In den sozialen Netzwerken im Internet ist die rechtspopulistische FPÖ seit Jahren besonders aktiv. Über Facebook kommunizieren die Parteifunktionäre mit ihren Anhängern, und über Facebook gab der Kandidat Norbert Hofer seine Niederlage bei der Wahl zum Bundespräsidenten bekannt. „Ich hätte gern als Bundespräsident auf unser wunderbares Land aufgepasst“, schrieb er zur Überraschung seiner eigenen Anhänger bereits eine halbe Stunde, bevor das Endergebnis bekannt gegeben wurde.
Doch Minute für Minute sickerten aus den Wahlbezirken immer mehr Ergebnisse durch, während die Briefwahlstimmen den ganzen Tag über ausgezählt wurden: Sieger ist der frühere Vorsitzende der Grünen Alexander Van der Bellen, 72 Jahre alt. Als unabhängiger Kandidat angetreten, hatte er lange zittern müssen, bis sicher war, dass er in die Hofburg einzieht. Die Auszählung der Briefwahlstimmen zog sich in die Länge.
Die FPÖ hat angekündigt, sich erst am Dienstag zum Wahlergebnis zu äußern. Es könnte sein, dass sie versuchen wird, die Wahl anzufechten. Seit Sonntagabend streut der Parteichef Heinz Christian Strache Gerüchte, nach denen mit der Auszählung nicht alles korrekt verlaufen sei. „Sehr fragwürdige Dinge passieren“, meinte Strache. „So ein diametrales Ergebnis gegen den allgemeinen Wahltrend kann es bei den Wahlkarten nicht geben.“
Doch aus Sicht vieler internationalen Beobachter und der Hälfte der österreichischen Wählerschaft ist es in Österreich noch einmal gut gegangen: Kein Rechtspolitiker wird als Bundespräsident Staatsoberhaupt. Die befürchteten Konsequenzen für die Nachbarländer und die EU können vorläufig vertagt werden. Anders dürfte dies AfD-Chefin Frauke Petry sehen: Sie war am Sonntag mit ihrem Lebensgefährten Marcus Pretzell nach Wien zur FPÖ-Wahlparty in einer Holzhütte der Prateralm angereist.
Dort wurde am Sonntag bis in die tiefe Nacht der Beinahe-Sieg gefeiert.
Dass die Wahl am Montagnachmittag dann doch nur mit einem Kater für die FPÖ endete, schreiben in Österreich viele einem „Kern-Effekt“ zu. Nur fünf Tage vorher hatte der neue Bundeskanzler Christian Kern sein Amt angetreten. Der neue SPÖ-Star versprach einen anderen Politikstil. Vor allem soll es mit den in Österreichs Politik so verbreiteten Gegengeschäften nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“ vorbei sein. Die Große Koalition wolle endlich die Probleme anpacken, die viele Menschen als niederdrückend empfinden.
Kerns Botschaft, „Wir haben verstanden“, verbunden mit der direkten Wahlempfehlung für den Grünen Alexander Van der Bellen, ist bei etlichen Wählern angekommen. „Wäre Werner Faymann Bundeskanzler geblieben“, sagt der für den ORF als Wahlexperte tätige Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, hätte Van der Bellen die Präsidentenwahl sicher verloren.
Einig sind sich die Experten, dass die wenigsten der Wähler aus großer Überzeugung bei dem Grünen ihr Kreuz gemacht hätten. Nur elf Prozent der Wähler teilten dessen politische Meinung, erklärt der Wahlforschers Peter Hajek. Die anderen knapp 40 Prozent hätten Van der Bellen ausschließlich gewählt, um Hofer zu verhindern.
Der FPÖ-Kandidat schnitt in der Wahlanalyse in vielen Punkten deutlich besser ab als der Grüne: Fast 70 Prozent der Wähler gaben an, dass der Rechtspopulist, die Sorgen der Menschen besser verstehe als Van der Bellen. Auch beim Faktor, wer sympathisch sei, hatte Hofer mit über 67 Prozent einen gewaltigen Vorsprung vor dem grünen Professor. In der Frage der Glaubwürdigkeit gaben die Befragten beiden Kandidaten mit mehr als 60 Prozent hohe Werte. Van der Bellen schrieben allerdings zwei Drittel der Wähler zu, dass er Österreich besser im Ausland repräsentieren könne.
Seinen Wahlsieg verdankt der Grüne jedoch in erster Linie den Österreicherinnen: 60 Prozent der Frauen wählten Van der Bellen, nur 40 Prozent den Rechtspopulisten Hofer. Bei den männlichen Wählern sah es genau andersherum aus. Vor allem bei den Arbeitern konnte der FPÖ-Mann mit 86 Prozent der Stimmen punkten. Dafür holte Van der Bellen 81 Prozent der Wähler mit Universitätsabschluss.
Ebenso eindeutig fällt ein Blick auf Österreichs politische Landkarte aus: Fast das ganze Land mit seinen ländlichen Regionen leuchtet im FPÖ-Blau. Nur das westliche Vorarlberg und die Großstädte Wien, Linz Salzburg, Bregenz und Klagenfurt und ihre Umgebung ragen grün aus der Landkarte heraus. Auch in Tirol, wo Schwarz-Grün regiert, holte Van der Bellen eine Mehrheit. Zerrissen zeigt sich auch die Wählerschaft der konservativen ÖVP, die sich fast zu gleichen Teilen auf beide Kandidaten aufspaltete. In der Volkspartei hatten viele Vorbehalte gegen den grünen Wirtschaftsprofessor mit den linken Vorstellungen von Steuer- und Eigentumspolitik. Am Ende reichte Van der Bellen vor Hofer ein Vorsprung von 31 026 Stimmen.
Alexander Van der Bellen
Polternde Auftritte sind nicht die Sache von Alexander Van der Bellen. Stets ruhig, sachlich und pragmatisch tritt der Sohn russisch-estnischer Einwanderer, der in Wien geboren wurde, auf. Der 72-jährige ehemalige Grünen-Chef und Wirtschaftsprofessor wurde am Montag nach einem Herzschlagfinale zum neuen österreichischen Bundespräsidenten. Der deklarierte Europa-Freund punktete weit über die grüne Kernwählerschaft hinaus. Trotzdem machte sein Vorsprung gegenüber dem Kandidaten der rechten FPÖ, Norbert Hofer, gerade mal 31 000 Stimmen aus. Nach einer langen Karriere an der Universität entschied sich der zweifache Vater erst spät für die aktive Politik. Die Besetzung der Hainburger Au von Gegnern des Baus eines Wasserkraftwerks an der Donau wurde 1984 zu einem politischen Wendepunkt für Van der Bellen. Er wechselte von den Sozialdemokraten zu den Grünen. 1994 zog er ins Parlament ein und wurde bald danach für elf Jahre Parteichef. Er schaffte es, die zerrissenen Grünen zu einen und zu ersten Erfolgen zu führen. Zur Bundespräsidentenwahl trat er als Unabhängiger an. Obwohl er finanziell und personell stark von den Grünen unterstützt wurde, sei dies für ihn ein „symbolischer Unterschied“.
Seine Gegner warfen ihm das als „Etikettenschwindel“ vor. Stark umstritten ist seine Ankündigung, als Präsident einen Bundeskanzler der FPÖ, sollte es dazu kommen, trotz Stimmenmehrheit nicht vereidigen zu wollen. „Der Bundespräsident ist verpflichtet, Schaden von Österreich abzuwenden, wenn es ihm denn gelingt“, rechtfertigte sich Van der Bellen. Unrealistisch ist das Szenario nicht: Die Freiheitlichen sind in allen Umfragen die Nummer eins. Im Wahlkampf setzt der Wiener auf den Begriff „Heimat“ – bislang ein Wort, das die FPÖ für sich und ihre Ausgrenzungspolitik einnahm. Werbeplakate zeigten ihn mit seinen Hunden in den Bergen im Tiroler Kaunertal. Seine Vorfahren mussten einst aus Holland auswandern und später aus Estland flüchten. Geboren wurde „VdB“ noch in Wien, bevor es in das kleine Dorf in den Bergen ging. Sein Privatleben hält der ehemalige Freimaurer lieber bedeckt, und auch eine „First Lady“ will er Österreich nicht präsentieren. Seine zweite Frau, die er vor wenigen Monaten geheiratet hat, werde ihren Beruf nicht aufgeben. Das passe nicht zum Frauenbild des 21. Jahrhunderts, sagt Van der Bellen. Sie bleibe weiter Geschäftsführerin im Grünen Fraktionsklub. dpa