren digitalen Pocketkameras ihre Liebsten im Arm der Märchenfigur, dank der fahlen Beleuchtung sind die Ergebnisse auf den Speicherkarten zwar meist ein gräulicher Mischmasch. Doch zum Glück gibt es Disney. Kaum haben Mama und Papa ihren Apparat gesenkt, tritt eine professionelle Fotografin aus dem Off und knipst die Knirpse dank integrierter Blitzanlage an der Atelierdecke perfekt ausgeleuchtet. Nach vielleicht 40 Sekunden ist das Spektakel vorbei. Die Frau am Eingang ruft: „Der Nächste, bitte!“ Schon geht es also Richtung Ausgang, wo ein Tresen steht mit Monitoren, auf denen das eben geschossene Disneybild von der großen und kleinen Prinzessin in den schönsten Farben leuchtet. Scharf. Bunt. Hochglanz. 18 Euro. Welches Elternherz kann da nein sagen?
Das Disneyland Paris ist ein Stück Traumfabrik a la Hollywood in Europa, und es spielt mit den Gefühlen, Erinnerungen, Wünschen der Kinder und Erwachsenen. Wer ist nicht mit Goofy, Mickey, Bambi aufgewachsen? Hat nicht die Comics verschlungen, die Filme gesehen? Hier, in dieser Scheinwelt von Marne-la-Vallée, verschmelzen die Figuren mit der Wirklichkeit, werden sie vor allem in den Augen der Kleinen zu leibhaftigen Bewohnern. Sehr schön, mit all seinen Auswüchsen auch, ist das bei der Jubiläumsparade zu sehen, die anlässlich des 20-jährigen Bestehens zweimal täglich durch den Park zieht. Auf den bunten Wägen stehen menschengroße Figuren all der Disney-Klassiker. Auf dem Platz vor dem Märchenschloss hält der Zug an und Mickey, Donald, Minnie, Goofy und Daisy steigen herunter, wo sie sofort umlagert sind von Kindern – vor allem aber von Eltern. Während die Figuren von zwei Leibwächtern jeweils zu einer anderen Ecke des Platzes gebracht werden, bringen Mama und Papa ihre Sprösslinge in Position. Die Fotohandys werden jetzt zu Waffen in der einen Hand, mit der anderen schieben und drücken sie rücksichtslos ihr Kind in die Plüschhände von Minnie Maus. „Bitte gehen Sie zurück, sonst müssen wir das hier abbrechen“, sagt einer der Minnie-Leibwächter. Er hätte es auch einer der zahllosen Straßenlaternen erzählen können, die Konsequenz wäre die gleiche gewesen. Hier ist Minnie kein Disney-Mitarbeiter in einem Faschingskostüm, hier in dieser Galaxie aus Illusion ist Minnie ein Star wie Lady Gaga, mindestens.
Immer wieder einmal gab es Gerüchte um eine finanzielle Schieflage des Milliardenprojektes, doch die Besucherzahlen der vergangenen Jahre stimmen Disney optimistisch. Im Durchschnitt sind es täglich über 40 000 Besucher, die sich berieseln lassen von der allgegenwärtigen Gute-Laune-Musik und der Heile-Welt-Atmosphäre. „Magic everywhere“, tönte es ständig aus den Lautsprechern, die hier an allen möglichen und unmöglichen Orten versteckt sind: Überall Zauber. 14 500 Mitarbeiter aus rund 100 verschiedenen Ländern sind im Disneyland beschäftigt. 225 000 Glühbirnen lassen die Fassaden der Hauptstraße im Park erstrahlen, der in vier Ressorts aufgeteilt ist.
Das Areal mit 51 Hektar Fläche und seinen zahllosen Attraktionen ist zu groß, zu spannend, zu schön, aber auch fast zu nervig, zu anstrengend für einen Tag. Nach der Nachtparade vor dem illuminierten Märchenschloss und einer schier endlosen Karawane mit glitzernden und blinkenden Wägen ist dann Schluss. Eilende Erwachsene zerren ihre müden Kinder hinter sich her Richtung Ausgang. Ein letztes Andenken, dann ist es geschafft. Denkste. Am Bahnhof steht eine Infotafel. Der nächste Zug kommt in 20 Minuten. So endet der Tag, wie er einst begonnen hatte: mit Warten.
Tipps zum Trip
Hotels: Sechs Hotels sowie eine Ranch stehen im Disneyland zur Verfügung. Der Vorteil: Übernachtungsgäste haben vor der offiziellen Öffnungszeit um 10 Uhr die Möglichkeit zum Eintritt. Meist sind die Hotelzimmer eher teuer. Rund um den Park gibt es jedoch viele günstige und gute Hotels, von denen eine kurze Anreise mit dem Zug möglich ist.
Anreise: Mit dem ICE, TGV, Thalyis oder dem DB-Nachtzug ist Paris bequem von Deutschland aus per Bahn zu erreichen. Mit der S-Bahn RER (Linie A) ist Disneyland über den Bahnhof Marne-la-Vallée/Chessy erschlossen. Die Fahrt von der Innenstadt aus dauert rund eine halbe Stunde. Wer mit dem Auto anreist, muss in Frankreich rund 60 Euro Autobahn-Mautgebühren einkalkulieren (hin und zurück).
Paraden: Der Park ist an 365 Tagen im Jahr geöffnet. Der Eintritt für Erwachsene kostet 59 Euro, für Kinder bis elf Jahre 52 Euro. Mehrmals am Tag finden Paraden statt, die Zeiten erfahren Sie in einer Broschüre, die am Eingang erhältlich ist. Seien Sie rechtzeitig am Wegesrand!
Gartenpracht: Disneyland ist nicht nur die meistbesuchte Touristenattraktion Europas, sondern nach eigenen Angaben auch der größte Garten mit 35 000 Bäumen, 310 250 Büschen und 5400 m² Blumenfläche.
Besucher: Die meisten Besucher kamen 2011 aus Frankreich (49 Prozent). Es folgten die Briten (13) und Spanier (9). Nur zwei Prozent der Besucher sind aus Deutschland.
Adresse und Information: Disneyland Resort Paris, 77777 Marne-La-Vallée, im Internet: www.disneylandparis.de