Als Tourist spürt man das Trauma in New Orleans schon lange nicht mehr; im Vergnügungsviertel French Quarter vibriert das Leben zwischen Blues-Bars und den Cajun-Gerüchen praller als je zuvor. Zehn Jahre, nachdem Hurrikan Katrina der Stadt beinahe das Genick gebrochen hätte, hat The Big Easy ihre Leichtigkeit wiedergefunden, vielerorts auch neue Dynamik. „Es ist eine der größten Comeback-Geschichten, die das Land seit sehr langer Zeit gesehen hat“, erklärt der demokratische Bürgermeister Mitch Landrieu nun auf allen Kanälen. Damit hat er zumindest teilweise recht. Katrina gilt bis heute als teuerste Naturkatastrophe der USA. Mit mindestens 1833 Toten war sie auch eine der tödlichsten – nur Wirbelstürme in den Jahren 1900 und 1928 forderten noch mehr Opfer.
Noch vor wenigen Jahren sah New Orleans schlimmer aus als das bankrotte Detroit. Heute hat die Stadt 85 Prozent ihrer alten Einwohnerzahl zurückerlangt und mit 9,5 Millionen Besuchern pro Jahr auch fast wieder so viele wie vor der Katastrophe (10,1 Millionen). Dabei hängt die Metropole längst nicht mehr so einseitig vom Tourismus ab wie früher. Das Magazin Forbes führt New Orleans auf Platz eins der Städte, die Hochschulabgänger nach ihrem Studium ansteuern.
Erinnerung an Behördenversagen
Der Jubel verdeckt aber auch Schattenseiten. Keine andere US-Metropole hat eine so hohe Mordrate. Fachleute glauben, dass sich eine Katastrophe wie 2005 wiederholen kann. Und: Die Wiedergeburt ist nicht allen zugutegekommen. Im Osten der Stadt sterben nach wie vor ganze Viertel vor sich hin. Es sind die Viertel der Armen.
Am fünften Jahrestag des Unglücks, im Jahr 2010, hat Landrieu schon einmal hehre Worte gesprochen. Damals ging es um „die schöne Wahrheit, die Katrina uns alle gelehrt hat: Wir sind alle gleich.“ Aber gerade das stimmte nie. Afroamerikaner erinnern sich vor allem an ein Behördenversagen, unter dem vor allem Schwarze zu leiden hatten.
Als Katrina am 28. August 2005 auf die Golfküste zuraste, verließen allein im Bundesstaat Louisiana 1,3 Millionen Menschen ihre Häuser; im Ballungsraum New Orleans waren es 400 000. Für die verbleibenden 60 000 gab es keinen funktionierenden Evakuierungsplan – wer kein Auto und nicht genug Geld für eine Fernfahrkarte hatte, saß fest. Das waren vor allem Farbige. Die überforderte Verwaltung packte 30 000 Menschen in den Superdome, die Sportarena im Zentrum.
Was dann über die Stadt hereinbrach, war allerdings schlimmer, als es selbst Meteorologen erwartet hatten: Bevor Katrina am 29. August aufs Festland prallte, hatte der Sturm sich zwar von Stufe fünf zu einem Hurrikan der Stufe drei abgeschwächt. Aber das war immer noch genug, um die maroden Deichsysteme an mehr als 50 Stellen zu durchbrechen – Untersuchungen ergaben später, dass die Anlagen Pfusch gewesen waren. New Orleans liegt unter dem Meeresspiegel. Nach überstandenem Sturm stand die Stadt zu 80 Prozent unter Wasser, im Durchschnitt 1,30 Meter tief. Die Behörden vor Ort waren massiv überfordert, aber auch die Bundesagentur für Katastrophenschutz FEMA half spät. Präsident George W. Bush erwischte das Unheil auf völlig falschem Fuß: Er urlaubte auf seiner Ranch im texanischen Crawford und brach das erst zwei Tage nach dem Sturm ab. Einen Trip in die Stadt unternahm Bush erst zwei Wochen später.
Im Fernsehen erlebte die schockierte Nation derweil fassungslose Reporter, die über schutzlose Menschen auf den Dächern ihrer Häuser berichteten, im Wasser treibende Leichen und verzweifelte Nahrungssuchende. Es kam zu Ausschreitungen, die aber vielfach übertrieben dargestellt wurden, oft mit einer verräterischen Tendenz: Weiße wurden als Opfer auf der Suche nach Lebensmitteln bezeichnet, Farbige als Plünderer tituliert.
Für Afroamerikaner manifestierte sich in dem Debakel etwas Erschütterndes: Gleichgültigkeit der weißen Mehrheit gegenüber schwarzem Leid. Die Website Slate sieht in der aktuellen Empörung über Polizeigewalt die Fortschreibung dieser Einsicht: Die „Black Lives Matter“-Bewegung sei unausweichlich gewesen – Katrina sei im 21. Jahrhundert das prägende Erlebnis für Afroamerikaner.
Das Misstrauen der Schwarzen wurde beim Wiederaufbau nicht kleiner. Hausbesitzer in ärmeren Vierteln erhielten für denselben Schaden nicht nur weniger Geld. Der Papierkrieg zog sich auch über Jahre, in denen Minderbemittelten die Puste ausging – was die Stadt schließlich nutzte, um ganze Viertel zu überplanen. Kritiker werfen dem Rathaus vor, die Neugestaltung mit mächtigen Interessenvertretern ausgekungelt zu haben, Ex-Bürgermeister Ray Nagin sitzt heute wegen Korruption im Gefängnis.
Der demokratische Abgeordnete Barney Frank warf der neuen Verwaltung unter Landrieu 2007 vor, man könne auch durch Nichtstun eine „ethnische Säuberung“ erreichen. Insgesamt ist der Bevölkerungsanteil von Weißen und Schwarzen aber annähernd gleich geblieben.
71 Milliarden investiert
Die Bundesregierung hat nach dem Sturm 71 Milliarden Dollar in Louisiana investiert, das meiste davon im Raum New Orleans. Beachtliche Summen flossen in bessere Schutzsysteme. Das Problem: Einem Sturm vom Kaliber Katrinas wären auch sie nicht gewachsen. Das Marschland zwischen Küste und Stadt hat die Gewalt von Stürmen früher zwar erfolgreich gebrochen. Seit der Mississippi gebändigt ist und Ölfirmen das Gebiet mit Fahrwegen durchschneiden, schrumpft das Ökosystem aber rapide.
US-Präsident Barack Obama hat den Willen zum Wiederaufbau in New Orleans gelobt. „Wenn Katrina anfangs ein Beispiel für ein Versagen der Regierung war, ist der Wiederaufbau ein Beispiel dafür gewesen, was möglich ist, wenn die Regierung zusammenarbeitet“, sagte Obama beim Besuch der Südstaatenmetropole. Die Kritik an seinem Vorgänger George W. Bush, der für sein zögerliches Krisenmanagement angegriffen wurde, ließ Obama mehrfach anklingen.
Die Regierung habe bei der Aufgabe versagt, nach ihren eigenen Bürgern zu sehen, sagte er. „Was als Naturkatastrophe begann, verwandelte sich in ein von Menschen verursachtes Desaster.“ Aber die Tatsache, das nur zehn Jahre nach einer solchen Katastrophe so viele Fortschritte gemacht worden seien, zeuge von dem „Geist, den wir in dieser Stadt haben“. Mit Informationen von dpa
Der Hurrikan Katrina kostete vor zehn Jahren in den USA mehr als 1800 Menschen das Leben
Mehr als 1800 Menschen kamen durch den Hurrikan Katrina ums Leben. Wie schwer war der Sturm? Welche Rolle spielte Rassismus bei den Rettungsaktionen? Fragen und Antworten: Wie schwer war der Sturm? Katrina war nicht der schwerste Sturm in der Geschichte der USA, auch wenn die Ausmaße gewaltig waren. Katrina war ein Wirbelsturm der höchsten Kategorie fünf, und seine Winde waren bis zu 280 Kilometer in der Stunde schnell. Camille war 1969 aber noch ein wenig stärker, und der Labor Day Hurricane 1935 war sogar deutlich heftiger. Seine Winde waren 295 Kilometer in der Stunde schnell. Wie viele Menschen starben genau?
Katrina tötete 1833 Menschen, Hunderte sind immer noch vermisst. Es gab zwei Stürme mit mehr Toten. Doch der Okeechobee-Hurrikan mit etwa 4000 Opfern war 1928 und der Galveston-Hurrikan mit bis zu 12 000 Toten schon im Jahr 1900 – eigentlich dachte man, dass der US-Unwetterschutz solch große Katastrophen heutzutage ausschließt. Welche Sachschäden richtete Katrina an? Katrina war die teuerste Naturkatastrophe in der Geschichte der USA. Der Sturm soll einen Schaden von 125 Milliarden Dollar (heute 111 Milliarden Euro) verursacht haben. Sandy an zweiter Stelle kostete 2012 etwa 75 Milliarden. In New Orleans wurden 80 Prozent der Stadt überflutet; teilweise stand das Wasser fast fünf Meter hoch. Dutzende Brücken waren zerstört, Straßen unpassierbar. Mehr als 70 Prozent aller Häuser und Wohnungen wurden schwer beschädigt oder sogar zerstört. Kam die Hilfe zu spät?
Es wurden viele Fehler gemacht, aber es war auch eine außergewöhnliche Katastrophe: Schon bevor der Sturm da war, hatte die Stadt den Verkehr gestoppt – und so Tausenden die Fluchtmöglichkeit genommen. Der Bundesstaat unterschätzte die Tragweite und forderte zunächst keine Hilfe aus Washington an. Und dort lehnte man sich anfangs zurück, weil es kein Hilfsersuchen gab. Katrina hat dazu geführt, dass der Katastrophenschutz in den USA neu geordnet wurde. War Rassismus im Spiel? John Keller ist schwarz und er glaubt das. Er harrte aus und wartete auf Hilfe. Dann hatte er die Idee, die alten weißen Leute aus dem Gebäude auf das Dach zu setzen – und schon sei Hilfe gekommen. „Die Menschen kümmern sich in diesem Land nur um bestimmte Rassen“, sagt er. Und: „Ich habe mich wie ein Bürger zweiter Klasse gefühlt.“ Text: dpa