Emmanuel Macron und Marine Le Pen hielten geflissentlich Abstand voneinander, als sie am Dienstag bei der Trauerfeier für den Polizisten Xavier Jugelé eintrafen. Der 37-Jährige war am vergangenen Donnerstagabend auf den Champs-Élysées Opfer eines Attentäters geworden. Staatschef François Hollande hatte beide Präsidentschaftskandidaten zu der Veranstaltung eingeladen, die bei diesem Anlass ausnahmsweise auf eine Konfrontation verzichteten – bei ihren übrigen Auftritten findet sie freilich weiterhin statt.
Während Macron nach der ersten Wahlrunde am Sonntagabend erklärte, er vertrete das „Frankreich der Patrioten gegenüber der Bedrohung der Nationalisten“, warf ihm Le Pen nun mangelnde Heimatliebe vor. „Nichts im Projekt von Herrn Macron zeigt auch nur den geringsten Liebesbeweis für Frankreich“, sagte die Rechtspopulistin über ihren Rivalen, der „ungezügelte Globalisierung“ und „massive Einwanderung“ befördere. Sie legte den Vorsitz des Front National nieder, um sich ganz auf den Wahlkampf zu konzentrieren. Die Finalisten versuchen, vor der entscheidenden zweiten Wahlrunde am 7. Mai, ihre Wähler zu mobilisieren und jene anderer Lager zu gewinnen.
Denn auch die ausgeschiedenen Parteien wollen weiter mitmischen, vor allem in Hinblick auf die Parlamentswahlen im Juni, bei denen sich entscheidet, mit welcher Mehrheit der Präsident regiert. Manche geben eine klare Wahlempfehlung, wie die Sozialisten für Macron und die Republikaner gegen Le Pen – ohne deren sozialliberalen Gegner beim Namen zu nennen. Während sich der konservative Ex-Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire bereits indirekt Macron zur Verfügung stellte, sprach sich am Montag auch Hollande für seinen früheren Wirtschaftsminister aus.
Dieser lag in der ersten Runde mit 24 Prozent der Stimmen vor Le Pen, die auf 21,3 Prozent kam. Laut Umfragen könnte Macron in der Stichwahl um die 62 Prozent erhalten. Doch ein Rückschlag bedeutet die Weigerung des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, der mit 19,6 Prozent auf dem vierten Platz hinter dem Republikaner François Fillon (20 Prozent) landete, Macron zu unterstützen und damit eine „republikanische Front“ gegen die extreme Rechte zu bilden: Mélenchon will erst eine Mitgliederbefragung per Internet abwarten, bei der drei Möglichkeiten zur Auswahl stehen: ein Votum für Macron, ein leerer Stimmzettel oder eine Enthaltung.
Dem Linkspolitiker sind beide Projekte der Finalisten nicht geheuer, so sehr sich diese voneinander unterscheiden. Der 39-jährige Macron steht für eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts, eine Reform der Arbeitslosenversicherung, er will Unternehmenssteuern senken und Verhandlungen auf Betriebsebene fördern. Die 35-Stunden-Woche verspricht er zu bewahren, aber wie bereits Ex-Präsident Nicolas Sarkozy Überstunden von Sozialabgaben zu befreien. In fünf Jahren möchte Macron bei den Staatsausgaben insgesamt 60 Milliarden Euro einsparen, unter anderem durch die Streichung von 120 000 Beamtenstellen. Zugleich verspricht er einen Investitionsplan in Höhe von 50 Milliarden Euro, von dem ein großer Anteil jeweils in die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie den Ausbau erneuerbarer Energien gehen sollen.
Le Pens Wirtschaftsprogramm setzt wiederum auf Abschottung und Protektionismus nach dem Motto „Frankreich den Franzosen“. Diese sollen bei der Vergabe von Jobs und Sozialwohnungen bevorzugt werden, während das Land sich nicht mehr europäischen Ausschreibungsregeln unterwerfen sollen müsse, um Aufträge grundsätzlich an französische Firmen zu vergeben. Außerdem fordert die 48-Jährige Zölle auf bestimmte Importgüter und die Rückkehr zum Franc. Illegale Einwanderung will sie scharf bekämpfen und auch die legale Immigration vorerst aussetzen.
Hinsichtlich der inneren Sicherheit verspricht Le Pen ein verschärftes Strafrecht, die Schließung von Moscheen mit radikalen Predigern, 40 000 neue Gefängnisplätze und die Einstellung von 15 000 Polizisten und Gendarmen. Macron wiederum sieht 10 000 neue Posten in diesem Bereich vor sowie die Einführung einer Nachbarschaftspolizei, um soziale Brennpunkte täglich abzusichern. Auch will er dort Lehrern Prämien zahlen und kleine Schulklassen einführen, um eine bessere Förderung von Benachteiligten zu erreichen.
Besonders stark unterscheiden sich beide Kandidaten in der Europa-Frage. Le Pen will ein Referendum über einen EU-Austritt organisieren, den Schengen-Raum verlassen und wieder Grenzkontrollen einführen. Macron nennt sich hingegen einen überzeugten Pro-Europäer und verspricht den Euro-Stabilitätspakt mit der Defizitgrenze von drei Prozent einzuhalten. Er steht für eine starke deutsch-französische Achse, kritisierte zuletzt aber den deutschen Handelsüberschuss. Sein Vorschlag eines gemeinsamen Haushaltes, eines Parlamentes und eines Finanzministers für die Euro-Zone stößt in Berlin auf Skepsis.