Pyramiden gibt es in Groß und Klein. Sogar dort, wo man sie nicht unbedingt vermutet – etwa mitten in der Hotelzone von Cancún. Zwischen Palmen und Mangrovenbäumen steht einer der alten Maya-Tempel, kaum größer als ein Einfamilienhaus. Auf den verwitterten Mauern nehmen Leguane ein Sonnenbad. San Miguelito heißt der Ort unweit des Maya-Museums von Cancún, in dem Götterfiguren aus Stein und Ton, Zeugen dieser untergegangenen Welt, zu sehen sind. Am Rande des Boulevard Kukulcán haben weitere Orte der Maya wie die Pyramide von El Rey oder Reste des Tempels von Pok-ta-Pok die Zeiten überdauert – in unmittelbarer Nähe der kilometerlangen Sandstrände am türkisblauen Meer, die Urlauber in Scharen an die Riviera Maya locken. Aber aufregender und interessanter ist es vielleicht doch im grünen Hinterland. Und dort geht es jetzt hin.
Vor dem Hotel steht Häuptling Weiße Feder neben seinem Kleinbus. Er ist 78 Jahre alt, trägt lange graue Haare, kurze Jeans, T-Shirt, Sportschuhe und einen mit bunten Federn geschmückten Schamanenstab, der wohl irgendwelche Geister besänftigen soll. Schaden kann es nicht. Häuptling Weiße Feder, der fließend Deutsch spricht, ist Fremdenführer und Fahrer in einer Person. Die viertägige Rundreise zu Stätten der Maya beginnt. Erste Station ist Uxmal. Kurz vor dem Ziel, nach einer stundenlangen Fahrt durch flaches, grünes Buschland, wird die Landschaft hügelig. „Hier beginnen die Maya-Alpen“ sagt Häuptling Weiße Feder. Die Maya sind von eher kleiner Statur. Ihre Hügel sind es – zumindest im Bundesstaat Yucatán – auch.
Zur Pyramide des Zauberers
Dafür erhebt sich die Pyramide des Zauberers in Uxmal umso eindrucksvoller. 118 Stufen führen bis zur Spitze in 35 Metern Höhe hinauf. Der ovale Grundriss des Bauwerks, das auf mehreren Ebenen einst drei Tempeln Platz bot, ist einzigartig in der Architektur der Maya. Die Legende erzählt, dass ein Zauberer die Pyramide an nur einem Tag erbaute. Archäologen neigen eher der Auffassung zu, dass sie über einen längeren Zeitraum hinweg von sehr vielen Menschen errichtet wurde. Einen besonderen Zauber hat das Bauwerk trotzdem. Ein paar Hundert Meter weiter führt die Steintreppe einer weiteren Pyramide himmelwärts. Uxmal war vor rund tausend Jahren eine Großstadt. Der Ballspielplatz, der Palast und die Gebäude um den Versammlungsplatz mit ihren kunstvoll verzierten Fassaden, auf denen mäanderartige Ornamente, Bildnisse des Regengottes Chac und anderer Figuren aus der Maya-Mythologie zu sehen sind, sind nur einige der Bauten der Ruinenstätte. Selbst außerhalb des umzäunten Ausgrabungsgeländes, mitten in der Anlage des Hotels „The Lodge at Uxmal“, finden sich Reste von Maya-Bauten.
Auch in der alten Kolonialstadt Mérida rund 80 Kilometer nördlich von Uxmal haben die Maya Spuren hinterlassen, allerdings – von den Beständen eines Museums abgesehen – nur in Form von Baumaterial: Die Mauern der Kathedrale und anderer Prachtbauten der heutigen Millionenstadt wurden aus Steinen von Maya-Ruinen errichtet. In Mérida residierte einst Diego de Landa, der die Maya missionierte. Der spätere Bischof von Yucatán ließ 1562 in einem Anfall religiöser Verblendung die Schriften der Maya verbrennen, weil sie seiner Meinung nach „nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschungen des Teufels frei wäre“. Auf Diego de Landa ist Häuptling Weiße Feder daher nicht gut zu sprechen. Zu dem religiösen Eiferer fallen ihm nur Ausdrücke ein, die nicht wirklich zitierfähig sind. Man mag ihm da kaum widersprechen.
Nächste Station ist die Maya-Stadt Chichén Itzá. Ein Witzbold im Bus nennt sie „Chicken Pizza“. Hoffentlich hat das Häuptling Weiße Feder nicht gehört. Vorher noch ein Abstecher zur Hacienda Sotuta de Peón, in der aus den Fasern der Henequén-Agave Seile und Stricke gefertigt werden. Einst war die Verarbeitung der widerstandsfähigen Faser, die schon die Maya zum Bewegen großer Steinblöcke nutzten, ein Millionengeschäft, das Plantagen in ganz Yucatán aus dem Boden sprießen ließ. Heute sind die Plantagen meist verfallen. Dafür ist die Zeit der Maya neu angebrochen: Ihre alten Städte, zum Teil noch immer unter tropischen Pflanzenwucherungen versteckt, werden wieder ausgegraben und bringen Touristen ins Land.
„Wir fahren weiter nach Chicken Pizza!“, sagt Häuptling Weiße Feder plötzlich mit unbewegter Miene. Er hat es also doch gehört. Chichén Itzá ist die am besten restaurierte Maya-Stadt. Die wichtigsten Kultstätten wurden wieder freigelegt – darunter das Himmelsobservatorium, der Ballspielplatz, auf dem ein schwerer Hartgummiball durch einen steinernen Ring befördert werden musste, der Tempel der Krieger und vor allem die Pyramide des Kukulcán: 30 Meter ist sie hoch, auf jeder ihrer vier Seiten führt eine Treppe mit 91 Stufen nach oben zum Tempel, der wiederum auf einer eigenen Stufe steht. Zusammengerechnet ergibt das 365 Stufen – genau so viele, wie das Jahr Tage hat. 52 Platten an jeder Seite der Pyramide entsprechen der Zahl der Wochen eines Jahres.
Zweimal im Jahr, zur Tag- und Nachtgleiche im März und September, kann man hier den Herabstieg des Gottes Kukulcán, der großen gefiederten Schlange, beobachten: Nämlich dann, erklärt Häuptling Weiße Feder, wenn sich durch Schatten, die die Kante der Pyramide auf die Treppe wirft, bewegliche Dreiecke aus Licht bilden – was so aussieht, als ob eine riesige Schlange langsam zur Erde hinab kriecht. Es ist also einiges geboten in „Chicken Pizza“.
Maya-Tempel an der Karibikküste
Ruhiger als in dem überlaufenen Chichén Itzá geht es in Cobá zu. Rund 50 000 Menschen lebten einst in dieser 70 Quadratkilometer großen Maya-Stadt mitten im Dschungel. Das Ausgrabungsgelände ist so groß, dass es sich empfiehlt, ein Fahrrad zu mieten – oder in die Rikscha umzusteigen. Hauptattraktion von Cobá ist die Pyramide Nohoch Mul, mit 42 Metern die höchste in Yucatán. Gar keine Frage: Die Welt der Maya war eine Hochkultur. Anders als in Chichén Itzá darf man die Pyramide in Cobá besteigen. Häuptling Weiße Feder, trotz seiner 78 Jahre erstaunlich gut zu Fuß, geht schon mal vor und sagt: „Ich warte dann oben auf euch.“ Und das tut er dann auch.
121 Stufen führen zur Tempelplattform. Nach oben hin werden sie immer steiler. In der Mitte der Steintreppe ist ein Seil befestigt, an dem sich schwankende Gestalten festhalten können. Manche kriechen aus Angst vor dem Absturz auf allen vieren hinauf – und ebenso wieder hinunter. Es ist ein bisschen wie Bergsteigen. Wer den Aufstieg geschafft hat, wird mit einem Blick auf Baumwipfel, Ruinen und Seen belohnt. In denen sollte man aber nicht baden, weil sich dort Krokodile herumtreiben, sondern lieber in den sogenannten Cenotes – natürlichen Wasserspeichern in unterirdischen, höhlenartigen Gebilden, die schon von den Maya genutzt und vielerorts auf der Halbinsel Yucatán zu Badestellen ausgebaut wurden.
Nach viertägiger Rundreise durch das Landesinnere ist das Meer wieder erreicht. Die Reise rundet sich, denn in Tulúm, der Tempelstadt an der Karibikküste, finden Maya-Architektur und Meeresrauschen zusammen: Auf Felsen hoch über dem Wasser erheben sich Maya-Ruinen, während unten die Wellen an den weißen Sandstrand rollen. Ein fast unwirklich schöner Anblick. Die Wolken ziehen am Himmel dahin. Häuptling Weiße Feder zieht weiter, neuen Reisegruppen entgegen. Und viele Besucher von Tulúm zieht es nun an den Strand, zum Baden – und zum Sandburgenbauen. Die kleinen Festungen aus feuchtem Sand am Strand sehen aber nicht aus wie die sonst üblichen Ritterburgen, sondern wie die Pyramiden aus Cobá, aus Uxmal – oder aus „Chicken Pizza“. Maya-Pyramiden gibt es hier eben in allen Größen – auch dort, wo man sie nicht vermutet.
Tipps zum Trip
Information: Die Webseite des Mexikanischen Rats für Tourismusförderung informiert über alle Regionen: www.visitmexico.com Anreise: Zur Einreise nach Mexiko benötigen Bundesbürger einen noch mindestens sechs Monate gültigen Reisepass. Impfungen sind nicht vorgeschrieben. Die Fluggesellschaft Tuifly bietet Direktflüge von Hamburg und Frankfurt nach Cancún an. Preisbeispiele: Zahlreiche Veranstalter haben Rundreisen durch Mexiko im Programm, die mit Badeurlaub kombinierbar sind. Bei Tui ist die sechstägige Rundreise „Im Reich der Maya“ mit fünf Übernachtungen, Teilpension und Stopps unter anderem in Tulúm, Cobá, Uxmal, Chichén Itzá, Ek Balám, Mérida und Valladolid ab/bis Cancún zum Beispiel ab 807 Euro pro Person buchbar (ohne Flug). Die viertägige Kurzrundreise „Höhepunkte Yucatáns“ gibt es ab/bis Cancún ab 371 Euro. Von Hotels aus werden auch Tagesausflüge zu Maya-Städten wie Chichén Itzá oder Tulúm angeboten. Strandhotels: An der Karibikküste Yucatáns konzentrieren sich vor allem in Cancún und an der Playa del Carmen Hotels jeder Größenordnung und Preisklasse. Eine Woche im Fünf-Sterne-Hotel Sensimar Riviera Maya mit All-Inclusive-Verpflegung gibt es zum Beispiel mit Flug ab 1438 Euro pro Person. Eine Woche im Fünf-Sterne-Hotel Riu Palace Mexiko (All Inclusive) an der Playa del Carmen kostet mit Flug ab 1695 Euro. Information im Reisebüro oder unter www.tui.com/fernreisen