Aus der Sicht von Computerspiel-Fans hat Andreas Lange einen Traumberuf. Der 50-Jährige beschäftigt sich den ganzen Tag mit Games. Nicht etwa auf dem Sofa im Wohnzimmer, sondern als umtriebiger Direktor eines Museums, das in Deutschland einmalig ist. Als das Computerspielemuseum Berlin 1997 seine Tore öffnete, war es sogar das Einzige seiner Art in Europa. In Vitrinen gestellt und mit akribisch recherchierten historischen Daten versehen wurde Konsolen, Computern und Spielen eine späte Ehre zuteil: Videogames, bis dato nur belächelt, wurden hier museumsreif.
Davon kann man sich im ehemaligen Café Warschau in der Karl-Marx-Allee überzeugen. 2011 zog das Museum dorthin um, nachdem der Platz für den immer größer werdenden Fundus an stummen Zeitzeugen der digitalen Revolution in den ursprünglichen Räumlichkeiten nicht mehr ausreichte.
Nostalgie pur
Lara Croft als lebensgroße Skulptur darf hier nicht fehlen, schließlich sorgte die sportliche Archäologin aus den „Tomb Raider“-Spielen für die digitale Emanzipation. Bevor sie 1996 die Hauptrolle in einem Action-Game übernahm, waren weibliche Charaktere allenfalls schmückendes Beiwerk. Ebenfalls vor Ort: der Piko Dat (1969), der erste Lerncomputer aus der DDR. Die Mutter aller Spielekonsolen namens Magnavox Odyssey (1972). Der Heimcomputer Commodore C64 (1982), der wegen seines Designs den Spitznamen „Brotkasten“ bekam und dennoch kultisch verehrt wurde.
Mittlerweile erzählen über 300 Exponate die bewegte Kulturgeschichte der interaktiven Unterhaltungsmedien. Apropos Bewegung: Während man in anderen Museen die Ausstellungsstücke andachtsvoll aus der Ferne betrachten muss, ist hier Anfassen ausdrücklich erwünscht. Zwar gibt es auch hier Preziosen, die unantastbar hinter Glas geschützt bleiben, doch etwa 40 Exponate laden zum Ausprobieren ein. So kann man etwa das Phänomen Virtual Reality im Computerspielemuseum hautnah erleben. Unter Anleitung können moderne VR-Datenbrillen wie die Oculus Rift aufgesetzt werden, um die totale Immersion zu erleben. So nennt man das komplette Abtauchen in die Spielwelt ohne äußere Reize.
Eine Kuriosität, die viel Platz im Raum einnimmt, zeigt wie die virtuelle Realität aussah als sie noch in den Kinderschuhen steckte: Die Virtuality Cyberbase SU2000 war nicht nur zu groß fürs Kinderzimmer, sie war im Gegensatz zu den heutigen VR-Brillen auch viel zu teuer für den Privathaushalt. Selbst wer in der Spielhalle für wenige Minuten in die virtuelle Welt reisen wollte, musste Mitte der Neunziger Jahre dafür Unsummen berappen. Im Computerspielemuseum ist dieser Nostalgie-Trip im Eintrittspreis inbegriffen.
Reise in die Vergangenheit
Nostalgiker kommen auch in der integrierten Spielhalle auf ihre Kosten. Ein knallorangefarbenes Neonschild mit dem Schriftzug „Arcade“ lädt ein zu einer Zeitreise in die späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre – zu einer Partie „Pac-Man“, „Donkey-Kong“, „Invaders“ oder „Tetris“. Allesamt Spiele aus riesigen Spielautomaten.
Neben Oldtimern aus der Historie der digitalen Unterhaltung bietet das Museum auch Kunstobjekte, die dem Spiele-Sujet gewidmet sind. Unter anderem ein hüfthoher Riesen-Joystick, auf dem Besucher die Charaktere von Spieleklassikern nur lenken können, wenn sie barfuß auf dem Steuerknüppel stehen und vollen Körpereinsatz zeigen.
Nur für Wagemutige geeignet ist das wohl eigentümlichste Kunstobjekt des Computerspielemuseums – die Painstation. Die Duellanten spielen an dem Gerät den Klassiker „Pong“. Allerdings mit verschärften Regeln: Fehler werden mit einem kleinen Stromstoß geahndet.
Für deutlich angenehmeres Herzklopfen sorgt der Heimbereich. Der Clou: Die Heimvideospiele und Heimcomputer, welche das Gaming in den späten Siebziger und frühen Achtziger Jahren aus der Spielhalle in die eigenen vier Wände brachten, ruhen hier nicht in Vitrinen. Sondern in mit Liebe zum Detail im authentischen Stil der jeweiligen Gaming-Epoche eingerichteten Wohn- und Jugendzimmern.
Gerade jüngere Besucher staunen hier nicht nur über die Verirrungen damaliger Wohntrends, sondern auch darüber, dass die ersten Heimvideospiele nicht als Kinderspielzeug konzipiert waren, sondern ein erwachsenes Publikum ansprechen sollten.
Ein anerkanntes Kulturgut
Dass Videospiele nicht nur als Unterhaltungsmedium ernst genommen werden, sondern zunehmend als Kulturgut anerkannt sind, wurde höchste Zeit, findet Kurator Andreas Lange. „Zuerst war das Spiel, dann die Kultur“, so der studierte Religions- und Theaterwissenschaftler. Schließlich hat der Homo ludens bereits vor 6000 Jahren gespielt. Damals zwar noch mit „Bildschirmen“ und Figuren aus Stein, doch was den Spieltrieb angeht, hat sich in Sachen Evolution seit damals nur eins geändert: Die Grafik ist besser geworden.
Für Andreas Lange steht fest: „Unsere Spiellust ist nicht zu trennen von unserer kulturellen Identität, denn die Kultur ist aus unserem Spieltrieb erwachsen.“
Das Computerspielmuseum befindet sich in der Karl-Marx-Allee 93a, 10243 Berlin. Die täglichen Öffnungszeiten sind von 10 bis 20 Uhr. Mehr Infos unter www.computerspielemuseum.de