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Im Fischkino der Superlative
In der Hauptstadt des US-Bundesstaates Georgia taucht man in eine spektakuläre Unterwasser-Welt ein.
Gigantisch: Staunen können die Besucher im Georgia Aquarium ebenso wie an der 200 Kilometer langen Küste am Atlantik (Foto unten).
Foto: Christian Schreiber | Gigantisch: Staunen können die Besucher im Georgia Aquarium ebenso wie an der 200 Kilometer langen Küste am Atlantik (Foto unten).
reda
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:19 Uhr

Pause für die Anwälte, die für eine Vortragsreihe nach Atlanta (Georgia) gekommen sind. Gähnend schleppen sie sich zu den Kaffeetassen vor dem Konferenzraum, werden erst munter, als sie die Truppe Zebrafische entdecken, die dem Rochen vor der Nase rumschwirren. Auch TJ, die einzige Schildkröte, mischt mit und sorgt für Heiterkeit. Ständig saust eine neue schwimmende Attraktion vorbei. Die Juristen haben sich für ihren Kongress eine besondere Location ausgesucht: Georgia Aquarium, laut Eigenwerbung das weltweit größte seiner Art. Mit fast vier Millionen Touristen pro Jahr zählt es in jedem Fall zu den ultimativen Hotspots der USA und zieht damit mehr Besucher an, als die Coca-Cola-Welt und der Nachrichten-Gigant CNN in unmittelbarer Nachbarschaft.

Vor allem europäische Touristen staunen über die maritime Seite Georgias mit knapp 200 Kilometern Küste und das Aquarium mit 100 000 Meerestieren in 60 Becken. Eines ist heute exklusiv für die Anwälte reserviert, die deswegen nur zögerlich in den Konferenzraum zurückgehen.

Zwei Türen weiter eröffnet sich eine abgeschottete (Unterwasser-)Welt: Nur eine begrenzte Zahl Touristen darf die Baby-Station des Aquariums betreten. Tiger-Haie im Spielzeugformat treiben in exakt temperierten Becken. Mitarbeiter mit blauen Krankenhaus-Hütchen untersuchen Mini-Seegurken und Anemonen. Ein kleines Mädchen hängt seine Nase neugierig in den Behälter mit blutroten Seesternen. Die Tour hinter den Kulissen vermittelt einen kleinen Eindruck, wie hoch der Aufwand ist, um ein Aquarium dieser Größe am Laufen zu halten. Um die schwimmenden Bewohner kümmern sich hunderte Mitarbeiter und 1500 Freiwillige wie Kandice.

Krankenstation für Schildkröten

Seit zwei Stunden steht die Hobby-Taucherin oben am Korallen-Becken und kontrolliert die Wasserzufuhr. Anschließend wechselt die 46-Jährige zum Saubermach-Trupp, wo sie mit einer Zahnbürste den Rost von kleinen Leitungen kratzt. „Ich liebe Fische und ich liebe diese Arbeit.“ Manche ihrer Kollegen haben es leichter: Mit Gummibooten fahren sie übers „Ocean-Voyager-Becken“, um die Tiere zu füttern. Krabben-Cocktails fliegen aus 20-Liter-Eimern ins Wasser.

Die Besucher, die einen Stockwerk tiefer ein Fischkino der Superlative genießen, bekommen davon nichts mit. Per Rollbahn werden sie wie am Flughafen durchs Aquarium geschleust. Man muss nur nach oben schauen und den Mund vor Begeisterung aufklappen, wenn einer der Walhaie ums Eck biegt. Die weißen Riesen gelten als größte Fische der Welt, sind sonst nur in Asien anzutreffen. Fünf Abteilungen laufen sternförmig im Herzen des Aquariums zusammen. Sie tragen noch Namen, die nach Zeiten klingen, in denen Seefahrer die Welt per Schiff erkundeten. Die „River Scout Gallery“ schlängelt sich wie ein Fluss durchs Gebäude, Störe schwimmen über den Köpfen der Besucher. Bei „Tropical Diver“ taucht man in eine geheimnisvolle Atmosphäre mit lila Quallen ein, die wie Tintenkleckse aussehen. Das Ambiente erinnert mehr an eine Kunstgalerie. „Georgia Explorer“ mit seinen Seesternen und Pfeilschwanzkrebsen wäre eher unspektakulär, dürfte man nicht die Vertreter der einheimischen Küste wie in einem Streichelzoo betatschen. Mitarbeiter fühlen sich in der Lage, fast jede Tierbewegung zu deuten. Das Aquarium hat sich selbst einen Bildungsauftrag erteilt, allerdings kommen die Informationen über die Küste Georgias eindeutig zu kurz.

Die könnte man aber gut gebrauchen, um sich während der vierstündigen Autofahrt von Atlanta zum Atlantik auf die dortigen Meerestiere, Küstenbewohner und Landschaftsbilder einzustellen. Denn irgendwann werden selbst die größten Pfirsich-Plantagen und Kornfelder, die so typisch für das fruchtbare Georgia sind, eintönig. Umso größer ist dafür die Überraschung, als die ersten Sumpfgebiete auftauchen. Mehrere hundert Kilometer zerklüftetes Marschland, unter dessen Blättern Sumpfschildkröten hausen, erstrecken sich an der Küste. Fischreiher streiten sich um den Fang, Flamingos stolzieren durchs seichte Wasser. Dutzende kleine Inseln sind mit futuristischen Brücken verbunden. Die gigantischen amerikanischen Eichen haben sich einen grauen Bart zugelegt, der schlaff über die Äste hängt und sich von der salzigen Luft ernährt. Spanish Moss nennt sich diese Flechtenart in Georgia.

Leider erhascht man keinen Ausblick aufs Meer, denn wilde Wälder versperren den Blick. Dafür schützen die Pinien und Kiefern vor dem heftigen Wind, der an der Küste tobt. Das schätzte im 19. Jahrhundert bereits die High-Society, die sich im Jekyll Island Club traf, der inmitten eines Waldparks liegt. Heute kann man dort immer noch schön teuer wohnen, aber den herrschaftlichen Glanz hat das Anwesen verloren. Die Zimmer wirken ein bisschen angestaubt, die Außenanlagen sind nicht überall gepflegt.

Anziehungspunkt ist auf den Golden Isles dafür die benachbarte Schildkröten-Station, die sich in erster Linie um verunglückte Tiere wie Mylo kümmert. Das Weibchen treibt teilnahmslos in seinem Becken, seit ihr ein Lastwagen in die Quere kam. Die Helfer formen kleine Brotkügelchen, in denen sie Medizin versteckt haben. Es dauert eine Weile, dann schnappt Mylo zu.

16 weitere Schildkröten leben dort, jede hat ihren eigenen Swimmingpool und ihre eigene Leidensgeschichte. Autos und Schiffschrauben sind die häufigsten Übeltäter. Notfälle kommen direkt in den OP-Raum, wo sonst Untersuchungen stattfinden. Es riecht nach einer Mischung aus Meerrettich und Chemie-Labor. Ärztin Nicole checkt gerade die Werte eines schwangeren Weibchens und wirbt parallel um Spenden. „Bei Schildkröten werden die Menschen weich. Jede hat ein ganz eigenes Muster, einen eigenen Charakter und ein unverwechselbares Gesicht.“ Mehr als 200 Tiere haben Nicole und ihre Kollegen bereits gerettet. Auch TJ war lange Zeit hier. Die meisten hatten ihn schon abgeschrieben. Heute dreht er quietschfidel mit Zebrafischen und Rochen seine Runden und erfreut Konferenz-geplagte Anwälte.

Tipps zum Trip

Anreise: Die beste Verbindung nach Atlanta bietet Delta mit Direktflügen ab verschiedenen deutschen Flughäfen. Retourticket ab etwa 800 Euro. www.delta.com Rundreise: Wie der Rest der USA lässt Georgia sich problemlos individuell bereisen. Wer eine geplante Mietwagen-Rundreise sucht, wird zum Beispiel bei USA-Spezialist Knecht Reisen fündig: 12 Tage durch Georgia mit u. a. Atlanta, Savannah, Macon, Athens ab etwa 1250 Euro pro Person (ohne Flug). Internet: www.knecht-reisen.ch Unterkunft: Marriott Marquis (Atlanta): zentrales Hochhaus-Hotel, DZ ab 120 US-Dollar. www.rediscovermarquis.com Jekyll Island Club (Golden Isles): tolle Lage an der Küste mit eigenem Yacht-Hafen. DZ ab 179 US-Dollar. www.jekyllclub.com Meer erleben: Georgia Aquarium (Atlanta): am besten zwei Tage einplanen. Tageseintritt: 36 US-Dollar. www.georgiaaquarium.org

Schildkröten-Station: eines der bedeutendsten Schildkröten-Krankenhäuser der Ostküste, geführte Touren. www.georgiaseaturtlecenter.org St. Simons Island Lighthouse Museum: Einer der letzten Leuchttürme an Georgias Küste. www.saintsimonslighthouse.org

Mehr erleben: Coca-Cola-Erlebniswelt (Atlanta): Erfolgsgeschichte des berühmtesten Getränks der Welt auf zwei Etagen, Eintritt: 16 US-Dollar. www.worldofcoca-cola.com

CNN (Atlanta): einstündige Studio-Tour für 15 US-Dollar. www.edition.cnn.com

 
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