Das St. Ermin's Hotel im Zentrum von London hat im Verlauf seiner Geschichte viele Agenten kommen und gehen sehen. Das altehrwürdige viktorianische Gebäude in der Caxton Street wurde in den 1930er Jahren vom britischen Geheimdienst als Treffpunkt genutzt. In der Caxton Bar trafen Offiziere des Geheimdiensts ihre Spione. Auch Ian Fleming – Erfinder von James Bond und selbst eine Zeit lang als Agent tätig – ging hier ein und aus. An diese bewegte Zeit erinnern noch heute Agentencodes, die – gerahmt und hinter Glas – neben dem Aufzug in der Lobby hängen. Unweit der Rezeption befindet sich ein weiteres historisches Relikt: die „Houses of Parliament Division Bell“. Da sich viele Abgeordnete gern in der Bar des Hotels aufhielten, schrillte die Alarmglocke immer dann, wenn eine Abstimmung bevorstand. Sie signalisierte den Abgeordneten, dass sie noch exakt acht Minuten Zeit hatten, rechtzeitig ins Parlament zu kommen. Gerüchten zufolge soll es auch einen Tunnel gegeben haben, der vom Hotel aus direkt ins Parlament führte. Der ist aber so geheim, dass ihn bis heute niemand entdeckt hat.
Die Nähe zum Parlament, zur Geheimdienstzentrale und nicht zuletzt die Hotelbar führten dazu, dass sich auch Winston Churchill oft im St. Ermin's Hotel aufhielt. In der Bar trank er seinen Lieblingschampagner, das Hotel selbst wurde während des Zweiten Weltkriegs zum Hauptquartier der von dem britischen Premier ins Leben gerufenen nachrichtendienstlichen Spezialeinheit SOE: Die auch als „Churchills Geheimarmee“ bezeichnete Planungsgruppe nahm zeitweilig ein ganzes Stockwerk ein. Unweit des Hotels mitten in Westminster, nur fünf Minuten Fußweg entfernt, befand sich auch die geheime Kommandozentrale, von der aus Churchill und sein Kriegskabinett die Einsätze der britischen Armee geplant und geleitet haben: die Cabinet War Rooms.
Hier bekommt der Begriff London Underground eine ganz neue Bedeutung. An der Rückseite der Ministeriumsgebäude von Whitehall führen Treppenstufen hinunter in den unterirdischen Bunker, der heute Museum ist. Bis zu drei Meter dicke Betondecken sollten das Kabinett vor deutschen Luftangriffen schützen. Das Landkartenzimmer, in dem die Truppenbewegungen dokumentiert wurden, sieht mit seinen Telefonen und vollgepackten Schreibtischen aus wie damals. Im transatlantischen Telefonraum konnte eine direkte Verbindung zum Weißen Haus in Washington hergestellt werden. Auf der Lehne von Churchills Stuhl im Besprechungszimmer sind Kerben zu sehen, weil der britische Premier, wenn er sich in Rage redete, mit der rechten Hand, an der er seinen Ehering trug, oft auf sie einhämmerte.
Churchill hat Spuren hinterlassen – und Geschichte geschrieben. Ohne seinen Widerstand gegen das Naziregime und Hitler, den er als Verkörperung des Hasses und „Missgeburt aus Neid und Schande“ bezeichnete, wäre der Zweite Weltkrieg vermutlich anders verlaufen. „Ohne Churchill hätte Hitler triumphiert“ – davon war nicht nur der Historiker Sebastian Haffner überzeugt. Durch sein entschlossenes Handeln schmiedete Churchill Allianzen gegen Hitler, durch seine aufrüttelnden Reden stärkte er den Widerstandswillen seiner Landsleute. Der Premierminister der Jahre 1940-1945 (im Jahr 1951 gewann er die Wahlen ein zweites Mal) gilt als „Mann des Jahrhunderts“, laut einer BBC-Umfrage sogar als „der größte Brite aller Zeiten“. Er selbst sagte über sich einmal: „Alle Menschen sind Würmer. Aber ich glaube, ich bin ein Glühwurm.“
Nach allem, was man über Churchill weiß, war er ein humorvoller und warmherziger Mensch, er konnte aber auch bissig und angriffslustig sein wie eine britische Bulldogge, an die seine Physiognomie ja zuweilen auch erinnerte. Leiblichen Genüssen war er nicht abgeneigt. Zu seinen „heiligen Riten“ zählte er das Rauchen von Zigarren und das Trinken von Alkohol „vor, nach und wenn nötig auch während der Mahlzeiten“, wie er selbst sagte. Er bevorzugte kubanische Zigarren, französischen Champagner, armenischen Brandy und schottischen Whisky. Auch Churchills private Seiten kommen in den Cabinet War Rooms nicht zu kurz: Das dort untergebrachte Churchill-Museum zeigt – wie auch die neu eröffnete Ausstellung im Blenheim Palace bei Oxford – zahlreiche Dokumente und Erinnerungsstücke aus Churchills 90-jährigem Leben: Fotografien, Filmsequenzen, Audio-Mitschnitte berühmter Reden, Gemälde und Bücher. Denn Churchill war nicht nur ein passionierter Politiker und Stratege, Trinker und Raucher, sondern auch ein gefeierter Autor, dessen Werk umfangreicher ist als das von William Shakespeare oder Charles Dickens. 1953 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Zu Churchills bekanntesten Büchern zählt das Werk über seinen berühmten Vorfahren John Churchill, den Herzog von Marlborough, dem Queen Anne für seinen Sieg in der Schlacht von Blindheim (englisch: Blenheim) 1704 ein Schloss schenkte. Blenheim Palace ist ein gewaltiger Barockpalast in einem riesigen Park mit uralten Eichen und einem See, über den eine steinerne Brücke zu einer Siegessäule führt. Schöne Aussichten bieten sich hier allerorten, die schönste vielleicht gleich nach der Einfahrt durch das Torhaus. „Das ist Englands schönster Blick“, sagte Churchills Vater Randolph stolz. William Turner malte diese Aussicht, und selbst Englands König George III. meinte: „Es gibt nichts, was mit dem hier vergleichbar wäre.“
Kein Wunder, dass dieser Ort auch die Filmwelt anzog: Eine Szene aus dem Epos um den Zauberlehrling Harry Potter spielt an der großen Zeder vor der Brücke, eine Szene des nächsten James-Bond-Films „Spectre“, der gerade gedreht wird, nutzt den Vorplatz des Palasts als Kulisse. In dem Souvenirshop, den man nach dem Durchschreiten der prunkvollen Schlossräume erreicht, werden neben Büchern und Postkarten Churchill-Büsten, -Zigarren oder -Champagner angeboten.
Winston Churchill, ein Cousin des 9. Herzogs von Marlborough, lebte bis zu seinem Tod am 24. Januar 1965 mit seiner Familie auf dem Landsitz Chartwell Manor in Wes-terham in der Grafschaft Kent. In Blenheim Palace war er nur zu Besuch, aber oft und gerne – und von Anfang an. „In Blenheim habe ich zwei sehr wichtige Entscheidungen getroffen: geboren zu werden und zu heiraten“, stellte er fest. Er wollte dort auch seine letzte Ruhe finden: Auf dem kleinen Friedhof des Dorfs Bladon unweit des Palasts wurde Churchill beigesetzt. Eine schlichte Steinplatte markiert sein Grab. Dafür ist das Denkmal, das ihm mitten in London errichtet wurde, umso größer. Vom Verkehr umtost, steht das wuchtige, überlebensgroße Standbild direkt gegenüber dem Parlamentsgebäude.
„Don't do what Churchill did“, mahnt Hilary Ratcliffe von London Walks bei der Führung auf Churchills Spuren durch die britische Hauptstadt. Obwohl für viele ein Vorbild, gibt es Situationen, in denen es ratsam ist, es Churchill nicht gleichzutun. Als dieser 1931 in New York die Straße überqueren wollte, blickte er, an den Linksverkehr in England gewohnt, auf die falsche Seite, wurde von einem Auto erfasst und zog sich dabei schwere Verletzungen zu.
Für einen Spaziergang auf den Spuren Churchills durch London, der unter anderem am Parlament und den Regierungsgebäuden von Whitehall vorbeiführt, bietet sich als Schlusspunkt der Besuch des Pubs „Churchill Arms“ im Stadtteil Kensington an. In dem Lokal, das Churchills Großeltern oft besuchten, dreht sich optisch alles um deren berühmten Enkel: Gerahmte Churchill-Fotografien an den Wänden, Churchill-Büsten und Porzellanfiguren hinter dem Tresen. Sogar bis auf die Toilette wird man von dem britischen Staatsmann verfolgt: Sein Motto „Let us go forward together“ (Lasst uns gemeinsam voranschreiten) ist hier auf einem Plakat an der Tür zu lesen. Ich schaue mich um: Alle anderen im Pub bleiben trotz Churchills Aufforderung sitzen oder an der Theke stehen. Egal. Manchmal muss man eben voranschreiten. Notfalls auch alleine.
Tipps zum Trip
Information: Über Reisen nach Großbritannien informieren die Websites des Britischen Fremdenverkehrsamts www.visitbritain.com und www.visitbritainshop.de Unterkunft: In London gibt es Unterkünfte jeder Preisklasse. Das Vier-Sterne-Hotel St. Ermin's in der Caxton Street in Westminster hat nicht nur eine geheimnisvolle Vergangenheit (siehe Bericht), sondern liegt auch sehr zentral zwischen dem Buckingham Palast, Big Ben und den Cabinet War Rooms. Das Zimmer gibt es ab 209 Pfund (rund 280 Euro). Information: www.sterminshotel.co.uk Churchill Arms Pub: Die Gaststätte ist angefüllt mit Gegenständen, die an Churchill erinnern. Im thailändischen Restaurant gibt es Hauptgerichte für 8,50 Pfund (rund zwölf Euro). Der Churchill Arms Pub (119 Kensington Church Street) ist ein beliebter Treffpunkt nicht nur für Churchill-Fans und fünf Minuten Fußweg von der U-Bahn-Station Notting Hill entfernt. Info: churchillarmskensington.co.uk Erkundungen: London Walks bietet diverse Themenspaziergänge (neun Pfund pro Person) an, darunter auch eine etwa zweistündige Tour auf den Spuren Churchills. Ab 1. Mai werden auch Tagesausflüge nach Blenheim Palace und Oxford organisiert für 65 Pfund pro Person (90 Euro). Info: www.walks.com. Für eine individuelle Tour nach Blenheim Palace fährt man am besten ab London mit Bus oder Bahn nach Oxford, von dort gibt es einen direkten Bus nach Blenheim Palace. Cabinet War Rooms: www.iwm.org.uk Blenheim Palace: www.blenheimpalace.com Buchtipp: Eine sehr informative, unterhaltsam und spannend geschriebene Einführung in das Leben des britischen Politikers bietet Sebastian Haffners Buch „Winston Churchill“ (Rowohlt Verlag, 208 Seiten, 8,99 Euro).