Probleme, nichts als Probleme. Die vergangenen Tage waren für Angela Merkel schwierig und extrem anstrengend – und am Montag sieht es auch nicht viel besser aus. Keine Atempause für die Bundeskanzlerin, die schlechten Nachrichten nehmen kein Ende. Der Waffenstillstand in der Ukraine, den sie erst am Donnerstag in Minsk ausgehandelt hat, in einer Nacht ohne Schlaf, ist brüchig.
Das griechische Schuldendrama nimmt seinen Lauf. Und dann ist da auch noch das katastrophale Abschneiden ihrer CDU bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg. Die Union, die unter dem beliebten Bürgermeister Ole von Beust vor gerade einmal elf Jahren noch satte 47,2 Prozent der Stimmen erhielt und mit absoluter Mehrheit regieren konnte, stürzte auf magere 15,9 Prozent ab – das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte – und liegt in der Hansestadt nur noch knapp vor den Grünen. „CDU wird Kleinpartei“, höhnt die links-alternative „taz“ am Montag.
Angesichts der Deutlichkeit der Niederlage gibt es für Angela Merkel und die Granden der CDU nichts zu beschönigen. Das sei „eine ordentliche Klatsche“ gewesen, bringt es der stellvertretende Bundesvorsitzende und hessische Ministerpräsident Volker Bouffier schon am Morgen vor den Sitzungen der Spitzengremien seiner Partei auf den Punkt, die SPD habe mit einem „sehr überzeugenden Bürgermeister“ stark ins bürgerliche Lager übergegriffen. „Und ganz offenkundig haben wir dort kein Thema gefunden, das unsere Wähler wirklich auf die Beine gebracht hätte.“
Ähnlich sieht es Parteichefin Merkel. „Wir sind alle der Meinung, dass es ein bitteres Wahlergebnis ist“, sagt sie knappe drei Stunden später nach den Gremiensitzungen, an anderer Stelle nennt sie das Abschneiden „ernüchternd“. Auf der Suche nach Erklärungen landet auch die Kanzlerin ganz schnell beim SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und dessen hoher Popularität, auch bei den eigenen Stammwählern. Scholz habe „keinerlei Fehler“ gemacht und sei eine „ausgeprägte Persönlichkeit“, so Merkel. Die wirtschaftliche Lage der Stadt sei gut und es habe keine Wechselstimmung gegeben.
Von einem Großstadtproblem der CDU wollen Merkel und die Spitzenleute der Partei allerdings nichts wissen. „Gerade mit Ole von Beust war die CDU in Hamburg sehr erfolgreich“, sagt die Kanzlerin, bei der Bundestagswahl lag die Union gleichauf mit der SPD bei 30 Prozent. Und auch am Spitzenkandidaten, darin sind sich alle einig, hat es nicht gelegen.
Denn Dietrich Wersich verkörpert beinahe idealtypisch die neue Großstadt-CDU: Er kommt aus dem Kulturbereich und leitete lange Jahre die Hamburger Kammerspiele und das Harburger Theater, bekennt sich zu seiner Homosexualität, pflegt freundschaftliche Kontakte zu den Grünen und steht für einen liberalen Kurs der Mitte. Dass er dennoch nicht den Hauch einer Chance hatte, hat für Angela Merkel einen simplen Grund: Ihm fehlte es an einer realistischen Machtoption.
Das bestätigen auch die Analysen der Wahlforscher. Die Union verlor Wähler an praktisch alle Parteien: 1000 an die Grünen, 8000 an die SPD, ebenfalls 8000 an die AfD und sogar 9000 an die FDP, die auf diese Weise den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte. Und weitere 8000 frühere CDU-Wähler blieben zu Hause. Die CDU, zieht der gescheiterte Spitzenkandidat Wersich frustriert Bilanz, habe zwar „viel Respekt, aber wenig Stimmen“ erhalten.
Entsprechend groß ist am Montag die Freude bei den Sozialdemokraten. Denn in Hamburg ist es der Partei gelungen, den Spieß umzudrehen und Angela Merkel quasi mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Ein allseits beliebter Amtsinhaber, der nicht polarisiert und spaltet, sondern nüchtern und pragmatisch regiert, kaum Angriffsflächen bietet und dem politischen Gegner keine Chance gibt, gegen ihn zu mobilisieren. Mit dieser Taktik gewann Angela Merkel die Bundestagswahlen 2009 und 2013 gegen chancenlose SPD-Herausforderer, die keine Machtoptionen hatten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel leitet daraus am Montag die Erkenntnis ab, „dass sich verlässliche Regierungsarbeit auszahlt“. Scholz habe „wenig versprochen, alles gehalten und vor allem gezeigt, dass wirtschaftliche und soziale Kompetenz keine Gegensätze sind, sondern zusammengehören“. Weder habe Wirtschaftskompetenz mit Unterwerfung unter die Interessen der Wirtschaft zu tun, noch soziales Engagement damit, dass Sozialdemokraten die Wirtschaft egal sei. Gleichwohl weiß Gabriel, dass die Bedingungen für die SPD auf Bundesebene derzeit deutlich schlechter sind als in Hamburg. Zwar sei die Partei im Norden ganz gut aufgestellt, sagt der Parteichef, doch im Süden und Osten müsste sie noch stärker werden.