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Den Wind in der Hand
Kitesurfen: Sich auf dem Board stehend von einem Drachen über das Wasser ziehen lassen. Klingt schwierig, ist es auch. Am Achensee lernt man es in drei Tagen - wenn der Wind stimmt.
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:57 Uhr

Uns trennen 23 Meter: Wie ein Halbmond in Schwarz-Gelb hängt mein Kite über mir am Himmel. Als könnte er sich rausnehmen, wohin er demnächst fliegt. Doch die Macht über ihn habe ich. Sie liegt in meinen Händen, ist über vier dünne Schnüre mit ihm verbunden und nennt sich Kite-Bar, Lenkstange. Einziger Haken: Die Macht lässt sich meist erst nach zwei bis drei Tagen beherrschen. Dann erst seien die meisten Einsteiger fit für die ersten Fahrten mit dem Wind, sagt Daniel Gredler. Seit 2009 ist der gebürtige Innsbrucker Kitelehrer am Achensee in Tirol. Seine Kiteschule liegt in Maurach am südöstlichen Seeufer. Dort, wo das Wasser lange flach ist und im Sommer wärmer wird, als die 19 Grad in der Seemitte. Neben Achenkirch, Pertisau, Steinberg am Rofan und Wiesing ist Maurach einer der fünf Orte, die sich zur Tourismusregion Achensee zusammengeschlossen haben. Nur wenige Kilometer voneinander entfernt, umrunden sie den 719 Hektar großen und bis zu 133 Meter tiefen See. Vor 500 Jahren haben österreichische Landesfürsten, Kaiser und König den größten See Tirols für sich entdeckt – mittlerweile zieht es ganz normale Urlauber das ganze Jahr über her: im Sommer zum Segeln, Surfen und Tauchen.

Im Winter zum Skifahren und Langlaufen.

Auch Daniel Gredler verdient sich im Winter sein Geld als Ski- und Snowboardlehrer. Von Mai bis September aber führt er zusammen mit Andy Lottersberger Anfänger wie Fortgeschrittene in den Trendsport Kitesurfen ein. Und predigt Woche für Woche zunächst das Gleiche: Geduld. Auch wir fünf Anfänger wollen alle nur das eine: Möglichst bald mit dem Brett an den Füßen über das Wasser gleiten. Möglichst rasch – eine Hand an der Bar – die spiegelnde Wasseroberfläche im Rücken, der Sonne entgegenfliegen. Adrenalin und Endorphine im Doppelpack sammeln.

Tag eins aber lehrt uns: Der Wind ist ein seltenes Gut und kommt an diesem Tag leider aus der falschen Richtung. Umso mehr Zeit ist für Theorie. Wer die Macht will, muss zunächst wissen, wie die Luft am Kite an- und wieder abströmt. Er muss wissen, dass der Kite nicht einfach so am Himmel steht, sondern sich in einem Windfenster bewegt, in dem unterschiedliche Druckverhältnisse herrschen. Und er muss alle Leinen knotenfrei und unverdreht in voller 23-Meter-Länge auslegen und am Kiteschirm befestigen können.

Ist der Kite aufgepumpt und angeleint, kommen wir an die Reihe. Wir lernen, dass das Hüfttrapez so eng sitzen muss, dass der Mageninhalt nur mit Mühe unten bleibt, wie die Lenkstange an ihm eingehängt wird und wie wir den Schirm im Notfall loswerden können. Die ersten Flugversuche gibt es im grünen Gras und nicht im grünen See. Denn noch immer herrscht Südwind am Achensee. Wer jetzt auf das Wasser geht, sollte das Kitesurfen beherrschen, denn er wird aus dem flachen Einsteigerrevier hinausgetrieben in die Seemitte.

Willkommener ist da der „Nordwind“. Er kommt vor allem an heißen Sommertagen am Nachmittag, wenn sich die Berge des Karwendelgebirges rund um den See wieder abkühlen und so eine besondere Thermik entsteht. Er weht die Anfänger im Stehrevier wieder zurück an Land, sollten sie sich mit ihrem Kite nicht einig geworden sein. Und er bläst in mäßiger Stärke von drei bis vier Windstärken – für Windsurfer zu wenig, für Kite-Anfänger ideal.

Dass er manchmal ziemlich plötzlich kommt, merken wir an Tag zwei, als sich in 1693 Meter Höhe im Rofangebirge plötzlich die Bäume anfangen zu wiegen. Den windstillen Vormittag haben wir genutzt, um den Achensee von oben zu betrachten. Bei der Einkehr auf der Dalfazalm treffen wir nicht nur Paraglider und Wanderer, sondern auch viele, die mit Helm am Rucksack an uns vorbeiziehen. Acht Klettersteige in den unterschiedlichsten Schwierigkeitsgarden hat die Achenseeregion zu bieten. Für Ausgleich-sport ist also gesorgt. Rund 50 Sportarten können rund um, über oder im See betrieben werden – von Mountainbiken über Paragliding bis zum Tauchen. Eine Mehrgenerationen-Destination nennt das der Tourismusdirektor der Region, Martin Tschoner.

Dazu passen auch die Wellness-Liegen mit fantastischem Ausblick auf den fast karibisch wirkenden grün-blauen See. Der Grund für seine außergewöhnliche Färbung liegt in dem hellen Kalkstein, der durch die Wasseroberfläche schimmert. Mit dem berühmten Kaiserschmarrn der Dalfazalm-Wirtin Renate Moser im Magen fällt es da schwer, die Einladung zum Verdauungspäuschen links liegen zu lassen. Doch die Mission heißt: Kiten. Also spurten wir den Berg herunter und in die Kite-Schule hinein, denn der Wind passt.

In Neoprenanzug, Neoprenschuhen und Helm steht die Gruppe wenig später komplett am flachen Einstieg des Sees. Der Wind hat zugelegt, die ersten Kiter fegen über das Wasser. Leider klatschen auch dicke Regentropfen auf die bunten Schirme. Und: Es zucken erste Blitze über dem Karwendelgebirge auf.

Die nächste halbe Stunde verbringen wir im Schutz eines Heuschobers und nicht auf dem Wasser. Hier erklärt Daniel Gredler, dass Kiten eine reine Gefühlssache sei und nichts mit Kraft zu tun hätte. Gesteuert würde zu 80 Prozent über den Schirm und zu 20 Prozent über das Brett, auf dem man, ähnlich wie beim Wakeboarden, in Fußschlaufen steckt. „Den Fehler, den die meisten Anfänger machen, ist die Kitebar zu drehen wie beim Autofahren“, erklärt Gredler. Die Eselsbrücke bei der Bewegung aber ist das Fahrradfahren: Wie der Lenker geht auch die Kitebar auf einer unsichtbaren Linie vor und zurück.

Wie viele Kiteschüler weitermachen? „Wenn zehn Prozent dabei bleiben, ist das gut“, sagt Gredler. 100 bis 150 Anfänger hat er pro Saison. 2015 waren das überwiegend Frauen. Auch wenn sie oft mehr Respekt vor dem Sport hätten, als die Männer. Nach sechs Jahren am Achensee merkt er aber auch, dass sich das Kite-Publikum verändert: Es kommen weniger Anfänger, dafür mehr Fortgeschrittene, so der 31-Jährige. Bis in den September hinein schult er täglich, dann kommt der Fönwind, und der ist meist nicht mehr zu gebrauchen.

Wir haben Glück: Das Gewitter verzieht sich und wir machen erste Flugversuche auf dem Wasser. Wie ein Fisch am Haken geht es per sogenanntem Bodydrag hinter dem Drachen her durch das Wasser. Der Unterschied: Wir kontrollieren, wie schnell, wie lange und wohin es gehen soll. Und dann ist es so weit: Kitelehrer Andy kommt mit dem Board. Jetzt soll es aufs Brett gehen. Wasserstart üben. Im besten Fall ein paar Meter über das smaragdfarbene Nass gleiten.

Bevor Andy da ist, durchzuckt erneut ein Blitz den Himmel. Feierabend für heute. Und für dieses Wochenende. Wer Kiten lernen will, braucht Geduld – mit sich selbst und mit dem Wetter. Dafür hat er gute Gründe, wiederzukommen. Auf bald, Achensee.

Tipps zum Trip

Kurse im Kitesurfen gibt es bei Daniel Gredler am Achensee für Anfänger und Fortgeschrittene. Die Kurse dauern drei Tage, beginnen jeweils am frühen Nachmittag und kosten inklusive Leih-Material und Leih-Neoprenanzug 250 Euro pro Person. Info im Internet: www.learn2kite.at

Wer lieber gemütlich über das Wasser gleiten möchte, versucht es mit Stand-up-Paddling. Das Material kann für zehn Euro pro Stunde geliehen werden, mit Lehrer sind es 15 Euro. Stand-up-Paddling eignet sich für Kinder ab acht Jahren. Die Altersgrenze nach oben ist offen. Ein besonderer Tipp: die Early-Morning und Sundowner-Sessions mit Romantikfaktor. Preisbeispiele: Eine Übernachtung mit Frühstück kostet im 3-Sterne-Hotel ab 40 Euro pro Person im Doppelzimmer, im 4-Sterne-Hotel ab 70 Euro.

Wer auf Streifzügen die Region kennenlernen will, kann die Pauschale „Berggehnuss exklusiv“ nutzen: Vier Übernachtungen in einem Vier-Sterne-Hotel inklusive Teilnahme am Achensee Wanderprogramm, Achensee Erlebniscard sowie Wanderinformationen gibt es ab 387 Euro pro Person. Angebot gültig bis 25. Oktober 2015.

Wohnen mit Lifestyle: Seit 2009 gibt es das Vier-Sterne-Superior Hotel „Das Kronthaler“ in Achenkirch. Das inhabergeführte Haus fällt schon von außen durch seine Holzfassade und seine Lage oberhalb des Ortes auf. Holz überwiegt auch innen in Böden, Zirbel- und Altholzstuben. 99 Zimmer und Suiten bieten Kategorien zwischen 30 und 120 Quadratmetern.

Weitere Informationen gibt es bei der Achensee Tourismus, Im Rathaus 387, 6215 Achenkirch am Achensee, Tel. 00 43 (52 46) 53 00-0, Fax 00 43 (52 46) 53 33; Internet: www. achensee.com

Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren reisen gelegentlich mit Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Tourismusunternehmen.

Trockenübung: Daniel Gredler erklärt, wie sich im Notfall der Schirm lösen lässt.
Foto: Lucia Lenzen | Trockenübung: Daniel Gredler erklärt, wie sich im Notfall der Schirm lösen lässt.
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