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ACHENSEE
Achensee: Der Natur auf der Winterspur
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:17 Uhr
„Viele Leute sagen, im Winter gibt es in der Natur nichts anzuschauen. Aber das stimmt nicht.“
Sebastian Pilloni, Naturpark-Ranger

Schaut her, da hat der Fuchs geschnürt.“ Geschnürt? Fragezeichen stehen in den Gesichtern. Das muss Sebastian Pilloni gleich erklären. Der 36-Jährige in Ranger im Naturpark Karwendel. Wir sind mit ihm aufgebrochen, in Achenkirch am Ufer des Achensees gestartet, zu einer naturkundlichen Schneeschuhwanderung ins Gebirge.

Traumwetter heute. Knackige Minustemperaturen, kurz vor zweistellig, herrlicher Sonnenschein. Und dann dieser wunderbare jungfräuliche Schnee. Dank der Schneeschuhe, dieser Hightech-Teller, die sich am besten unter (wasserfeste) Wanderschuhe schnallen lassen, sind wir gleich, abseits vorbestimmter Wege, mittendrin in der Natur.

Und von der gibt es hier reichlich. Der Naturpark Karwendel, gegründet 1928, ist mit fast 730 Hektar Fläche der größte Naturpark Österreichs. Begrenzt wird er im Norden von Bayern, im Süden vom Inntal, von West nach Ost erstreckt er sich vom Seefeld-Plateau eben bis zum Achensee. Obwohl die Metropole München und die Alpenstadt Innsbruck nicht weit sind, ist die Berglandschaft hier reichlich unberührt. Ein „überdurchschnittlich hoher Anteil“ (Pilloni) an Urwäldern und Wildflüssen – die Isar entspringt hier – sorgt für große Artenvielfalt bei Flora und Fauna. Die einzige Siedlung ist Hinterriß, ein 35-Einwohner-Weiler, im Sommer kommen ein paar bewirtschaftete Almen hinzu.

„Haltet die Augen offen...“

Ganz so weit weg von der Zivilisation zieht es uns heute nicht. Denn so schnell geht es mit den Schneeschuhen nicht voran. Und das ist gut so. „Haltet die Augen offen, es gibt so viel zu gucken“, schwärmt Pilloni. Der Biologe deutet auf Spuren im Schnee. Kleine Abdrücke, dicht hintereinander, aufgereiht wie an einer Perlenschnur. „Hier ist eindeutig ein Fuchs entlanggeschlichen.“ Oder wie Fachleute eben sagen: „Da hat der Fuchs geschnürt.“

Kaum sind wir ums Eck gelaufen, die nächste Spur. „Hirsche waren hier, die Abdrücke sind größer als beim Reh.“ Und noch ein paar Schritte weiter, wir sind jetzt mittendrin im Wald, freut sich der Experte: „Hier ist ein Hase gemütlich entlang gehoppelt.“

Gemütlichkeit ist ein gutes Stichwort. Hektik kommt bei unserem Winterspaziergang keine auf. Schneeschuhwandern ist eine klasse Alternative zum sportlichen Treiben auf Pisten und Loipen. Und mit Pilloni lernt man dabei. „Viele Leute sagen, im Winter gibt es in der Natur nichts anzuschauen. Aber das stimmt nicht. In der Regel sieht man sogar mehr.“ Schneehühner und Auerhühner, Wiesel und Marder, der Biologe hat die Tierwelt des Karwendels rasch identifiziert. Wir Laien staunen.

„Gucken, riechen, hinhören“

„Bleibt ein bisschen zusammen“, mahnt der Ranger. Gerade im Winter brauche es Spielregeln für den Mensch in der Natur. Der Energiebedarf eines Tieres ist wegen der Temperaturen und der schwierigen Bedingungen etwa für die Nahrungssuche „ungefähr sieben Mal so hoch wie im Sommer“.

Da sollte man es vermeiden, sie in ihrer Winterruhe unnötig aufzuschrecken. „Man erlebt auch so genug. Einfach immer mal anhalten, gucken, riechen, genau hinhören.“ Ah, Spechte gibt?s auch im Karwendel-Gebirge.

In der nächsten Pause schnappt sich Pilloni einen Ast. „Welcher Baum ist das?“ So kahl wie er dasteht, eine gemeine Frage. „Buche?“ „Ahorn?“ Wenn man keine Ahnung hat, ist Schweigen meist besser. „Eberesche oder Vogelbeere.“ Der Experte bestimmt den Baum anhand der Knospen, die auch im Winter sichtbar sind. Eine Knospe klaut er dem Baum, fieselt sie auf. Schicht für Schicht kommt ein dünnes Blatt zum Vorschein. „Das liegt schon für den Frühling bereit, treibt aber nicht aus.“ Auch der Baum muss im Winter Kräfte sparen, aus dem gefrorenen Boden kann er kein Wasser ziehen.

Zwischen zweieinhalb und sechs Stunden dauern die Wandertouren, die Ranger wie Pilloni im Winter anbieten. Gemächlich geht?s voran, auf die Kilometer kommt es beim Stapfen durch den Schnee nicht an. Gut aber, dass wir dick eingepackt sind. Denn zwischen den Bäumen wird?s mit der Zeit schon schattig. Umso schöner, als sich der Wald plötzlich zu einer großen Lichtung öffnet. Während wir Banausen in unseren Rucksäcken nach Sonnenbrillen kramen, hat der Biologe längst Besseres entdeckt. „Schaut, da oben am Fels, das dunkle Tier mit dem weißen Kopf.“

Tatsächlich, in einer Nische auf dem steilen Südhang, in nicht mal hundert Meter Entfernung, liegt eine Gämse. Offensichtlich genießt auch sie die Sonne. Pilloni packt sein Fernglas aus. Jeder will es haben und das Tier ganz nah sehen. Da entdeckt ein Wanderer auf den Steinen nebenan noch eine weitere Gams. Toll, was die Winterlandschaft zu bieten hat.

22 Adlerpaare

Unser Ranger nutzt die Euphorie, um auch noch ein wenig von den Steinadlern zu plaudern. 22 Brutpaare leben im Karwendel, die größte Adlerdichte in den Alpen. Manchmal seien sie auch im Winter zu sehen. Heute tun sie uns den Gefallen aber nicht.

Der Weg zurück führt uns wieder an den Achensee. Das Tiroler Meer mit den Dörfern Achenkirch, Maurach und Pertisau ist das touristische Zentrum der Region. Im gleißenden Sonnenlicht, vor der Bergkulisse, erinnert der tiefblaue See an norwegische Fjorde. Auf 930 Meter Höhe, 400 Meter über dem Inntal, gelegen, friert der Achensse mit seinen 720 Hektar Wasserfläche auch in Wintern wie diesen nicht zu. Bis zu 133 Meter Wassertiefe verhindern das.

Die Tiroler Bergwelt lockt Wintersportler. Aber sie lädt auch zu Entspannung ein. Wellness, das ist die Ergänzung zum Schneeschuhwandern. Und in dieser Gegend muss es eigentlich ein Bad in Steinöl oder eine Massage mit Steinöl sein. Steinöl, das ist das Naturprodukt, das die Familie Albrecht seit über hundert Jahren aus den Karwendel-Bergen holt. Hermann Albrecht führt das 20-Mann-Unternehmen mit zwei Cousins in der dritten Generation.

Naturprodukt Steinöl

Steinöl entsteht beim Verschwelen von Ölschiefer, wie er im deutschsprachigen Raum nur im Bächental über dem Achensee zu finden ist. Im Tagebau wird der Schiefer aus dem Berg geklopft und dann weiterverarbeitet. Eine entbehrungsreiche Arbeit nach wie vor, wie Besucher im Betriebsmuseum, dem „Erlebniszentrum Vitalberg“ in Pertisau eindringlich demonstriert bekommen. Aber das Öl ist als Tiroler Naturprodukt gefragter denn je. Verwendung findet es in der Medizin für Mensch und Tier, vor allem aber in der Kosmetik. „Steinölsalbe fördert die Durchblutung, andere Steinöl-Produkte entspannen Muskulatur und Haut“, versichert Hermann Albrecht. Also, rein damit in die Badewanne. Und ein bisschen von schnürenden Füchsen träumen.

Tipps zum Trip

Info: Achensee Tourismus, Rathaus 387, A-6215 Achenkirch; Tel. 00 43/52 46/5 30 00; Internet: www.achensee.com

Anreise: Mit dem Auto über München auf der A 8 bis Holzkirchen, dann weiter über Tegernsee und Achenpass. Mit der Bahn bis München; von dort IC/EC Richtung Venedig/ Verona bis Jenbach. Weiter mit dem Bus: Hotelreservierung gilt als Ticket; vor Ort gibt's die Gästekarte zur kostenlosen ÖPNV-Nutzung.

Preisbeispiele: Eine Woche für zwei Personen kostet in der Ferienwohnung ab 350 Euro, in der Frühstückspension ab 420 Euro, im Vier-Sterne-Hotel (mit Halbpension) ab 1190 Euro und im Fünf-Sterne-Posthotel in Achenkirch ab 1932 Euro.

Ski: Für Ski alpin gibt es vier Gebiete am Achensee, zu erreichen mit 30 Seilbahnen und Liften. 53 Kilometer Pisten sind präpariert (teilweise beschneibar). Für Langläufer sind 114 Kilometer klassische Loipen gespurt. Hinzu kommen 103 Kilometer Skating-Loipen.

Schneeschuhwandern: Geführte Wanderungen durch den Naturpark Karwendel starten dreimal in der Woche. Die Touren unter dem Motto „Auf den Spuren der Wildtiere“ dauern zwischen 2,5 und sechs Stunden. Preis: 15 Euro (inklusive Schneeschuhe und Stöcke). Info: www.achensee.com. Viele Sportgeschäfte in der Region bieten ebenfalls Schneeschuhe und Stöcke zum Ausleihen an.

Rodeltipp: Richtig romantisch wird's abends an der Schlittenbahn am „Waldhäusl“ in Steinberg am Rofan. Alex und Robert, die Wirtsleute, knipsen die Glühbirnen an, um 1400 Meter Rodelpiste zu beleuchten. Hinterher heißt's Einkehren zu Tiroler Gröstl, Graukassuppe und Kaiserschmarrn.

Tiroler Steinöl: Das „Erlebniszentrum“ zur Geschichte des Tiroler Ölschiefers und der Steinöl-Produktion in Pertisau ist im Winter täglich von 9 bis 17 Uhr, im Sommer von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: Erwachsene 8,50 Euro (Gästekarte 7,50 Euro), Kinder 4,30 Euro. Internet: vitalberg.at micz

Schneeschuhe sind einfach zu bedienen.
Foto: Michael Czygan | Schneeschuhe sind einfach zu bedienen.
Marterl bei Achenkirch.
Foto: Michael Czygan | Marterl bei Achenkirch.
Blick auf den Achensee bei Pertisau.
Foto: Michael Czygan | Blick auf den Achensee bei Pertisau.
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