Grau in Grau. Es ist neblig und bewölkt an diesem Januarmorgen in Büsingen. Und dann hat Markus Möll, Bürgermeister des Örtchens, an diesem Donnerstag auch noch zu einem Pulli in Silbergrau gegriffen. Alles Zufall? Wahrscheinlich schon. Und dennoch bietet diese trübe Kulisse zumindest in diesen Tagen den passenden Hintergrund für die Situation der Büsinger. Denn als unlängst der Franken in die Höhe schoss und der Euro in den Keller purzelte, da traf das so manchen Bewohner des 1300-Seelen-Ortes ziemlich hart – Zukunftsängste machten sich breit. Denn die Büsinger stehen dort, wo in unsicheren Zeiten eigentlich niemand stehen möchte: zwischen den Fronten.
Die Situation Büsingens ist ein bisschen kompliziert. Da lohnt es sich, mit dem Einfachen zu beginnen: Möll erklärt die besondere Lage des Örtchens mittels kunstvoller Malereien auf einem Schrank im Bürgeramt, der – wie er erklärt – „sehr alt“ sei. Auf dem Möbel ist nicht nur die Büsinger Bergkirche kunstvoll dargestellt, sondern auch der eigentümliche Standort des Ortes, symbolisiert sowohl durch deutsche als auch Schweizer Flaggen und Wappen. Mit einem Blick wird klar: Die Gemeinde am Hochrhein ist eine deutsche Insel umgeben von Schweizer Hoheitsgebiet. Die einzige Exklave Deutschlands überhaupt.
Kniffliger wird es, wenn man sich den Staatsvertrag des Örtchens anschaut, der 44 Artikel umfasst. Er wurde 1967 nach langem Ringen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft geschlossen. Das erklärte Ziel damals: Die durch die geografische Lage bedingten Beziehungen der Gemeinde zur Schweiz den beiderseitigen Interessen anzupassen. Seitdem sind viele Büsinger politisch zwar noch Deutsche, wirtschaftlich jedoch Schweizer oder – wie es Roland Güntert von der Bürgerinitiative Büsingen ausdrückt – weder „Fisch noch Fleisch“.
Und so kann, wer durch die idyllischen Straßen Büsingens flaniert, manche kuriose Entdeckung machen. Zum Beispiel die beiden Telefonzellen vor dem Rathaus – die eine von der Deutschen Telekom und die andere von Swisscom. Oder das eigens für den Ort eingeführte Autokennzeichen: BÜS. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass wegen der Zollbestimmungen von der Milch bis zur Tagescreme in den Regalen des kleinen Dorfladens fast ausschließlich Schweizer Waren zu Schweizer Preisen ausliegen. Bezahlt wird in Franken. Anders ist das mit der Einkommenssteuer. Diese berappen die Büsinger in Deutschland, nach deutschem Gesetz, also in Euro.
Das Tauschgeschäft hat sich verfünffacht
Vor etwa einer Woche hielt ganz Büsingen für einen Moment den Atem an. Die Schweizer Notenbank gab die Kopplung des Franken an den Euro auf. Für die Arbeitnehmer, die ihr Gehalt in Franken beziehen ein Schock. Denn wird es nun vom Deutschen Staat in Euro umgerechnet, um die Einkommenssteuer zu bemessen, scheint es, als verdienten sie im Schnitt 20 Prozent mehr als zuvor. Allerdings – und das ist das Fatale – nur auf dem Papier. Und auch für die Büsinger mit Euro-Gehalt verschlechtert sich die Situation. Denn für sie wird das Leben angesichts der hohen Schweizer Lebenshaltungskosten nahezu unbezahlbar.
Bemerkbar macht sich der Abwärtstrend des Euro dieser Tage auch bei einem Besuch der kleinen Büsinger Sparkasse – direkt neben dem Rathaus und der Post gelegen. Hier haben die Mitarbeiter alle Hände voll zu tun, denn die Kunden geben sich die Klinke in die Hand. Grund: Viele wollen Franken in Euro umtauschen. „Das Tauschgeschäft hat sich in den letzten Tagen verfünffacht“, sagt Jürgen Stille, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Engen-Gottmadingen. Er habe solche Turbulenzen im Wechselgeschäft noch nie erlebt. „Ich hoffe, dass solche Tage die Ausnahme bleiben“, sagt er.
Roland Güntert befürchtet außerdem, es könnte sich in Büsingen nun ein Trend fortsetzen, der schon 2011, während der letzten Eurokrise, begann: die massive Abwanderung junger Menschen aus Büsingen in die Schweizer Nachbarschaft – vor allem nach Schaffhausen. Denn dort verdienen sie nicht nur gut, sie zahlen im Schnitt auch weniger Steuern als in Büsingen, etwa halb so viel. Einige seien in die deutsche Exklave gezogen, sagt Möll. Vor allem Rentner, die keine oder nur wenig Steuern zahlen müssen. Trotzdem schrumpft Büsingen weiter. Und: Schon jetzt seien die Bewohner laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt weit über 50 Jahre alt. Das macht das Örtchen zum zweitältesten in Baden-Württemberg.
Auch die Restaurantbetreiber bangen, und zwar um ihre Gäste – zum Beispiel um die Fahrradtouristen, die sonst in den sonnig-warmen Monaten des Jahres zahlreich in den Gaststätten Büsingens Halt machen, um sich mit Blick auf den Rhein bei einer Apfelsaftschorle zu erfrischen. „Doch wer beispielsweise umgerechnet sechs Euro für ein Getränk zahlen muss, der fährt unter Umständen vorbei“, erzählt Heike von Ow, Betreiberin des Café-Restaurants „Eder“, während sie einer Kundin hinter der Theke stehend ein Glas Rotwein ausschenkt. Erschwerend hinzu kommt für die Gastronomen im Ort die Tatsache, dass angesichts der Preise auch der ein oder andere Büsinger lieber in Deutschland Essen geht.
Telefonkonferenz Büsingen-Berlin
Was also tun? Gegrübelt und verhandelt wird darüber nicht erst seit der Abkopplung des Franken vom Euro. Roland Güntert, der sich seit 2011 in der Sache engagiert, schildert eine Lösung und nippt dabei an seinem Pfefferminztee: Büsinger, die beispielsweise in Schaffhausen arbeiten, könnten Steuern auf Schweizer Niveau zahlen – allerdings nicht an die Eidgenossen sondern an den deutschen Fiskus. „Das wäre für junge Menschen und Familien ein echter Anreiz zu bleiben oder gar hierher zu ziehen“, ist der 53-Jährige überzeugt. Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Konstanz, der schon seit Längerem versucht die besondere Lage der Büsinger im Bundestag vorzubringen, schildert ein weiteres Szenario: einen höheren steuerlichen Freibetrag als die bislang maximal 3000 Euro pro Jahr.
Dieser Tage scheint es nun, als käme Bewegung in die Sache. Am Donnerstag habe es eine Telefonkonferenz zwischen Büsingen und Berlin gegeben, so Jung. Vor allem die Einigung auf einen höheren Freibetrag scheine nun denkbar. Schwieriger sehe es mit dem von Güntert geschilderten Vorschlag aus, die Büsinger Grenzgänger wie Schweizer zu besteuern. Denn dabei würde es sich – wie es der Abgeordnete formuliert – „um eine völlig neue Dynamik handeln“, für die der Staatsvertrag mit der Schweiz geändert werden müsste. Das letzte Wort ist in den Verhandlungen jedoch noch nicht gesprochen. „Der Prüfungsprozess dauert noch an“, sagt Martin Chaudhuri, Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Und es wird wieder deutlich: Büsingen ist und bleibt ein Sonderfall.
Güntert erklärt, er bedauere manchmal, dass in Büsingen immer alles so kompliziert zu sein scheint und wünscht sich, dass die Vorzüge der Gemeinde wieder mehr Beachtung finden: die schöne Lage direkt am Rhein zum Beispiel. Denn es gibt sie natürlich, die Menschen, die gerne dort leben, trotz oder gerade wegen der besonderen Umstände. Ein Beispiel sind die 31-jährige Cezi und ihr 30 Jahre alter Mann Martin Glendenning. Sie wohnen und arbeiten seit sechs Jahren in Büsingen und haben ihre Entscheidung nicht bereut. „Ich genieße die Ruhe und die Sicherheit hier. Ich denke, es ist ein guter Ort, um eine Familie groß zu ziehen“, sagt sie und lässt ihren Blick über ihren Kinderwagen schweifen, in dem ihr vier Monate alter Sohn liegt.
Ein Besucher der Bergkirche, von der man einen wunderschönen Blick auf Büsingen hat, beschrieb die Atmosphäre kürzlich ähnlich. Dies sei „ein Ort, in dem man Ruhe und Kraft finden kann“, notierte er Anfang Januar in das ausliegende Gästebuch.
Und auch Bürgermeister Markus Möll blickt an diesem wolkenverhangenen Tag weiterhin optimistisch in die Zukunft: „Büsingen hat schon viele Krisen überstanden, und deshalb werden wir auch diese meistern“, ist er sich sicher.
Streitfall Büsingen
Der Grund für Büsingens Sonderstatus liegt über 300 Jahre zurück. Damals wurde Büsingen in einen Konfessionsstreit verwickelt. Der Ort gehörte zum katholischen Österreich, war aber zum Protestantismus übergetreten. Der für Schaffhausen zuständige Vogt, Eberhard Im Thurn, wurde zwar, wie seine Untertanen, protestantisch, sympathisierte aber mit den katholischen Habsburgern. 1693 wurde ihm das zum Verhängnis. Eberhard wurde von seinen Verwandten entführt und nach Schaffhausen gebracht. Die Österreicher ärgerten sich darüber den Überlieferungen zufolge maßlos. Sie beschlossen, dass Büsingen niemals zu Schaffhausen gehören sollte. 1924, 1925 und 1931 waren es dann die Büsinger die den Anschluss an die Schweiz suchten – nun hatte jedoch Schaffhausen wenig Interesse. Eine letzte Chance zeichnete sich 1956 ab. Die Verhandlungen mit Deutschland liefen zunächst vielversprechend, dann schaltete sich der Landkreis Konstanz ein und bestand auf den Verbleib Büsingens bei Deutschland. FOTO: SE