Nikos Anastasiades gehört im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs nicht gerade zu den Schwergewichten. Denn der 69-Jährige herrscht als Präsident gerade mal über eine halbe Insel: Zypern ist seit 1983 geteilt, lediglich der südliche Teil gehört seit 2004 der EU an, den nördlichen beansprucht die Türkei für sich. Dennoch könnte der zyprische Staatschef den Deal der EU mit Ankara beim Brüsseler Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag zu Fall bringen.
Am Dienstag kündigte der Präsident bei einem Besuch von EU-Ratspräsident Donald Tusk an: „Zypern wird nicht der Öffnung neuer Verhandlungskapitel zustimmen, solange die Türkei ihre Verpflichtungen nicht erfüllt.“ Ein solches Veto würde ausreichen, um die Forderung des türkischen Premierministers Ahmet Davutoglu für zügigere Beitrittsverhandlungen zu Fall zu bringen. Die Insel-Regierung fordert ein spürbares Entgegenkommen. Ankara müsse erlauben, dass zyprische Schiffe und Flugzeuge wieder türkische Häfen und Airports ansteuern dürfen. Die Regierung am Bosporus schweigt dazu.
Stichtag für Grenzschließung
Dabei scheinen die übrigen Gespräche für eine Abmachung zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms einigermaßen gut voranzukommen. Inzwischen zeichnet sich ab, wie die von den Europäern angestrebte Lösung aussehen könnte. Ab einem bestimmten Stichtag schließt Ankara seine Grenzen, die Flüchtlinge, die bis dahin auf den griechischen Inseln ankamen, werden nach Athen gebracht.
Ab dann nimmt Ankara jeden Hilfesuchenden, der in Lesbos, Chiros oder auf einem anderen Eiland landet, zurück. Im Gegenzug darf ein syrischer Auswanderer per Flugzeug direkt in die EU reisen. Die Auswahl treffen Experten des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR). Parallel dazu soll die Lage in Idomeni entspannt werden – durch neue Unterkünfte (für die die EU sechs Milliarden Euro zu zahlen bereit ist) und durch eine weitere Verteilung in Richtung EU-Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung zeigte sich überzeugt, dass das bereits von allen Ländern bewilligte Kontingent von 160 000 nicht überschritten wird. Skepsis bleibt allerdings.
Nicht nur Frankreichs Staatspräsident François Hollande, sondern auch zahlreiche weitere Amtskollegen betonten in den zurückliegenden Tagen, dass sich Ankara verpflichten müsse, die Flüchtlingskonvention der UN einzuhalten. Dazu zählt nicht nur die humanitäre Aufnahme, sondern auch die Zusage, die Flüchtlinge nicht in Länder abzuschieben, in denen Gefahr für ihr Leben droht.
Furcht vor laschen Kontrollen
Der eigentliche Knackpunkt der Verhandlungen aber blieb bisher noch ungelöst: Die türkische Forderung nach Visa-Freiheit für Reisen in die EU löst Ängste aus. Pessimisten warnen vor einer neuen Welle an Zuwanderern, wenn nach dem Wegfall der Einreise-Formalitäten ab Juni Hunderttausende Türken sich Richtung EU aufmachen könnten. Hinzu kommen die Befürchtungen der Innenpolitiker, die Kontrollen könnten zu lasch ausfallen und Terroristen in Europa einfallen.
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere fordert deshalb: „Für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen kriminelle Banden und illegale Migration ist es notwendig, dass wir künftig Zeitpunkt und Ort der Ein- sowie der Ausreise von Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum erfassen.“ Für ein solches Reise-Register müsste Ankara seine Pässe mit biometrischen Daten zumindest um Fingerabdrücke erweitern.
Die Hoffnung auf eine gute europäische Lösung hat allerdings gestern einen Rückschlag erlitten. Ungarns Premier Viktor Orbán schimpfte einmal mehr auf die Flüchtlinge und indirekt auch auf Deutschland, als er vor Plänen zur „Zerstörung Europas“ warnte, die von „unverbesserlichen Kämpfern für die Menschenrechte“ geschmiedet würden. „Wenn wir die Völkerwanderung stoppen wollen, müssen wir Brüssel bremsen“, erklärte er weiter. Es gehe darum, zu verhindern, dass „Banden Jagd auf unsere Frauen und Mädchen machen“.