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WÜRZBURG
Zerstörter Traum von Freiheit
Eine junge Frau aus Würzburg bringt 1942 und 1943 mehrere Jüdinnen illegal über die grüne Grenze in die Schweiz. Sie wird nach Deutschland zurückgeschickt und kommt ins KZ Ravensbrück.
Von unserer Gastautorin Jutta Körner
 |  aktualisiert: 03.08.2013 08:29 Uhr

"Das Vorgehen gegen die Juden halte ich nicht für richtig. Mit diesen Maßnahmen kann ich mich nicht einverstanden erklären. Hierzu möchte ich betonen, dass ich keine Kommunistin bin. Mir ist ein jeder anständige Mann recht, ganz gleich welcher Nationalität er angehört.“

Solche Äußerungen waren im achten Jahr nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland gefährlich und gewiss nicht alltäglich. Das Gesagte bei einer Vernehmung gegenüber einem Gestapo-Beamten zu bestätigen, dazu gehörte sehr viel Zivilcourage. Nachzulesen sind diese Zeilen in der Gestapo-Akte der Musikstudentin Ilse Sonia Totzke, die im September 1941 erstmals der Vorladung der Geheimen Staatspolizei Würzburg in der Ludwigstraße Folge leisten musste.

Ilse Totzke, zum Zeitpunkt dieses Verhörs eine junge Frau von 28 Jahren, studierte ab 1932 am bayerischen Staatskonservatorium in Würzburg im Hauptfach Klavier, dazu Violine und Dirigieren. Die einzige Tochter einer Künstlerfamilie (der Vater war Konzertmeister, die Mutter Schauspielerin) war in der gleichgeschalteten Gesellschaft der Nationalsozialisten sicherlich eine unangepasste Erscheinung, die sich mit ihren Anschauungen wohl auch im Konservatorium nicht unbedingt zurückhielt.

Wer war diese Frau?

Am 4. August 1913 Straßburg geboren – die Mutter war Elsässerin – musste sie mit ihrem Vater nach dem Ersten Weltkrieg das Elsass verlassen. Das Reichsland Elsass-Lothringen war gerade wieder französisch geworden. Die beiden zogen nach Mannheim, die Mutter folgte kurze Zeit darauf nach, starb aber bereits 1920 im Alter von nur 30 Jahren. Ernst Totzke heiratete erneut und Ilse bekam zwei Stiefschwestern.

Nach abgeschlossener Schulausbildung in Mannheim und Ludwigshafen zieht sie nach Bamberg zur Familie der Stiefmutter. Im März 1932 kommt die nun fast 19-Jährige nach Würzburg, um Musik zu studieren. Sie wechselt häufig die Adresse und ist mehrfach Untermieterin bei jüdischen Familien. 1934 wird sie volljährig und erwirbt vom nun verfügbaren Erbe ihrer Mutter einen Flügel und, wie ihre Nachbarn später zu Protokoll geben werden, wertvolle Einrichtungsgegenstände.

Durch Vermittlung einer Bekanntschaft im Ratskeller kann sie im Gut Keesburg einziehen, wo sie, die gerne im Grünen lebt, die nächsten zwei Jahre wohnen wird. Ilse Totzke besitzt jetzt eine Kamera, mit der sie vornehmlich Landschaftsaufnahmen macht, was sie in den Augen eines ihr wenig wohlgesonnenen Sport-Professors in die Nähe der Spionage rückt, sie verbringt ihre Sommerferien in Österreich und Italien und sie bekommt Besuch von Bekannten, auch „Jüdinnen im neuen BMW-Wagen“ wie der Gutsverwalter berichten wird.

Als sie im November 1935 ihre Stiefschwestern in Bamberg besuchen will, kommt es zu einem folgenschweren Unfall. Wahrscheinlich aufgrund des schlechten Wetters verliert der Fahrer die Kontrolle über sein Motorrad, und Sozia Ilse Totzke muss mit einem Schädelbruch sechs Wochen lang im Juliusspital bleiben.

Dieser Unfall und die daraus resultierenden Kopfschmerzen werden auch offiziell die Begründung für die Beendigung des Musikstudiums sein. In Wirklichkeit aber gibt es im Juni 1936 eine erste Postüberwachung der Studentin, die noch auf Gut Keesburg wohnt. Zugrunde lag vermutlich eine Denunziation aus dem Umfeld des Konservatoriums. Zwischen 1936/37 wird Ilse Totzke aus dem Staatskonservatorium zwangsrelegiert.

Sie wurde, wie sie selbst sagte, „als unwürdig des Besuchs dieser Anstalt befunden, weil ich erstens den Deutschen Gruß verweigerte, wegen Verächtlichmachung hoher Vertreter der Partei, wegen meiner fortgesetzten Freundschaft zu Juden und wegen Beleidigung des ,Führers' selbst“. Ein Professor wird nach dem Krieg bestätigen: „Ich kann mich erinnern, dass mir einmal der Direktor des Konservatoriums, Geheimrat Zilcher, ein Schreiben der Kreisleitung zeigte, in dem gefordert wurde, dass die Antragstellerin sofort die Wohnung zu wechseln habe, weil sie damals bei Juden wohnte. Es ist richtig (. . . ), dass sie wegen ihrer politischen Überzeugung entlassen wurde. Ich erinnere mich, dass ich ihr auch wiederholt zuredete, sie solle doch mit ihren Äußerungen etwas vorsichtig sein. Ich weiß auch noch, dass sie es ablehnte, den Hitlergruß zu erweisen.“

Woran er sich nicht mehr erinnerte, war die Tatsache, dass der Tratsch seiner Ehefrau mit einem benachbarten Turnprofessor und Reserveoffizier zu weiteren schwerwiegenden Denunziationen führen sollte, die so weit gingen, dass Ilse Totzke sogar der Spionage bezichtigt wurde, was sich aber selbst seitens der Gestapo nicht bestätigen ließ.

Seit 1939 wird über sie eine eigene Akte geführt. In den Dossiers der Gestapo wird Ilse Totzke zunächst durchaus als gesellig beschrieben, dann aber zunehmend als einzelgängerisch und nicht anpassungsfähig bezeichnet. Ende 1937 meldet sie sich auf der Keesburg ab und zieht, wieder mehrfach, in Würzburg um, bis sie schließlich 1938 in der Dürrbachau ein Häuschen mit zwei Zimmern und Küche auf dem Grundstück eines Textilkaufmanns bezieht. Sie lebt nun wieder im Grünen, weitgehend zurückgezogen, mit ihrem Flügel und den Büchern im Schatten des Steinbergs, hat wohl einen Schäferhund, kocht mit selbst gezogenem Gemüse und nimmt Unterricht bei der Französischlehrerin Jeanne Camille Wolf-Donjon.

Da es ihr finanziell nicht mehr gut zu gehen scheint, hat sie im Frühjahr 1939 eine Tätigkeit als Reisende für Trikotagen angenommen, die sie auch nach Wildflecken führen wird, was ihr der bereits genannte Hochschullehrer für Sport erneut als Spionage auslegen wird, denn dort ist die Wehrmacht gerade mit dem Errichten des Truppenübungsplatzes beschäftigt. Zufällig trifft sie dort einen Bekannten aus Würzburg, den Leiter des 8-Uhr-Abendblatts, eine Begegnung, die ihr wegen des Hausierer-Jobs ziemlich peinlich ist und die ihr Gegenüber in Würzburg nicht verschweigen wird. Aber mit dieser Beschäftigung ist sowieso bald vorbei, wenige Monate später gibt es Wirkwaren nur noch auf Bezugsschein – das Wandergewerbe ist damit erledigt. Es ist 1939, mit dem deutschen Einmarsch in Polen herrscht wieder Krieg.

Am 3. April 1939 wird in Würzburg die Gestapo-Akte Nr. 16015 Totzke Ilse angelegt, der erste Eintrag ist die erwähnte Denunziation des Sport-Professors, dass Ilse Totzke immer in der Nähe militärischer Einrichtungen wohne und Kontakt zu verdächtigen Personen habe, unter anderem zu Betsy Breitfeld, der späteren Gründerin der Würzburger Dolmetscherschule, zu Jeanne Camille Wolf-Donjon und zu Wilhelm Hörl, einem Kommilitonen, dessen Fehler darin bestand, einen jüdischen Elternteil zu haben.

Im September wird der Keesburg-Gutsverwalter zur Gestapo zitiert, auch er macht eine umfangreiche Aussage. Im November wird der erste Nachbar in der Dürrbachau vorgeladen, im März 1940 ein weiterer. Man protokolliert, dass sie bestrebt sei, ihren Wohnort nicht bekannt werden zu lassen und spät abends das Haus verlasse, um erst bei Tagesanbruch wieder nach Hause zurückzukehren. Im Juli 1940 vernimmt man erneut eine Nachbarin. Die junge Frau sagt aus, Ilse Totzke benehme sich nicht, wie man es von einer deutschen Frau erwarte, sie erwidere nicht den „Deutschen Gruß“, habe Besuch von „jüdisch aussehenden Personen“ und sei überhaupt deutschfeindlich eingestellt.

Der Besuch zumindest einer solchen Person ist belegt, es war Else Schwabacher, Ehefrau eines Würzburger Kaufmanns, dessen Familie in der Pleicher Bohnesmühle eine renommierte Produktenhandlung betrieben hatte. Frau Schwabacher, geborene Klose, kannte die Familie Totzke schon aus ihren Straßburger Zeiten. Auch sie war Elsässerin und eigentlich nach Nazi-Lesart „arisch“. Zunächst katholisch getauft, war sie erst wegen ihrer Heirat zum jüdischen Glauben konvertiert. Sie sollte noch eine wesentliche Rolle im weiteren Verlauf von Ilse Totzkes Leben spielen.

Ihr Ehemann Paul wurde im Laufe der sogenannten Reichskristallnacht verhaftet und nach seiner Freilassung aus Buchenwald gezwungen, umgehend Deutschland zu verlassen. Else war nun mit ihren drei Buben auf sich gestellt und strebte ebenfalls eine Ausreise in die USA an, die aber an ihrer Tuberkulose-Erkrankung scheiterte.

Ilse Totzke, die nun auch mit kunstgewerblichen Arbeiten wie Schnitzereien versucht, ein wenig Geld zu verdienen, wird auf Geheiß der Gestapo weiterhin von ihren Nachbarn überwacht. Einen Eintrag dazu gibt es im November 1940 sowie eine erneute Postüberwachung bis Januar 1941.

Im Mai 1941 schwärzt ein Nachbar der Schwabachers in der Schillerstraße Ilse Totzke anonym an. Über deren Besuch ereifert er sich im Stürmer-Stil, denn der Kontakt zwischen „Deutschen und Juden“ verbiete sich, wie allgemein bekannt.

Ilse Totzke weiß sich zu verteidigen, sie verweist auf den Umstand, dass Else Schwabacher ja gar keine Jüdin sei und von ihren Schwiegereltern getrennt wohne, somit der Vorwurf des Kontaktes mit Juden gar nicht gerechtfertigt sei.

Im August 1941 wird es ernst, denn Ilse Totzke hat trotz einer ergebnislosen zweiten Postüberwachung so viel geheimpolizeiliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass eine Hausdurchsuchung in Aussicht genommen wird. Zeitgleich wird sie zur Gestapo in die Ludwigstraße einbestellt und erstmals befragt. Weder die Hausdurchsuchung noch die Vernehmung lassen Erkenntnisse auf eine nachrichtendienstliche Betätigung zu. Im Bücherschrank finden sich allerdings einige Bände jüdischer Schriftsteller, und Ilse Totzke bestätigt in mutiger Aufrichtigkeit ihre ablehnende Haltung den Nürnberger Gesetzen gegenüber.

Obschon im Fokus der Gestapo, geht Ilse Totzke noch einen Schritt weiter. Im November 1942 verhilft sie zwei von der unmittelbaren Deportation bedrohten jüdischen Frauen aus dem Umfeld der Familie Schwabacher, Steffi Riesenfeld und Gertrud Hengstenberg, über die Grenze in die Schweiz.

Zu Fuß und nur mithilfe eines Kompasses gelangen die drei sicher ins 30 Kilometer entfernte Moutier im Kanton Bern, wo sie bei ihrer Kontaktadresse, einem Fabrikanten, unterkommen. Davon erfährt allerdings auch die Schweizer Polizei. Alle drei Frauen werden verhaftet und ins örtliche Gefängnis verbracht. Steffi Riesenfeld und Gertrud Hengstenberg werden bis Kriegsende in der Schweiz interniert.

Ilse Totzke hält man einen ganzen Monat in Moutier fest. Erst Weihnachten 1942 kommt sie wieder frei. Statt in der Schweiz um Asyl zu bitten, möchte sie auf eigenen Wunsch unbemerkt über die grüne Grenze wieder ins Deutsche Reich zurück.

Die Gründe für diese Entscheidung sind unklar. Vielleicht hat sie, verdächtigt als „passeuse“, also Schlepperin, ohnehin kaum eine Chance, in der Schweiz aufgenommen zu werden. Vielleicht will sie weiteren Freunden bereits versprochene Fluchthilfe leisten. Zurück in Würzburg, wo man vergeblich versucht hat, ihrer zwecks Arbeitsverpflichtung habhaft zu werden, hält sie sich nur noch nachts in ihrer Wohnung auf. Im Januar 1943 fährt sie wieder ins Elsass. Ob sie dabei weiteren Personen geholfen hat oder eine neue Route erkunden will, bleibt im Dunkeln. Nach ihrer erneuten Rückkunft in Würzburg beginnt eine Odyssee, denn Ilse Totzke weiß nun, dass sie höchst gefährdet ist. Nach Aufenthalten in Gemünden und Mespelbrunn sowie anderen, ihr in Spessart und Rhön bekannten Orten, gelangt sie schließlich fünf Wochen später nach Berlin.

Die Verbindung dorthin kommt über eine Nachbarin von Else Schwabacher im sogenannten „Mischehenhaus“ in der Domerschulstraße zustande. Dorthin hatten beide Frauen ziehen müssen, nachdem ihre Männer von den Nazis verhaftet worden waren. Ilse Totzke lernt so in Berlin die Kindergärtnerin Ruth Basinski aus Rawitsch in Oberschlesien kennen.

Im Februar 1943 ist auch die 26-jährige Ruth von der Deportation bedroht und befindet sich bereits im Sammellager Auguststraße, als Ilse Totzke erneut in Berlin eintrifft. Es gelingt ihr, Ruth Basinski zur Flucht zu überreden.

Wie die beiden es schaffen, mit der Reichsbahn über Heidelberg nach Straßburg und weiter bis an die Grenze zu gelangen, ist nicht klar. Ilse Totzke hat zwar einen gültigen Reisepass, aber Ruth Basinski wäre ohne gefälschte Dokumente nicht weit gekommen. Die beiden achten darauf, jeden Tag die Unterkunft zu wechseln, auch wenn sie im gleichen Ort bleiben, und verhalten sich so unauffällig wie möglich. Obwohl Ilses Stiefmutter zu diesem Zeitpunkt in Straßburg lebt, übernachten die Frauen nicht dort, sondern im Hotel.

Am 26. Februar ist es dann so weit, nach fast zwei Wochen sind die beiden Frauen am Ziel. Ilse Totzke weiß, dass es im Zug bei Werenzhausen nahe der Schweiz eine Kontrolle geben wird – sie hat die Gegend bereits im Sommer 1942 erkundet. Also steigt man eine Station früher in Dürmenach aus.

Zu Fuß geht es am 25. Februar 1943 weiter bis nach Moulin Neuf an die Grenze. Es ist gegen 4 Uhr morgens. Zwei Frauen bewegen sich im Dunkeln auf die Lützel zu, ein kleiner Fluss, eher ein Bach, der ab dem anderen Ufer, in der Schweiz, Lucelle heißt. Es ist die Grenze zwischen dem Süd-Elsass und dem Schweizer Jura, die Trennlinie zwischen Verfolgung und Freiheit.

Ohne Gepäck und nur mit wenigen Dokumenten ausgestattet, überwinden Ilse Totzke und Ruth Basinski das eiskalte Wasser und den Drahtverhau, der das geografische Ende von Nazi-Deutschland markiert. In völliger Dunkelheit laufen die beiden weiter, nur weg von Hitlers Schreckensherrschaft, weg von einem Land, in dem die Menschenrechte mit Stiefeln getreten werden.

Noch bevor es Tag wird, stellen Schweizer Grenzbeamte die Flüchtlinge, schicken sie aber am nächsten Tag, von den Deutschen unbemerkt, wieder zurück.

Die beiden Frauen sind in einer verzweifelten Lage. Zurück nach Hause können sie nicht mehr, auch Ilse Totzke wurde inzwischen mehrfach zur Gestapo vorgeladen und verwarnt, dass sie mit einer Einweisung in ein Konzentrationslager zu rechnen habe, wenn sie sich weiterhin mit Juden treffe. Zusammen beschließen sie, es in der nächsten Nacht noch einmal zu versuchen.

Wieder gelangen sie unbemerkt in die Schweiz. Drei Stunden bewegen sie sich auf eidgenössischem Territorium, bevor sie erneut von Schweizer Grenzern aufgegriffen werden. Die Schweizer Bestimmungen sind zu diesem Zeitpunkt rigoros: Beim zweiten Versuch sind die Flüchtlinge den deutschen Behörden zu überstellen und werden „ausgeschafft“, was de facto nichts anderes bedeutet, als dass man sie an die Gestapo ausliefert.

Obwohl sie es tatsächlich geschafft haben, bis in die Schweiz zu gelangen, macht ihnen eine unmenschliche Asylpolitik den Aufenthalt dort unmöglich und zwei Schicksale wenden sich zum denkbar Schlechten.

Die beiden Frauen werden, wieder in Deutschland, intensiv befragt, sicherlich mit wenig sensiblen Methoden. Ilse Totzke äußert mehrfach, die Flucht sei ausschließlich ihre Idee gewesen, erst sie habe Ruth Basinski überredet und sie habe ohne fremde Hilfe gehandelt. Die Lücke im Drahtverhau der Grenzsicherung war allerdings mit zwei Latten gekennzeichnet und man wähnt aus diesem Grund örtliche Helfer am Werk. Eine Vermutung, die wahrscheinlich richtig ist.

Nach tagelangen Verhören wird Ruth Basinski nach Berlin verbracht, dann ins KZ Auschwitz deportiert. Ilse Totzke wird zunächst im Gefängnis Würzburg inhaftiert und vom Amtsarzt untersucht. Aus den Akten wissen wir, dass sie 159 Zentimeter groß und schlank ist, lange dunkelblonde Haare und grau-blaue Augen hat, Mitglied im Tierschutzverein ist und noch immer einen Studentenausweis bei sich trägt. Im Mai 1943 wird dem Ersuchen des Würzburger Gestapo-Inspektors Michael Völkl stattgegeben und ein „Schutzhaftbefehl“ für Ilse Totzke ausgestellt. Am 4. Juni 1943 wird sie nach Ravensbrück „verschubt“. Ihre bürgerliche Existenz endet nun und aus der einstigen Musikstudentin Ilse Totzke wird Häftling Nr. 20338 ohne jegliche Rechte.

Beide Frauen haben die Hölle der Lager überlebt, Ruth Basinski als Flötistin im sogenannten „Mädchenorchester“ von Alma Rosé in Auschwitz. Ilse Totzke wird im Herbst 1943 nach Auschwitz überstellt, etwa drei Monate später wieder nach Ravensbrück zurückbefohlen und im April 1945 durch eine Aktion des Schwedischen Roten Kreuzes befreit.

Ruth Basinski lebte einige Zeit nach Kriegsende in Frankreich, bekam eine Tochter und wanderte schließlich in die USA aus, wo sie in den 1980er Jahren in New York verstarb. Ilse Totzke verbrachte einige Wochen in Schweden und übersiedelte dann nach Paris, wo sie sich neun Jahre lang mit den unterschiedlichsten, schlecht bezahlten Tätigkeiten über Wasser hielt. Erst 1954 kehrte sie wieder nach Deutschland zurück und stellte mithilfe ihrer Würzburger Anwältin einen Wiedergutmachungsantrag, dessen Bearbeitung sich allerdings sehr in die Länge zog.

Ilse Totzke zog schließlich nach München, um persönlich beim Amt für Entschädigung vorstellig zu werden. Sie meldete sich im März 1956 von ihrer letzten Würzburger Adresse, Höchberger Straße 42, ab. Nach einer erfolgten Teilauszahlung gelangte ein letztes Lebenszeichen in Form eines Briefes aus Karatschi, wo sie sich zu Studienzwecken aufhielt, an besagtes Amt.

Ilse Totzke verstarb am 23. März 1987 in Haguenau im Elsass. Über ihre letzten 30 Lebensjahre ist bislang nichts bekannt. In Jerusalem hat man dieser außerordentlich mutigen Frau bereits 1995 gedacht; es wurde in der „Allee der Gerechten“ ein Baum für sie gepflanzt. In Würzburg wurde am Dienstag zu ihrem 100. Geburtstag im Stadtteil Frauenland eine Straße nach ihr benannt.

„Das Vorgehen gegen die Juden halte ich nicht für richtig.“
Ilse Totzke im Gestapo-Verhör
Letzte Adresse: In der Höchberger Straße 42 wohnte Ilse Totzke bis 1956.
Foto: J. Körner | Letzte Adresse: In der Höchberger Straße 42 wohnte Ilse Totzke bis 1956.
 
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