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WÜRZBURG
Zahl der jungen Allergiker steigt
reda
 |  aktualisiert: 19.06.2015 19:35 Uhr

Der Deutsche Lebensmittelallergietag am 21. Juni will darauf hinweisen, dass immer mehr Menschen in Deutschland an einer Allergie leiden und dabei Lebensmittel-Unverträglichkeiten immer bedeutender werden. Die Zahl der behandlungsbedürftigen Nahrungsmittelallergiker wird auf fünf bis sieben Prozent geschätzt. Häufig sind die als gesund eingestuften Lebensmittel Auslöser der Beschwerden, die sich durch Durchfall, Hautausschlag, Asthma oder Kreislaufversagen bemerkbar machen. Im Gespräch mit dieser Reaktion informiert Professor Dr. Helge Hebestreit, Leiter Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Mukoviszidose der Universitäts-Kinderklinik Würzburg, über Ursachen und Auswirkungen von Lebensmittelallergien bei Kindern.

Frage: Herr Professor Hebestreit, haben die allergischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zugenommen?

Professor Dr. Helge Hebestreit: Die Zahl der Kinder- und Jugendlichen, die an allergischen Erkrankungen wie Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma bronchiale leiden, hat tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten in den westlichen Ländern und auch in Deutschland deutlich zugenommen. Jetzt scheinen sich die Erkrankungszahlen jedoch auf einem hohen Niveau einzupendeln.

Aktuell leiden circa 16 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter mindestens einer allergischen Erkrankung, bei circa 23 Prozent findet sich eine solche Erkrankung in der Vorgeschichte.

Wie viele an Lebensmittel-Allergien erkrankte Kinder behandeln Sie jährlich und woher kommen sie?

Hebestreit: In der Universitäts-Kinderklinik Würzburg werden relativ häufig Kinder und Jugendliche mit Symptomen einer Nahrungsmittelallergie aus Unterfranken und zum Teil darüber hinaus vorgestellt. Hierbei müssen jedoch mehrere Formen unterschieden werden. Neben den Notfallvorstellungen aufgrund allergischer Reaktionen wie Nesselsucht, Schwellungen von Lippen und Gesicht, Atem- oder Kreislaufstörungen gibt es geplante ambulante Vorstellungen zur Diagnostik und Beratung bei Verdacht auf Allergien sowie stationäre Vorstellungen zur Provokation mit angeschuldigten Nahrungsmitteln. Weiterhin werden Säuglinge mit einer ausgeprägten atopen Dermatitis (= Neurodermitis), die bei einem Teil der Kinder durch bestimmte Nahrungsmittel verschlechtert wird, bei uns betreut. Insbesondere bei den Kindern mit Neurodermitis erfolgt die Betreuung in enger Kooperation mit unseren Kollegen der Universitätshautklinik.

Wie alt sind die kleinen Patienten?

Hebestreit: Die jüngsten Kinder sind nur wenige Monate alt, die ältesten Patienten sind im Jugendalter.

Besteht ein höheres Risiko, eine Allergie zu entwickeln, wenn in der Familie ebenfalls Allergien vorkommen?

Hebestreit: Das Allergierisiko ist bei Kindern etwa auf das Doppelte erhöht, wenn ein Elternteil eine manifeste allergische Erkrankung hat. Sind beide Elternteile oder ein Elternteil und ein Geschwisterkind betroffen, ist das Risiko noch viel höher.

Welche Rolle spielt die seelische Verfassung eines Kindes? Kann zum Beispiel Stress einen Krankheitsausbruch beschleunigen?

Hebestreit: Es gibt Hinweise, dass starke seelische Belastungen die Manifestation einer allergischen Erkrankung begünstigen können. Auch kann seelischer oder körperlicher Stress Neurodermitis verstärken oder einen Asthmaanfall auslösen.

Gibt es Lebensmittel, die ein Allergiker unbedingt immer meiden sollte, um keinen neuen Anfall zu provozieren, oder muss jeder Fall individuell gesehen werden?

Hebestreit: Es gibt Lebensmittel, gegen die häufiger allergische Reaktionen beobachtet werden als gegen andere Nahrungsmittel. Trotzdem sollen diese Lebensmittel nicht grundsätzlich gemieden werden. Dies trifft auch auf alle Menschen zu, die ein erhöhtes Risiko für allergische Reaktionen haben. Nur die Nahrungsmittel, gegen die eine allergische Reaktion eindeutig belegt ist, dürfen auch in kleinsten Spuren nicht aufgenommen werden. Mit anderen Worten: Wenn nur im Rahmen eines Allergietestes eine Sensibilisierung beobachtet wird, das Lebensmittel in der Vergangenheit aber immer gut vertragen wurde, darf das Nahrungsmittel weiter gegessen oder getrunken werden. Eine Vermeidung kann eventuell sogar schädlich sein.

Wer ist der Ansprechpartner bei einer chronischen Erkrankung – der Kinderarzt oder die Klinik?

Hebestreit: Der primäre Ansprechpartner bei Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter ist der Kinder-Jugendarzt. Allerdings gibt es gerade bei selteneren chronischen Erkrankungen manchmal die Situation, dass eine spezialisierte Diagnostik erforderlich wird oder auch besondere Erfahrungen mit einem Krankheitsbild gebraucht werden, die nur in der Klinik vorhanden sind.

Inwieweit müssen Eltern und weitere Personen wie Erzieher, Lehrer geschult werden, um in ernsten Situationen vor Ort erste Hilfe zu leisten, bis der Notarzt kommt?

Hebestreit: Gerade bei Nahrungsmittel- oder Insektengiftallergien, aber auch beim Asthma kann es zu akuten lebensbedrohlichen Verschlechterungen der gesundheitlichen Situation kommen. Hier ist eine gute Schulung sowohl der Eltern und Erzieher als auch – soweit das altersmäßig möglich ist – der betroffenen Kinder lebenswichtig. Die Schulung behandelt jedoch nicht nur die üblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen, sondern auch spezielle Maßnahmen wie die richtige Verabreichung der Medikamente.

Welche präventiven Maßnahmen empfehlen Sie?

Hebestreit: Ausschließliches Stillen während der ersten vier Lebensmonate ist ein wichtiger Teil der Allergie-Prävention. Dabei gibt es Hinweise, dass eine Ernährung der Mutter in dieser Zeit, die Fisch enthält, einer Neurodermitis vorbeugen kann. Ist nicht genug Muttermilch vorhanden, kann bei eindeutig erhöhtem Risiko für eine Allergie (mindestens ein Elternteil hat eine manifeste allergische Erkrankung) eine besondere hypoallergene Anfangsmilch eingesetzt werden. Milch auf Soja-Basis hat hier keinen vorbeugenden Effekt.

Haben Sie weitere Ratschläge für Eltern?

Hebestreit: Ich empfehle allen Eltern, auch aus Gründen der Allergieprävention, ihre Kinder vor Übergewicht und Fettleibigkeit zu schützen. Familien mit erhöhtem Allergierisiko sollten auf Katzen als Haustiere verzichten. Auch Luftbelastungen mit Schimmelsporen in feuchten Räumen oder mit Innenraumschadstoffen sollten vermieden werden. Eine extrem wichtige – aber aus Erfahrung leider oft nicht umgesetzte – Empfehlung gerade mit Blick auf die Vorbeugung gegen Asthma ist der vollständige Verzicht auf Nikotin in der Familie. Dies gilt natürlich schon für die Zeit der Schwangerschaft. Foto: Vogel

 
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