Die Hoffnung war eigentlich schon dahin, Gibs und Gabriel heute noch zu Gesicht zu bekommen. Aber ein Funkspruch hat alles geändert. Die beiden wurden im Osten der Insel gesichtet. Jetzt heißt es Gas geben, denn die Sonne hat schon ihren Abschied eingeläutet. Und in der Dunkelheit hat man keine Chance mehr, die Geparden aufzuspüren.
Während der Jeep über die Sandpisten rast, erstaunte Blicke von Antilopen, Gazellen, Emus und marokkanischen Bergschafen erntet, klickt man sich noch mal durch die Bilderflut auf der Kamera. Flamingos, Pfaue und Strauße sind darauf zu sehen. Dann der Höhepunkt: zwei Giraffen, die aufreizend langsam durch die Wüstenlandschaft staksen. Insel, Sand, afrikanische Tiere? Das hier ist keine gewöhnliche Pirschfahrt und gewiss kein Safari-Land, sondern Sir Bani Yas, ein 87 Quadratkilometer großes Eiland vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate, rund 250 Kilometer westlich der Hauptstadt Abu Dhabi. Die Insel ist ein einzigartiges Naturreservat mit 170 Vogelarten und rund 15 000 Tieren. Viele von ihnen hätten keine Chance ohne menschliche Hilfe, in der Wüstenregion zu überleben.
Das Wildlife-Projekt nahm vor rund 40 Jahren seinen Anfang
Der Grund, warum sie hier sind, fußt auf einer skurril anmutenden Geschichte: Scheich Zayid bin Sultan Al Nahyan, Staatengründer der Vereinigten Arabischen Emirate, bekam während seiner Zeit als Präsident exotische Tiere als Geschenk von anderen Herrschern. Er wollte sie nicht zurückweisen und die Lamas, Giraffen und Antilopen auch nicht in einen Zoo stecken, sondern ihnen so viel an natürlichem Lebensraum geben, wie es in seinem Land möglich ist. Also startete er vor rund 40 Jahren auf Sir Bani Yas, der größten naturbelassenen Insel der Emirate, das Wildlife-Projekt und kreierte dort seinen privaten Erholungsort. Nach dem Tod Zayids im Jahr 2004 begann der systematische Ausbau zum Besucherpark.
Am frühen Morgen und am späten Nachmittag starten die Naturspaziergänge und Safarifahrten. Im offenen Jeep, so wie man es aus Afrika kennt, geht es durch das Wildlife-Reservat. Wir halten Kurs auf die Geparden, düsen an alten islamischen Friedhöfen, Ausgrabungsstätten und Resten eines christlichen Klosters vorbei, für dessen Entstehung es noch keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Ranger Mark bemüht sich, vom Lenkrad aus Informationen nach hinten zu rufen. Oft kommen nur Wortfetzen an. Die Fahrt ist rasant und ebenso schnell rattern Gedanken und Fragen zu dieser Insel durch den Kopf.
Wissenschaftler wollen herausfinden, ob Landwirtschaft möglich ist
Wir blicken auf Weihrauchbäume, Mangroven und Schatten spendende Schirmakazien. Unglaubliche drei Millionen Bäume hat man in den vier Jahrzehnten in den Inselsand gegraben. In abgetrennten Bereichen laufen Feldversuche mit Erdbeerpflanzen, Oliven- und Zitronenbäumen, an denen sogar gelbe Früchte hängen. Wissenschaftler wollen herausfinden, ob es Chancen gibt, in dem Wüstenstaat, Landwirtschaft betreiben. Schließlich muss man, abgesehen von Ausnahmen wie Datteln und Kamelmilch, sämtliche Nahrungsmittel importieren. Man hat sogar Erde und Bodenproben aus Europa und Afrika hierher geschifft.
Sir Bani Yas ist das vermutlich größte Versuchsobjekt der Welt. Vor der Küste laufen Untersuchungen, wie man Inseln und Festland vor Unwettern, Sturm und Erosion schützen kann. Aber die größten Projekte sind tierischer Art. Auf der zu Abu Dhabi gehörenden Insel leben gut 400 Arabische Oryxantilopen, sie stellen die größte Herde ihrer Art weltweit dar. Die Begegnung mit den stolzen Tieren in der kargen Landschaft der Insel ist deswegen kein seltenes, aber jedes Mal ein besonderes Erlebnis. Mit ihren bis zu 70 Meter langen, nur leicht gekrümmten Hörnern verströmen die Tiere etwas Majestätisches.
Das weiße Fell wirkt edel, rein, unberührbar und die dunkelbraune Gesichtsmaske verleiht ihnen etwas Rätselhaftes, Undurchschaubares.
Vor einem knappen Jahrhundert waren alle wild lebenden Arabischen Oryxantilopen ausgerottet. Scheich Zayid ließ einige der letzten Exemplare aus den USA einfliegen und startete ein Zuchtprogramm zur Erhaltung. Rund 200 Tiere konnte man in den vergangenen Jahren in die Wildnis der Emirate entlassen, ihr Status wurde auf der „Roten Liste“ von „stark gefährdet“ auf „gefährdet“ herabgestuft.
Mehr als 30 unterschiedliche Tierarten leben auf Sir Bani Yas unter der Aufsicht von Veterinären und Pflegern in unterschiedlichen, durch Zäune getrennte Zonen. Weil sich vor allem die Gazellen ohne natürliche Feinde ungebremst vermehrten, ordnete die Parkverwaltung vor einigen Jahren eine natürliche Auslese an und brachte Geparden und Hyänen auf die Insel. Jeder Einführung einer neuen Art geht ein einjähriger Quarantäne-Prozess voraus. Die Geparden bekamen in dieser Zeit Nachwuchs und gelten seither als sozialisiert. Wir haben sie aber immer noch nicht zu Gesicht bekommen.
Die meisten Tiere auf Sir Bani Yas müssen gefüttert werden
Der Wettlauf mit der Sonne ist fast schon verloren, als Mark durch sein Fernglas blickt und aufschreit. Er hat das Brüderpaar Gibs und Gabriel erblickt, muss nun schnell mit dem Jeep an sie rankommen. Vielleicht sind sie auch noch hungrig? Die beiden Geparden sind schließlich Selbstversorger – im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren. Denn was auf der Insel wächst, reicht nicht für Tausende Antilopen und Gazellen. Zusätzliches Gras kommt von der Nachbarinsel Delma, Pfleger versorgen auch die stattliche Herde von 50 Giraffen an Futterstellen, damit sie die Bäume nicht kahl fressen.
Der Aufwand für all das ist enorm und vor allem der Wasserverbrauch ruft Kritiker auf den Plan. Es gibt keine genauen Zahlen, aber man kann sich vorstellen, welche Mengen nötig sind, um allein drei Millionen Bäume mittels Tausender Kilometer Leitungen zu versorgen. Riesige Kähne mit Wasserladungen befüllen die fünf großen Tanks der Insel, deren Volumen jeweils einem olympischen Schwimmbecken entspricht. Seit ein paar Jahren gibt es Meerwasser-Entsalzungsanlagen und immerhin wird auch das Abwasser des Desert Island Resorts, das aus drei Hotelkomplexen der Kette Anantara besteht, verwendet.
Der touristische Ausbau schreitet im Moment stark voran. Seit November 2016 ankern Kreuzfahrtschiffe an einer zum Steg ausgebauten Sandbank, darunter auch die XXL-Liner von MSC und Costa. Die Gäste dürfen nicht auf eigene Faust auf Sir Bani Yas herumspazieren und sollen bei Ausflügen nur bestimmte Areale des Tierreichs zu Gesicht bekommen. Ein Nachmittag reicht sicher nicht, um das spezielle Flair dieser Insel zu erleben, auf der es auch Falken-Shows, Mountainbiketouren und Wüsten-Dinner im Angebot gibt. Richtig erleben kann man die Insel nur als Resort-Gast, der bei seiner Abu-Dhabi-Rundreise mindestens zwei Nächte bleibt.
Der Tourismus soll da sein, wenn die Ölquellen versiegen
Auf Sir Yani Bas zeigt sich, dass auch das flächenmäßig größte Emirat die einmal versiegenden Öl- durch neue Geldquellen ersetzen muss. Man erhofft sich viel vom Tourismus, der ja in der Hauptstadt Abu Dhabi dank Wolkenkratzern, Vergnügungsparks und Luxushotels schon seit einigen Jahren ganz gut funktioniert. Aber sonst tut man sich schwer in einem Land, das zu rund 90 Prozent aus Sand besteht.
Außer man macht ihn selbst zur Attraktion: Die eindrücklichen, bis zu 300 Meter hohen Dünen in der Liwa-Wüste im Süden Abu Dhabis haben sich dank Ferienanlagen wie der Festungsstadt von Qasr al Sarab zu einem Anziehungspunkt vor allem für europäische Touristen entwickelt.
Den Zauber von Sir Yani Bas wollen auch viele Bewohner der emiratischen Staaten erleben, deutschsprachige Gäste liegen auf der Insel klar auf Platz zwei. Das merken auch wir, als wir hastig fotografierend im Jeep um die beiden Geparden kreisen. Jetzt tauchen auch andere Gefährte auf, aus denen eine vertraute Sprache zu hören ist: „So eine faszinierende Insel. Wer hätte das in Abu Dhabi erwartet?“
Tipps zum Trip
Anreise: Täglich ein bis zwei Direktflüge ab Frankfurt, München, Wien und Zürich nach Abu Dhabi mit Etihad. Retourticket ab etwa 350 Euro. Im Internet: www.etihad.com Sir Bani Yas: Der Zugang zur Insel ist beschränkt und vornehmlich Gästen des Desert Island Resort Anantara (Zimmer und Villen) möglich. Dabei setzt man mit der mehrmals täglich verkehrenden Fähre über. Alternativen: an Land im Danat Resort übernachten und frühmorgens für eine geführte 3-stündige Tour die Fähre, dann den Jeep besteigen. Vorsicht: Die Fähre kann wetterbedingt kurzfristig ausfallen und steht dann in der Regel den kompletten Tag. Das gilt auch für (private) Boots-Trips. Demnächst soll es auch wieder Flüge ab Dubai und Abu Dhabi-City geben, die rund 750 Euro pro Person kosten. Aufenthaltsdauer auf der Insel: circa vier Stunden. Im Internet: www.sirbaniyasisland.com Übernachtung: Desert Island Resort: Doppelzimmer mit Frühstück ab rund 150 Euro pro Person und Nacht. Aktivitäten: Für eine Fahrt durch die Natur werden rund 80 Euro pro Person fällig. Außerdem möglich sind Bogenschießen, Kajaken, (Perlen-)Tauchen, Schnorcheln, Mountainbiken, Falken-Shows und mehr.
Infos im Internet: www.sir-bani-yas-island. anantara.com Weitere Informationen im Internet: www.visitabudhabi.ae
Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren reisen gelegentlich mit Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Tourismusunternehmen.