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Der griechische Norden ist ehrgeizig
Neue Wege: Wie die Regionen Makedonien und Epirus versuchen, ein größeres Stück vom Tourismus-Kuchen abzubekommen
Weithin sichtbar: Die Aslan-Pascha-Moschee über der Altstadt von Ioannina
Foto: Nadine Klikar | Weithin sichtbar: Die Aslan-Pascha-Moschee über der Altstadt von Ioannina
Nadine Klikar
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:27 Uhr

Fünf Jahre, so lange, da ist sich Giannis Boutaris sicher, wird es maximal noch dauern, bis Griechenland wieder wettbewerbsfähig ist – wirtschaftlich mithalten kann mit anderen EU-Staaten. Diese eigenwillige Meinung passt zu dem grauhaarigen Mann, der knallrote Socken zum feinen Zwirn trägt, mit tätowierten Fingerknöcheln und goldenem Ohrring im Rathaus von Thessaloniki sitzt. Seit Januar 2011 ist er Bürgermeister der mit rund 330 000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Griechenlands im Herzen der Region Makedonien. Aber eigentlich, sagt Boutaris und zündet sich eine Zigarette an, sei er kein Politiker, er sei „Winemaker“ – Winzer also.

Der Familie Boutaris gehört eines der bekanntesten Weingüter Griechenlands. Während sich die Kinder inzwischen um die Rebstöcke kümmern, räumt Boutaris auf. Erst in der Kommunalverwaltung, dann in der Abfallwirtschaft der Stadt. Jetzt will er den Tourismus vorantreiben, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die in Thessaloniki bei 30 Prozent liegt.

Der Weiße Turm, der ziemlich angegraut an der fünf Kilometer langen Küstenlinie der Stadt in der Nähe des Reiterdenkmals von Alexander dem Großen steht, sei kein Wahrzeichen wie der Eiffelturm und besonders schön sei er auch nicht, sagt Boutaris. Damit könne man die Touristen nicht millionenfach in die Stadt locken, und das wolle er auch gar nicht. „Wir haben jetzt schon ein Verkehrsproblem.“ Thessaloniki soll so bleiben, wie es ist: interessant, lebendig und eine Stadt für Menschen, die Lust haben, die rund 100 Baudenkmäler, byzantinische Kirchen und das Staatliche Museum für Zeitgenössische Kunst zu erkunden. Nur schöner.

Vergina und der verrückte Archäologe

Und Thessaloniki soll Ausgangspunkt, soll Tor werden für Reisen durch den touristisch noch wenig erschlossenen Nordwesten des Landes. Rund 75 Kilometer entfernt liegt beispielsweise das verschlafene Dörfchen Vergina. Hier tollt eine Schar Hunde auf einem staubigen Busparkplatz herum. Auf Balkonen entlang der Hauptstraße baumelt Wäsche. Einzig ein kleiner Souvenirladen, vollgestopft mit archäologischen Büchern und kitschigen Türschildern, deutet darauf hin, dass das Dorf mehr zu bieten hat als pure ländliche Idylle.

Zu verdanken ist das Manolis Andronikos, einem in positivem Sinne verrückten Archäologen. Jahrelang hat er unermüdlich einen Hügel nahe des Dorfes umgegraben, belächelt von Kollegen, aber im festen Glauben daran, an der richtigen Stelle nach der antiken makedonischen Hauptstadt Aigai zu suchen.

1977 wurde Andronikos für seine Hartnäckigkeit belohnt. Am Rande des Hügels stieß er auf das prunkvoll verzierte Portal einer Kammer, dahinter verborgen das bisher unentdeckte Grab von Philipp II., Vater von Alexander dem Großen. Die darin enthaltenen Schätze sind noch an Ort und Stelle zu sehen – auch dafür hat Andronikos gesorgt. Statt alles nach Athen zu schaffen, wurde das Museum einfach um die Grabkammern herum errichtet. Ein langer Gang führt tief ins Innere der Anlage. Die Wände sind spärlich beleuchtet, so kommen die Stücke in den Vitrinen besser zur Geltung.

Fernab vom Prunk der alten makedonischen Herrscher führt der Weg weiter über eine zweispurige Autobahn in den Nordwesten Griechenlands. Dichte Nebelschwaden ziehen am frühen Morgen wie eine große Schar Gespenster durch die spärlich besiedelten Täler des Pindos-Gebirges. Die Region Epirus zählt zu den Armenhäusern Europas. Durch das Massiv, das bis zu 2000 Meter in die Höhe ragt, war die Gegend lange abgeschnitten vom Fortschritt. Erst seit einigen Jahren verbindet die A 2 den Norden von Ost nach West.

In dem Bergdorf Metsovo ist die Stimmung wenig optimistisch. Der 58-jährige Jannis Barsoukis baut Eichenfässer für Käsereien der Region. Darin reift der Feta heran, für den die Gegend bekannt ist. Doch das Holz ist teurer geworden, zudem setzen die Käsefabrikanten immer mehr auf langlebigere Metallfässer. Die Produktion ist von 15 000 auf 10 000 Stück pro Jahr zurückgegangen. Sein Handwerk wird in absehbarer Zeit verschwinden, glaubt der 58-Jährige. Dafür steigt die Zahl der Touristen dank dreier neuerschlossener Skigebiete und der vielen Wanderrouten in der Gegend um Metsovo. Acht Skigebiete gibt es im gesamten Nordwesten. „Wir Griechen“, sagt Barsoukis, „interessieren uns überhaupt nicht für den Wintersport.“ Aber die Touristen tun es, und davon profitiert die gesamte Region. Das hat auch Ioannina erkannt.

Ioanninas ehrgeiziges Ziel

Besucher aus dem europäischen Ausland gab es hier noch nie viele. Aber seit der Krise bleiben selbst die Griechen, die sich hier gerne mal am Wochenende erholten, fern. Hotelbetreiber und Gastronomen klagen über Umsatzeinbußen. Dabei ist die 110 000-Einwohner-Stadt malerisch am westlichen Ufer des Pamvotida-Sees gelegen. Es gibt eine alte Stadtmauer, und im Kern spiegeln sich osmanische und byzantinische Einflüsse wider. Minarette, Kirchen und Moscheen sorgen für einen interessanten Stilmix in den Gassen. 20 000 Studenten füllen abends Bars und Cafés mit Leben. Die Kommune will das nutzen und geht neue Wege: Ionnina bewirbt sich als Kultur-Hauptstadt Europas 2021. Dafür sitzen Gaststätten-Betreiber, Hoteliers und der Einzelhandel gemeinsam an einem Tisch. „Bisher hat jeder für sich selbst gearbeitet. Jetzt tauschen wir uns aus. Es bewegt sich was“, glaubt Hotel-Manager Tsabikos Koudouris. Und so prangt am Eingang zum Gelände der weithin sichtbaren Aslan-Pascha-Moschee ein Banner mit dem lila-weißen Logo der Bewerbung.

Ein Stückchen unterhalb, am Ufer des Pamvotida-Sees, setzen Boote über zu Niki, der Insel, oder Nisaki, dem Inselchen, wie das Eiland liebevoll von den Einheimischen genannt wird. Schon vom Wasser aus sieht man das erste von sieben Klöstern. Selbst in der Nebensaison haben Souvenirgeschäfte und Tavernen an der Anlegestelle geöffnet. Für die Klöster gilt das nicht. Sie haben keine festen Öffnungszeiten. Aber der Versuch lohnt sich: In der Kirche des Klosters Philantrophinon beispielsweise schmücken bunte Malereien aus dem 16. Jahrhundert die Wände.

Ury Steinweg, Geschäftsführer des Reiseveranstalters Gebeco, glaubt, dass der Norden Griechenlands 2016 mehr Besucher anlocken wird. „Allerdings hoffen wir, dass sich die Einstellung zum Tourismus noch ein wenig ändert. Museen einfach früher zu schließen, Fahrpläne zu kürzen, Hotels bereits im Oktober dichtzumachen, das ist alles nicht gut für den Tourismus.“ Dass Steinweg recht hat, was die Einstellung seiner Landsleute in dieser Sache anbelangt, weiß auch Giannis Boutaris. Aber selbst für dieses Problem hat der eigenwillige Winzer auf dem Bürgermeisterstuhl von Thessaloniki eine Lösung parat: „Du musst den Menschen erklären, was du vorhast.

Sie mit ins Boot holen, sie motivieren, ihnen sagen: ,Du willst, dass sich etwas ändert. Dann nimm die Sache in die Hand.'“

Tipps zum Trip

Anreise: Flüge nach Griechenland werden von vielen Airlines angeboten. Aegean zum Beispiel fliegt von mehreren deutschen Städten aus nach Thessaloniki. Auch Lufthansa und Air Berlin bringen Reisende ins Zentrum Griechenlands.

Reisezeit: Die angenehmste Zeit für Rundreisen in Griechenland sind das Frühjahr und der Herbst. Dann sind die Temperaturen moderat, und die Natur zeigt sich in den schönsten Farben. Im Sommer kann es sehr warm werden.

Preisbeispiel: Reisen, die auch den Nordwesten Griechenlands berühren, bietet neben anderen der Kieler Reiseveranstalter Gebeco an. Eine 15-tägige Studienreise etwa gibt es inklusive Flug, Reiseleitung, Eintrittsgeldern, Übernachtungen und vielem mehr ab 1895 Euro pro Person. Informationen im Reisebüro, online unter www.gebeco.de oder telefonisch unter Tel.

(04 31) 5 44 60. Wandern: Der Olymp, der Berg der Götter, ist ein Massiv mit bis zu 2919 Meter hohen Gipfeln. Es wird von zahlreichen Wanderwegen durchzogen. Der Gipfelaufstieg ist von halber Höhe aus an einem Tag möglich. Vier Schutzhütten bieten bis zu 430 Schlafplätze für längere Touren an. Im Sommer ist der Olymp sehr gut besucht – auch wenn Schnee bis in den Juni hinein fallen kann.

Informationen: Marketing Greece, Voukourestiou Str. 20, 10671 Athen (Tel. 00 30 210/ 36 49 084, Internet: www.discovergreece.com, E-Mail: contact@discovergreece.com).

Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren reisen gelegentlich mit der Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Touristikunternehmen.

Fassmacher Jannis Barsoukis aus Metsovo – umringt von seinen Erzeugnissen
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Wasserfall in der Epinéasschlucht im Olympmassiv
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Der Weiße Turm, das angegraute Wahrzeichen von Thessaloniki
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