Wer in Helsinki ein gutes Buch sucht, sollte mal in der prachtvollen Bibliothek von Kallio vorbeischauen. In dem hundert Jahre alten Backsteinbau im hippen Szeneviertel zerbricht sich ein „Personal Trainer“ mehrere Stunden lang den Kopf darüber, was für den Kunden als Lektüre interessant sein könnte. Dieser muss der Bibliothekarin vorher nur über seine persönlichen Vorlieben Auskunft geben.
„Jeder hat die Möglichkeit zu lesen“, versichert Bibliotheksleiterin Laura Norris. Kein Lippenbekenntnis in Finnland, dem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse vom 8. bis 12. Oktober. In jeder Gemeinde findet sich mindestens eine Bücherei – Nutzung natürlich kostenlos. In den dünn besiedelten Gebieten des großen Landes mit seinen fünfeinhalb Millionen Einwohnern und fast 100 000 Seen und Inseln werden Tausende von Stützpunkten von mobilen Büchereien angefahren.
Bibliotheken sind in Finnland immer auch Treffpunkte, und nicht nur zum Kaffeetrinken. Kinder können im Pisa-Musterland dort unter Betreuung ihre Hausaufgaben machen. 40 Prozent der Bevölkerung nutzen die Büchereien – eine erstaunliche Zahl. Im Jahr werden 20 Millionen Bücher verkauft, drei von vier Finnen kaufen mindestens ein Buch pro Jahr. Das Land der Lesenden hat aber auch eine Menge Autoren – sogar der Präsident und seine Frau schreiben Bücher. Dabei ist die finnische Literatur noch jung. Der erste Roman auf Finnisch erschien erst um das Jahr 1850. Grund: 600 Jahre lang war Finnland von Schweden dominiert, dann noch ein Jahrhundert unter der Herrschaft des russischen Zaren.
Heute ist Finnland offiziell zweisprachig, auch wenn die schwedischsprechende Minderheit nur noch rund fünf Prozent ausmacht. Finnlands berühmte Kinderbuchautorin Tove Jansson – die Erfinderin der Mumin-Trolle wäre im August 100 Jahre alt geworden – gehört dazu.
Das Problem der Finnen ist jedoch, dass nur wenige Autoren im Ausland so richtig bekannt sind. Dies soll sich auf der Frankfurter Buchmesse, dem weltweit wichtigsten Branchentreff, ändern. Allein 130 Belletristik-Titel kommen bei mehr als 50 Verlagen heraus. Die Finnen haben dafür großzügig Übersetzungshilfen geleistet. Allerdings hat die mit dem Nokia-Niedergang einsetzende Wirtschaftskrise, derzeit durch den Ukrainekonflikt verschärft, die Finanzierung des ehrgeizigen Messeprogramms ins Wanken gebracht.
Die Qualität stimmt jedenfalls. Entgegen mancher Vorurteile ist Finnlands Literatur keineswegs verschlossen. Dafür ist das Land inzwischen viel zu globalisiert. Es finden sich alle Genres – vom Großstadtroman bis zum Finnlandkrimi, der sich inzwischen auch in Deutschland etabliert hat.
Spätestens seit den Filmen von Aki Kaurismäki gelten die Finnen als schräge Vögel und große Schweiger. Kein Wunder, dass satirisch schreibende Autoren wie Tuomas Kyrö und Arto Paasilinna in Deutschland sehr erfolgreich sind. Literarische Entdeckungen sind Autoren wie Philip Teir („Winterkieg“) oder Ulla-Lena Lundberg („Eis“), die beide auf Schwedisch schreiben.
Renommiert sind auch Markus Nummi, Leena Lander, Hannu Raittila und Rosa Liksom. Zu den jüngeren Shootingstars gehören Juha Itkonen und Johanna Holmström („Asphaltengel“). Die ganz Jungen lieben Comics und Lyrik-Performances, zum Beispiel in mobilen Saunen.
Einige der im Ausland bekannten Finnen beschäftigen sich vor allem mit der Geschichte des Landes. Dazu gehören Kjell Westö und Sofi Oksanen, die dank ihres schrillen Outfits zum Popstar der finnischen Literatur geworden ist. Im neuen Buch der 37-Jährigen geht es um Estland, das im Zweiten Weltkrieg und danach zwischen Nazis und Sowjets zerrieben wird. Katja Kettu hat mit der 1944 in Lappland angesiedelten Liebesgeschichte „Wildauge“ zwischen einer Hebamme und einem deutschen SS-Offizier einen großen Erfolg gelandet.
Mit ihrem Hang zum Melodram liefern Oksanen und Kettu allerdings nicht die stärksten Bücher zur Buchmesse. Deutlich wird aber, wie stark Finnland historisch mit Deutschland verbunden war. Es waren die Deutschen, die 1917 im sehr blutigen Bürgerkrieg mit dem Eingreifen der Ostsee-Division den Sieg der Bürgerlichen herbeiführten. Im Zweiten Weltkrieg kämpften die Finnen zunächst auf der Seite von Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion.
Nach 1945 war Finnland lange mit Moskau durch einen Freundschaftsvertrag verbunden. Inzwischen sei Finnland „fast ein ganz normales Land“, sagt der 38-jährige Itkonen, der einen Generationenroman über seine Heimat geschrieben hat.
Die Frankfurter Buchmesse
Auf dem Gelände der Messe Frankfurt findet jedes Jahr im Oktober die Frankfurter Buchmesse statt; in diesem Jahr vom 8. bis 12. Oktober. Ehrengast der internationalen Buchmesse ist in diesem Jahr Finnland, das rund 60 Autoren nach Frankfurt schickt. 130 finnische Bücher erscheinen zur Messe allein neu auf Deutsch. Das Gastland erhofft sich vom Auftritt den Sprung in den internationalen Literaturmarkt. Den Pavillon ließen die Finnen von drei Design-Studenten aus Helsinki entwerfen. Privatbesucher können die Frankfurter Buchmesse am Samstag, 11. Oktober, von 9 bis 18.30 Uhr und am Sonntag, 12. Dezember, zwischen 9 und 17.30 Uhr besuchen. Eine Tageskarte kostet ohne Ermäßigung 18 Euro. Text: ben
ONLINE-TIPP
Mehr Informationen finden Sie im Internet unter www.buchmesse.de