Die Woche der Entscheidung beginnt mit einem gehörigen Schuss Skepsis. Dass die Grünen sich inhaltlich und personell neu aufstellten, sagt Claudia Roth am Montagmorgen auf dem Weg in den Parteivorstand, bedeute nicht, dass sie sich jetzt kompatibel machten für eine Koalition mit CDU und CSU. Vor dem zweiten Treffen der Grünen mit der Union am heutigen Dienstag klingt die scheidende Vorsitzende alles andere als zuversichtlich. Auch sie weiß: In Berlin stehen die Zeichen längst auf Große Koalition.
Sechs Stunden später treffen sich die 21 Unterhändler von CDU, CSU und SPD zu ihrem zweiten Sondierungsgespräch, dem im Lauf der Woche vermutlich noch ein drittes und entscheidendes folgen soll. Wie weit sich beide Seiten schon angenähert haben, bleibt zunächst allerdings unklar – bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe saß die Runde noch in der feinen Parlamentarischen Gesellschaft direkt am Reichstag zusammen.
Hauptthema Mindestlohn
Dem Vernehmen nach pocht die SPD vor allem in der Arbeitsmarktpolitik auf konkrete Zugeständnisse. Themen wie der Mindestlohn und die Probleme mit der Zeit- und Leiharbeit und den vielen Werkverträgen hätten für seine Partei Priorität, betont Vorstandsmitglied Joachim Poß. Vor allem der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde sei ein Punkt, an dem seine Partei nicht nachgeben könne oder dürfe, sekundiert der saarländische Landesvorsitzende Heiko Maas.
Um die skeptische Basis zu überzeugen, wollen Parteichef Sigmar Gabriel und die anderen SPD-Oberen dem kleinen Parteitag am Sonntag in Berlin zumindest bei einem ihrer Herzensthemen einen Teilerfolg präsentieren.
Die 200 Delegierten des so genannten Konvents müssten Koalitionsverhandlungen formell beschließen, über deren Ergebnis würden dann anschließend alle 470 000 Mitglieder abstimmen – und die haben offenbar nach wie vor ihre Zweifel, ob das tatsächlich gut gehen kann mit der Union. „Ich glaube, dass ein Großteil der Landes- und Bezirksverbände nicht wirklich eine schwarz-rote Koalition will“, sagt der Parteilinke Ralf Stegner. Umso wichtiger sei es, dass die Kanzlerin sich zu einem Politikwechsel durchringen könne.
Streitpunkt Mautpläne
Beim Mindestlohn, bei der Rente oder in der Energiepolitik wird es diesen, wenn überhaupt, nur in Nuancen geben – hier lagen Union und SPD von Anfang an nicht allzu weit auseinander oder haben sich in den drei Wochen seit der Bundestagswahl einander angenähert. Kniffliger dagegen sind neben einer Reihe ungeklärter Finanzierungsfragen, die Innen- und die Verkehrspolitik: Rückt CSU-Chef Horst Seehofer von seinen Maut-Plänen ab? Lässt die Union über eine gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten mit sich reden, über das Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare oder über die doppelte Staatsbürgerschaft?
Viele dieser Themen sind in der ersten Runde noch gar nicht zur Sprache gekommen. Auch das Betreuungsgeld, sagt Generalsekretärin Andrea Nahles, betrachte die SPD keineswegs als Verhandlungsmasse. Anders als der „Spiegel“ am Wochenende berichtet hat, habe ihre Partei hier keine Position geräumt. Die Sozialdemokraten lehnen die umstrittene Familienleistung danach weiter ab.
Dafür werden hüben wie drüben bereits die ersten Personalfragen diskutiert. Peer Steinbrücks Schattenminister Klaus Wiesehügel will Ursula von der Leyen das Sozialressort abnehmen, Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann wird für das Innen- und das Justizressort gehandelt, Andrea Nahles als Entwicklungsministerin – und Umweltminister Peter Altmaier (CDU) besteht darauf, dass sein Ressort bei der Union bleibt.