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Götter und Menschen am Nil
Ägypten: Die größten Sehenswürdigkeiten des Landes wie die Tempel von Karnak und Luxor liegen an den Ufern des Nils. Seit dem Umbruch im Jahr 2011 meiden viele Urlauber die Region. Nun hofft Ägypten auf eine Rückkehr der Touristen.
Herbert Scheuring
Herbert Scheuring
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:40 Uhr

Ganz oben an der Decke in einem Saal des Tempels von Edfu ist ein Bild der Himmelsgöttin Nut zu sehen: Die Hände und Füße auf die Erde gestützt, verschluckt sie gerade die Sonne, um sie bei Tagesanbruch wieder zu gebären. Ihr gebogener Körper symbolisiert das Himmelsgewölbe, das Blut, das sie bei der Geburt der Sonne verliert, die Morgenröte. So stellten sich die alten Ägypter den Wechsel zwischen Tag und Nacht, zwischen Licht und Dunkelheit vor.

Nut gilt als Mutter des Sonnengottes Ra, aber auch des Falkengottes Horus, dem der Tempel von Edfu geweiht ist. 36 Meter hoch sind die gewaltigen Außenmauern des Pylon, Statuen des Falkengottes aus schwarzem Granit bewachen den Eingang zum Tempel, dessen Innenwände mit Tausenden Hieroglyphen und Reliefs verziert sind. Der Tempel von Edfu liegt unweit der gleichnamigen Stadt am Ufer des Nils. Als wir am späten Nachmittag wieder aufs Kreuzfahrtschiff, die „Crown Empress“, zurückkehren, ist die Himmelsgöttin Nut gerade dabei, die Sonne zu verschlucken. Zeit für einen Sundowner auf dem Oberdeck des Schiffs.

Ägypten ist so etwas wie das älteste Reiseziel der Welt. Schon der griechische Historiker Herodot stand vor 2500 Jahren staunend vor den Bauten dieser uralten Kultur. Im Rekordjahr 2010 kamen mehr als zehn Millionen Touristen. Danach gingen die Zahlen wegen des politischen Umbruchs und der folgenden Unruhen rapide zurück. Erst seit diesem Jahr geht es langsam wieder aufwärts. Dennoch fahren von den 300 Schiffen, die einst auf dem Nil zwischen Assuan und Luxor unterwegs waren, derzeit nur rund 30. Auch in den Tempelanlagen ist die Zahl der Besucher sehr überschaubar. Im Tempel von Karnak, wo sich vor einigen Jahren noch die Besucher auf die Füße traten, sind oft kaum mehr Menschen anzutreffen als in jener Szene aus dem berühmten Film „Tod auf dem Nil“, in der Detektiv Hercule Poirot und seine Mitreisenden die Ruinen erkunden.

Karnak ist die gewaltigste Tempelanlage aus der Zeit der Pharaonen, größer als der Vatikan. Ein 29 Meter hoher Obelisk, Kolossalstatuen von Ramses II. und Standbilder von weiteren Pharaonen finden sich in dem weit verzweigten Heiligtum. Sein Herzstück ist die große Halle mit 134 riesigen, zum Teil 24 Meter hohen Säulen. Die Allee, zu deren beiden Seiten eine widderköpfige Sphinx neben der anderen sitzt, verlief einst über drei Kilometer bis zum benachbarten Tempel von Luxor. Karnak und Luxor bildeten das Zentrum der altägyptischen Hauptstadt Theben am Ostufer des Nils. Am Westufer erstreckt sich die Stadt der Toten in die Wüste hinein: Zahlreiche Tempel und in die Felsen gehauene Gräber sind dort zu besichtigen, darunter auch das des Tutenchamun.

In Kom Ombo wartet der Krokodilgott

Die „Crown Empress“ fährt von Luxor aus weiter Richtung Süden. Gemächlich schiebt sich das Schiff auf dem Nil vorwärts. Wie in Zeitlupe zieht die Landschaft links und rechts des Flusses vorbei: Schilfgras, grüne Dattelpalmen, Wasserbüffel und Rinder, die am Ufer grasen. Von den kleinen Siedlungen ist oft nur das Minarett der Moschee zu sehen, das aus der grünen Vegetation herausragt. Und dahinter die Wüste. Am Abend legt das Schiff in Esna an.

Kurz nach vier Uhr am nächsten Morgen ist die Nacht vorbei. Zumindest für den Muezzin, dessen Gesang von einem Minarett der am Ufer liegenden Stadt herüberweht. Draußen ist es noch stockfinster. Das hindert den Muezzin nicht daran, lauthals Gott zu loben. Und das war nur die Ouvertüre, denn er ist nicht allein. Gegen halb fünf in der Frühe scheint ein ganzes Muezzin-Quartett am Werke zu sein. Über den noch dunklen Konturen eines Palmenhains färbt die Morgenröte den Himmel rosa. Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis die Himmelsgöttin Nut die Sonnenscheibe wieder aus ihrem Körper herauslässt. Die Muezzins sind verstummt, draußen wird es langsam hell. Ein altes Fischerboot gleitet nur wenige Meter von unserem Kreuzfahrtschiff entfernt vorbei – lautlos und langsam, fast wie ein Geisterschiff.

Der Tempel von Kom Ombo liegt auf einem Hügel über dem Nil und ist zwei Gottheiten gewidmet: dem falkenköpfigen Licht- und Himmelsgott Haoeris und dem krokodilköpfigen Wasser- und Fruchtbarkeitsgott Sobek. Der eine bewohnte den linken, der andere den rechten Flügel. Eine große Zweiraumwohnung sozusagen. Reliefs auf den Tempelwänden zeigen die beiden Götter in Aktion, zum Teil mit Kollegen wie Thot oder der löwenköpfigen Sechmet. Im Tempelbereich gab es einst einen heiligen Teich mit Krokodilen. Nach ihrem Tod wurden die Echsen mumifiziert. 15 von der Sorte liegen jetzt im Museum von Kom Ombo nebeneinander. Leider gibt es vor dem Museum keine „Bar zum Krokodil“ am Nil.

Auf den Spuren von Agatha Christie

Dafür legt neben der „Crown Empress“ jetzt ein alter Schaufelraddampfer an, die „Sudan“ – das Schiff, auf dem 1978 der Roman „Tod auf dem Nil“ mit Peter Ustinov in einer der Hauptrollen verfilmt wurde. Es sind aber weder der Detektiv Hercule Poirot noch die Schriftstellerin Miss Otterbourne an Bord, sondern nur ein paar französische Touristen. Seinen nostalgischen Charme hat sich das Schiff, das seit rund 100 Jahren auf dem Nil unterwegs ist und nur 23 Passagierkabinen zählt, bewahrt.

Während der Fahrt mit dem Bus zu den Sehenswürdigkeiten am Nil rücken Obst- und Gemüsestände ins Blickfeld, Eselskarren und Imbissbuden mit zum Teil bizarren Namen wie „Kentuck Chicken Prost“. Und immer wieder Einheimische, die den ausländischen Besuchern lächelnd zuwinken. „Die Menschen freuen sich, dass die Touristen zurückkommen“, sagt Amru Mohammed. „Es bedeutet, dass ihr Leben weitergeht.“ Der 47-Jährige hat an einer Oberschule in Kairo Deutsch gelernt und dann Ägyptologie und Kunstgeschichte studiert. Seit 1989 arbeitet er als Fremdenführer. Die letzten Jahre waren schwierig. „Die Hotels in Assuan und Luxor waren früher brechend voll, die Schiffe auf dem Nil ebenfalls“, erzählt er. Der Tourismus zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen Ägyptens. Seit die Besucherzahlen in der Folge des Umbruchs 2011 zurückgingen, verloren rund 400 000 Ägypter ihren Job. Beschäftigte in Hotels, Fremdenführer, Souvenirverkäufer. Mustafa zum Beispiel hat einen Souvenirstand vor dem Tempel in Edfu und drei Kinder zu ernähren. Von rund 60 Verkaufsbuden, berichtet der 32-Jährige, seien zurzeit nur 20 geöffnet. Auch Mustafa hofft, dass die Zahl der Urlauber am Nil wieder ansteigt.

Das Schiff fährt weiter auf dem Nil Richtung Süden. Schon vor Assuan beginnt die Region Nubien. Die Temperaturen steigen, die Landschaft wird karger, die Menschen hier sind dunkelhäutiger. Zwei Boote mit Trommlern und Sängern begleiten die „Crown Empress“ die letzten Kilometer bis zur Anlegestelle in Assuan. Nach dem Besuch der Tempel von Karnak, Luxor, Edfu und Kom Ombo steht nun noch ein Ausflug zum Philae-Tempel der Liebesgöttin Isis auf einer Assuan vorgelagerten Insel auf dem Programm. So wie im Roman „Tod auf dem Nil“, den Agatha Christie in dem altehrwürdigen Old Cataract Hotel in Assuan zu schreiben begann. Das 1899 eröffnete Hotel war Ausgangspunkt der Schiffsreise im Roman und im gleichnamigen Film. Eine Suite mit Blick auf die Insel Elephantine ist nach Agatha Christie benannt. Gerahmte Fotografien weiterer berühmter Gäste wie von Winston Churchill, Ägyptens König Faruk oder Schauspieler Jean Paul Belmondo künden von der glanzvollen Geschichte des Hauses. Von der Terrasse führt eine Treppe hinunter zum Nil. Zurück auf dem Schiff hat die Himmelsgöttin Nut bereits wieder die Sonnenscheibe verschluckt, und der Muezzin ruft in die Dunkelheit hinaus. Alles ist wie an jedem Tag. Nur die Nilkreuzfahrt, die endet hier.

Tipps zum Trip

Infos: Ägyptisches Fremdenverkehrsamt, Kaiserstraße 66, 60329 Frankfurt; Internet: www.touregypt.net Einreise und Sicherheit: Zur Einreise brauchen Deutsche einen Reisepass, der noch mindestens sechs Monate gültig ist. Ein Visum ist nötig und direkt am Einreise-Flughafen erhältlich. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und in das ägyptisch-israelische Grenzgebiet. Gegen Reisen zu den archäologischen Sehenswürdigkeiten am Nil zwischen Luxor und Assuan oder Abu Simbel, gegen Nilkreuzfahrten südlich von Kairo oder Reisen in die Touristengebiete am Roten Meer bestehen derzeit keine Bedenken. Preisbeispiel: Eine einwöchige Nilkreuzfahrt ab Luxor auf der MS Iberotel Crown Empress gibt es bei TUI in der Sommersaison 2015 inklusive Vollpension und Flug ab/bis Stuttgart ab 1074 Euro pro Person. Eine Woche im Iberotel Makadi Beach (All inclusive) bei Hurghada am Roten Meer kostet inklusive Flug ab/bis Düsseldorf pro Person im Doppelzimmer ab 831 Euro. Von Hurghada aus sind auch Tagesausflüge zu den Tempelanlagen in Luxor möglich (bei TUI ab 95 Euro pro Person inklusive Mittagessen buchbar). Besichtigt werden unter anderem die Tempel von Karnak und Luxor, der Hatschepsut-Tempel und das Tal der Könige. Informationen im Reisebüro oder unter www.tui.com

 
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