Anabolika, Wachstumshormone und das gefährliche Insulin für Gesunde, an der Uni Freiburg begann Anfang der 70-er Jahre ein bislang gänzlich unbekanntes Projekt der Dopingforschung. Bewiesen wurde dies nun durch den Fund der Original-Akten im Bundesarchiv durch „Main-Post“ und „Märkische Oderzeitung“. Doch nicht nur die Experimente mit Dopingmitteln sind fragwürdig, sondern auch die Finanzierung mit Steuergeldern. Eine intensive Aufarbeitung scheint hier dringend notwendig. Die „Bestandssignatur B/274“ mit der Archivsignatur 54 bezeichnet den Fundort im Bundesarchiv Koblenz.
869 102,26 DM in drei Jahren
Die Signatur „VF 1220/13/72“ hat den vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) vergebenen Akten-Titel „Prof. Dr. Reindell / Prof. Dr. Keul, Freiburg“. Wie selbstbewusst die Antragsteller waren, zeigt der gleichlautende Titel der Anträge von 1971 und 1972 an das gerade gegründete Bundesinstitut: „Fortführung und Ausweitung der Arbeiten des Forschungs- und Leistungszentrums am Lehrstuhl“. Mit diesen Anträgen kämpften Reindell und Keul zugleich um die Führungsposition bei den jetzt einsetzenden Zahlungen aus der Bundeskasse. Allein Joseph Keul erzielte von 1971 bis Ende 1973 Einnahmen von 869 102,26 DM, davon 1971 noch über 200 000 DM vom „Kuratorium für sportmedizinische Forschung“. Durch den Bund als neue Quelle wurden allein 1972 und 1973 mehr als 540 000 DM erwirtschaftet, wie eine Abrechnung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg vom 28. Mai 1976 für das BISp belegt.
Wie wir durch die Recherche dieser Zeitung wissen, handelt es dabei auch um Forschungen mit Dopingbezug. Im Anschreiben aus Freiburg wurde ein „Missstand“ bei der Abrechnung folgendermaßen kommentiert: „Die Amtskasse verwaltet nur solche Mittel, die bei der Universität (Klinikum) als Institution zufließen. Für Mittel, die 'ad Personam’ gegeben werden, sind wir nicht zuständig. (...) Insofern wäre es dringend angezeigt, dass, wie bei allen anderen Bundesmitteln und öffentlichen Mitteln, ausschließlich eine Abrechnung zwischen Geldgeber und Amtskasse erfolgt.“
Eine Erklärung für diesen Vorgang zeigt eine weitere Dimension: Der offensichtlich unkontrollierbare Umgang Keuls mit Fördergeldern, die zum Teil telegrafisch auf ein eigens von ihm angelegtes Sparkassenkonto angewiesen wurden. Zur Ehre des BMI sei erwähnt, dass seine interne „Vorprüfungsstelle“ beim BISp Mängel sah, da nicht nach „Weisung des Bundesrechnungshofes“ verfahren würde. In einem „Beanstandungsschreiben“ vom 8. August 1978 wurde der „Widerruf“ der Regelung vom 24. Mai 1978 verlangt, dass öffentliche Mittel auf Privatkonten (also direkt an Forschungsnehmer Keul) überwiesen werden. Die Rekonstruktion lässt den Schluss zu: Die hier untersuchten dopingorientierten Anträge aus Freiburg hatten im BISp Priorität vor korrekten Verfahrensweisen beim Umgang mit Geld. Anders gesagt: Die Überweisung auf Keuls Privatkonto war BISp und BMI bekannt – es gab trotz des Hinweises keine Sanktionen.
Erfindungsreichtum zeigten die Forschungsnehmer auch in Bezug auf Steuern: Der in den Akten belegte Vorgang „Prof. Keul, Freiburg: Mobiler Meßwagen – Unterhaltung“ zeigt, dass es bei der Ausstattung eines Forschungsfahrzeugs mit Wissen des Bundesinstituts zumindest zur Steuerverkürzung kam. Das BISp hielt am 6. Januar 1972 fest, Keul solle beauftragt werden, dieses mobile Labor „errichten zu können“. Die Anschaffung dieses Messwagens wurde zur Erleichterung der Finanzierung als Forschungsvorhaben bilanziert. Dies geschah, obwohl das fahrende Labor keine Projektaufgabe erfüllte, sondern Dienstleistungen erbringen sollte. Die Finanzierung sollte als Spende erfolgen. Dazu gab es „Spendenbescheinigungen“ für Schenkung der Geräte des mobilen Messwagens über das „überfachliche Leistungszentrum Freiburg e.V.“, da das Bundesinstitut „aufgrund seiner rechtlichen Stellung dazu nicht in der Lage ist. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dann der Mobile Meßwagen dem Bundesinstitut übereignet. Diese Regelung wurde zwischen dem Bundesinstitut, Referent für Biologie/Medizin Dr. Kock und Herrn Prof. Keul vereinbart und abgesprochen.“ Da zum Zeitpunkt der Schenkung die kostenlose Übergabe an das BISp bereits beschlossen war, liegt die Einschätzung nahe, dass die Spendenbescheinigungen letztlich der Steuerverkürzung dienten.
Die Beantwortung dieser Frage kann die Lektüre der immer noch unter Verschluss gehaltenen Darstellungen im Projekt „Doping in Deutschland“ erleichtern. Unter Leitung des Verfassers dieses Artikels wurde erarbeitet, dass in der Bundesrepublik eine besondere Form des „systemischen Dopings“ entstanden war, bei dem das staatliche Bundesinstitut von der Gründung an aktiv mitwirkte. „Sportwissenschaftliche Zweckforschung“ wurde deshalb als „nutzungsorientierte Dopingforschung“ verstanden und mit Kenntnis von Institutionen und Personen, bis hin zu Willi Daume, von 1961 bis 1992 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, aufgezeigt. Der im Frühjahr unter Federführung der Humboldt-Universität zu Berlin mit den Projektnehmern aus Münster erarbeitete gemeinsame Schlussbericht liegt weiter unter Verschluss. Ein Tastenklick im Bundesministerium des Inneren könnte für Transparenz sorgen und die Texte wären im Internet abrufbar und könnten endlich in Fachwelt und interessierter Öffentlichkeit diskutiert werden und Tage später als Broschüre in die Hand genommen werden.
Aufarbeitung beginnt erst
Die Recherche-Gruppe der „Main-Post“ und der „Märkischen Oderzeitung“ wollte mit Unterstützung der Arbeitsgruppe „Aufarbeitung und Recht“ der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder den Verbleib der dopingbezogenen BISp-Originalakten recherchieren. Meine Berliner Forscher-Gruppe hatte die Vermutung öffentlich gemacht, dass genau diese Bestände vernichtet worden seien. Dies hat sich als Ergebnis der Recherchen leider bestätigt, was neue Fragen aufwirft: Wer ist verantwortlich und worin bestand das Ziel? Wurde dadurch ein über 500 000 Euro-Projekt behindert und sind damit Bundesmittel zumindest unökonomisch eingesetzt worden? Können Ersatzüberlieferungen gefunden werden und müssen laufende Vorgänge im BMI und gesperrte Akten geöffnet werden?
Die Aufarbeitung hat jetzt erst begonnen.
Prof. Giselher Spitzer
Der Autor des Textes wurde 1952 in Kiel geboren. Seit 2002 ist er an der Humboldt-Universität Berlin und dort seit 2009 Außerplanmäßiger Professor für Sportwissenschaft. Spitzer war Leiter der Berliner Forschungsgruppe für die Studie „Doping in Deutschland“. Er hat zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter die „Heidi-Krieger-Plakette“ für die „Unterstützung von dopinggeschädigten Sportlern und der Verhinderung von Doping im Sport“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sport und Gesellschaft, Doping als Spezialfall des Enhancement, Prävention und Sport. Spitzer ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. „Fußball und Triathlon. Sportentwicklungen in der DDR“, „Wunden und Verwundungen. Opfer des DDR-Dopingsystems“. FOTO: MP