Ganz eindeutig: Hier kann man sich körperlich auspowern. Angesagt sind Wandern, Rafting, Radfahren in den drei Tourismusregionen Val di Fassa, Val di Sole und Valsugana im Trentino, Norditaliens autonomer Provinz. Die zieht sich von den zum Unesco-Kulturerbe zählenden Dolomiten bis zum Nordzipfel des Gardasees und besticht durch vielseitige Natur in großen Schutzgebieten – rund 30 Prozent der Gesamtfläche – und durch unterschiedliches Klima: alpin in den Bergen, mediterran an den Seen. Und dann noch diese köstliche Küche . . . Wer sich auf seiner Urlaubsreise ein kalorienzehrendes Programm gibt, der kann ganz ohne spätere Reue genießen. Und wem das Wetter – wie uns – einen Strich durchs Sportprogramm macht, der hat viele Möglichkeiten, sich umzustellen. Dann gibt es eben mehr Kultur, mehr Geschichte, mehr Entspannung.
Das Ladinische lebt hier tatsächlich noch weiter
Auch kein Debakel, schon gar nicht angesichts des interessanten Auftakts im Ladinischen Museum in Pozza di Fassa, der denkbar beste Ort, um mit den Bräuchen und Sitten der Ladiner bekannt zu werden. Diese Volksgruppe hat ihre eigene Sprache, die sich aus dem Latein, das das römische Heer einst mitbrachte, und den lokalen Dialekten entwickelt hat – und „lebt“: als Alltagssprache, in offiziellen Dokumenten, in den Schulen, den Medien. Die im Museum aufbewahrten Alltagsgegenstände wie das Traggestell, mit dem Erde nach der Eisschmelze zurück auf die terrassierten Felder transportiert wurde, Schlitten, mit Schmuckmotiven verzierte Möbel im kräftig-leuchtenden Fassanerblau, Trachten, Kostüme und Masken der Figuren, die beim traditionellen Karneval nicht fehlen dürfen, zeugen von der besonderen Kultur des Tals. Dessen Felsnadeln können sich vor den Augen seiner Bewohner in schauerliche, geheimnisvolle Gestalten verwandeln, in seinen Wäldern leben wilde Wesen – sagt zumindest die Mythologie. Nicht nur die Sagen aus den „bleichen Bergen“, wie der Sagensammler Karl Felix Wolf die Dolomiten nannte, auch die Bilder mit den Figuren daraus gäben gute Grundlagen für Gruselfilme.
Im Sommer sind mehr als 400 Almen bewirtschaftet
Mannshohen hölzernen Märchen- und Sagengestalten begegnen wir während einer Fußtour von Pozza di Fassa zur „Malga Aloch“. Sie gehört zu den über 400 in den Sommermonaten bewirtschafteten Almen, in denen die mediterran-alpine Küche Bergwanderern wieder auf die Beine hilft. Wer sich erholen will, kann entspannende Stunden im Thermalzentrum QC Dolomiti einplanen. Das Wasser für diese hochmoderne, über 4300 Quadratmeter große Wellness- und Gesundheitsanlage stammt aus der Aloch-Quelle, die seit dem Altertum für ihre wohltuenden Eigenschaften und ihren Gehalt an Mineralsalzen, Schwefel, Sulfat, Kalzium und Magnesium bekannt ist.
Einkehren können Bergfreunde auch in der „Malga Stablasolo“ im Val di Rabbi. Die Alm liegt am Weg zu den Cascate di Saent. Die Wasserfälle sind unser Wanderziel. So imposant dieses Naturschauspiel auch ist, es lässt sich ebenso wenig aufs Foto bannen wie zuvor die Tibetanische Brücke über die Ragaiolo-Wasserfälle.
Einerseits verschlucken Nebel und Regen die Fotomotive, andererseits müssen die Hände frei bleiben, um sich im Bedarfsfall beim Überqueren der mehr als 100 Meter langen und rund 60 Meter über dem Gelände hängenden Brücke (Drahtgitter-Begrenzung, Gitterroste auf dem Boden) festhalten zu können. Unter diesen nassen Umständen ist der Hüttenbesuch genau das Richtige. Zumal vor dem Abstieg ins Tal auch noch ein Blick auf die angeschlossene Vor-Ort-Produktion von würzigem Bergkäse und feinem Ricotta möglich war.
Hochgebirgsketten und Bergseen sorgen für eine spektakuläre Kulisse
Inzwischen ist es trocken von oben geworden. Sonne wärmt uns den ganzen Weg zurück ins Val di Sole, dem von spektakulären Hochgebirgsketten und zahlreichen Bergseen umgebenen Tal im Nordwesten des Trentino. Es ist als Austragungsort internationaler Mountainbike-Disziplinen bekannt. Aber auch Fans von Wassersportarten wie Canyoning – darunter versteht man „Begehen“ einer Schlucht in unterschiedlichsten Varianten vom Abseilen, Abklettern über Springen, Rutschen, Schwimmen, mitunter auch Tauchen – oder (Kanu-)Rafting. Dafür bietet der Wildbach Noce mit seiner 28 Kilometer lange Rafting-Strecke unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade und während der Sommermonate ideale Bedingungen.
Wer sanftere Sportarten beziehungsweise eine sanftere Umgebung bevorzugt, den zieht es wohl eher Richtung Valsugana. Das Tal im Südosten des Trentino, östlich der Hauptstadt Trient, punktet mit seinem Reichtum an Wäldern, der urwüchsigen Natur der Lagorai-Berggruppe – und Badeseen. Der größte in dem Gebiet, der Caldonazzosee, und sein fjordähnlicher kleiner Bruder, der Levicosee, sind für ihre Wasserqualität und ihre Infrastruktur mit der europäischen Blauen Flagge ausgezeichnet worden. Badestrände und bis weit in den Herbst hinein angenehme Wassertemperaturen ermöglichen das Baden.
Naturliebhaber dürfte vor allem der Levicosee reizen. An seinem Nordufer entlang schlängelt sich der Themenweg „Strada dei pescatori“ (Fischerweg), im „Canneto di Levico“ (Schilf von Levico) tummeln sich zahlreiche Wasservögel, hier legen viele Zugvögel einen Zwischenstopp ein oder überwintern im Biotop.
Valsugana-Gäste, die mehr für ihr physisch-psychisches Wohlbefinden tun wollen, werden die wohltuende Wirkung des arsen- und eisenhaltigen Thermalwassers von Levico und seinem Ortsteil Vetriolo – einzigartig in Italien, selten in Europa – bei Bädern, Schlammkuren, Inhalationen auskosten.
Die Geschichte hat reichlich Anschauungsmaterial hinterlassen
Unser nächster Stopp aber heißt nicht Levico Terme, sondern Castel Pergine, liegt auf dem Tegazzo-Hügel oberhalb von Pergine und galt früher als Tor zum Valsugana. Ursprünglich eine römische Ansiedlung, wurde die Burg im 13. Jahrhundert zur Festung ausgebaut, seit über 100 Jahren dient sie als Herberge, als Hotel und Restaurant, Konzerte und wechselnde Kunstausstellungen finden hier in mittelalterlicher Atmosphäre statt. Der Schlosskomplex, gebildet von zwei ineinander liegenden Mauergürteln von 750 Metern Länge, umfasst einerseits den Wohnflügel aus der Renaissance-Zeit und andererseits die aus dem Mittelalter stammenden Türme und den imposanten Hauptpalas. Zeit einplanen sollte man zudem fürs Gefängnis, die gotische Kapelle, den Pfad, der um die in ihrer baulichen Substanz trotz wechselnder Besitzer beinahe intakt gebliebenen Anlage herumführt.
Eine wesentlich jüngere Festung, das Werk Colle delle Benne, zeigt sich als Teil des österreichisch-ungarischen Befestigungsriegels an der damaligen Grenze zu Italien. Erbaut zwischen 1883 und 1889, sollte von dieser und der gegenüberliegenden Festung Tenna die Provinzhauptstadt Trient gegen italienische Angriffe verteidigt werden. Dazu kam es nicht. Weil veraltet, weil sie den neuen Waffen nicht hätte standhalten können, wurde sie am Vorabend des Kriegsbeginns mit Italien, im April 1915, verlassen. Im Sommer kann die Anlage besucht werden – egal, ob im Regen oder bei Sonne.