Ein herrlicher Termin, ideal für den ersten öffentlichen Auftritt im neuen Jahr, garantiert spannungsfrei, dafür ein Lieferant vieler hübscher Bilder. Schloss Bellevue erstrahlt noch immer im weihnachtlichen Glanz, 50 Mädchen und Buben aus dem Bistum Essen, in farbenprächtigen, aufwändigen Kostümen als Sternsinger gekleidet, verkünden mit kindlicher Unschuld die frohe Botschaft von der Geburt des Herrn und dem Besuch der drei Weisen aus dem Morgenland an der bescheidenen Krippe im Stall von Bethlehem, sie singen ihre Lieder und strahlen um die Wette, und mittendrin der Bundespräsident, der die Kinder in seinem Amtssitz begrüßt.
Ein Routinetermin, normalerweise kaum der Rede wert. Doch an diesem Freitag ist alles anders im Amtssitz des Bundespräsidenten. Alle Augen sind auf Christian Wulff gerichtet, der seit Wochen in der Kritik steht und sich schwersten Vorwürfen ausgesetzt sieht, zahlreiche Fotografen und Kameraleute, deutlich mehr als sonst bei dieser Veranstaltung üblich, haben ihre Objektive auf das Staatsoberhaupt gerichtet, um jede noch so kleinste Regung in seinem Gesichte einzufangen.
Doch Wulff gibt sich, zumindest nach außen, gelassen und unbeeindruckt, routiniert und souverän. Mit einem fast schon fröhlich wirkenden „Herzlich willkommen“ begrüßen er und seine Frau Bettina am Vormittag die Mädchen und Buben, er nimmt sich viel Zeit für seine Besucher, erzählt ihnen, dass er als Jugendlicher selber Sternsinger gewesen und von Haus zu Haus gezogen sei und dass er ihren Mut schätze.
Wie es allerdings in ihm aussieht, tief drinnen in seiner Seele, verrät er nicht. Nur einige wenige Sätze geben einen kleinen Einblick in seine Gefühlswelt. „Die letzten Wochen waren so, dass man sich das nicht noch einmal zumuten muss, dass ich mich freue, dass das Jahr 2012 losgeht und ich mich meinen eigentlichen Aufgaben zuwenden kann“, sagt er an einer Stelle. Und ein anderes Mal wendet er sich an die Mädchen und Buben mit den Worten: „Wir alle sollen ja auch Segen sein und kein Fluch. Das geleitet uns ja auch als Auftrag in unserem Wirken.“
Ist sein Wirken nun Segen oder Fluch? Für sich selber hat Christian Wulff diese Frage längst entschieden, trotz der nicht enden wollenden Vorwürfe. Er habe sich persönlich nichts vorzuwerfen und wolle im Amt bleiben, ein Urteil über sein Wirken soll erst am Ende seiner fünfjährigen Amtszeit im Jahre 2015 gefällt werden, sagte er in dem Fernsehinterview am Mittwoch.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht ihrem Parteifreund demonstrativ ihr Vertrauen aus. „Die Bundeskanzlerin hat große Wertschätzung für Christian Wulff als Menschen und für Christian Wulff als Bundespräsidenten. Und sie hat große Achtung vor dem Amt, das er innehat“, lässt sie über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten – fügt allerdings mit einem durchaus warnenden Unterton hinzu: „Das Amt des Bundespräsidenten ist eines, das man mit großer Achtung behandeln muss – und zwar von außen wie von innen.“
Zur Ruhe kommt der erste Mann im Staate gleichwohl nicht. Wulffs Kalkül, seine öffentliche Beichte und seine Bitte um Entschuldigung vor dem Millionenpublikum am Fernseher am Mittwoch werde als Befreiungsschlag wirken und die Debatte beenden, geht nicht auf, im Gegenteil. Es gibt neue Vorwürfe, Aussage steht gegen Aussage.
Sowohl die „Bild“-Zeitung als auch die BW-Bank widersprechen öffentlich den Darstellungen Wulffs im Fernsehinterview und nähren die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Staatsoberhaupts. Während Wulff darauf beharrt, bei seinem Anruf bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann lediglich um eine Verschiebung der Veröffentlichung um einen Tag gebeten zu haben, bis er von seinem Staatsbesuch auf der arabischen Halbinsel nach Berlin zurückgekehrt sei, behauptet „Bild“ das Gegenteil: „Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden“, sagt der stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome.
Eine Bitte des Blattes, den Wortlaut seines Anrufes veröffentlichen zu dürfen, lehnte der Präsident ab. „Die in einer außergewöhnlich emotionalen Situation gesprochenen Worte waren ausschließlich für Sie und für sonst niemanden bestimmt“, schreibt Wulff an Diekmann. „Dabei sollte es aus meiner Sicht bleiben.“ Diekmann bedauert die Entscheidung und will auf eine Veröffentlichung verzichten. Gleichwohl schickt die Zeitung Wulff eine Abschrift des Wortlauts seines Anrufs – damit sich Wulff „bei Aussagen darüber nicht nur auf seine Erinnerung stützen muss“, wie der Springer-Verlag süffisant hinzufügt.
In einem Kommentar stellt der „Bild“-Chefredakteur klar, dass Wulff kein Opfer einer „Medien-Kampagne“ sei. Wer den „Fall und die Probleme des Bundespräsidenten jetzt zu einem ,Machtkampf' zwischen dem ersten Mann im Staat und der größten Zeitung im Land aufpumpt, der geht wahrhaft in die Irre.“ Die Medien würden Fragen stellen, Fehler aufdecken und Widerstände bloßlegen. „Aber sie entscheiden nicht.“
Damit nicht genug. Auch die BW-Bank weist in Sachen Hausfinanzierung die Darstellung des Präsidenten zurück. Nach ihren Worten ist der Vertrag für ein langfristiges Darlehen zur Finanzierung des Einfamilienhauses in Großburgwedel bei Hannover nicht bereits Ende November 2011 zustande gekommen, wie es Wulff am Mittwoch gesagt habe. Zwar habe man sich damals mündlich geeinigt, doch die von Wulff behauptete „Handschlagqualität in diesem Bereich“ reiche nicht aus, um den Vertrag wirksam werden zu lassen. „Ein Kreditvertrag mit Verbrauchern bedarf der Schriftform“, so die Bank. Einen schriftlichen Vertrag schickte das Geldinstitut erst am 12. Dezember an Wulff. Dieser unterschrieb neun Tage später, am 21. Dezember, und damit erst nach den ersten Medienberichten über seine Hausfinanzierung.
Hinzu kommt ein neuer Vorwurf: Nach einem Bericht des „Focus“ hat First Lady Bettina Wulff mehrfach kostenlos aufwändige Designerkleider deutscher Luxus-Modehersteller getragen, die ihr die Hersteller zur Verfügung gestellt hätten. Einige Kleider seien gekauft oder gegen Gebühr geliehen worden, andere hingegen wurden kostenlos bereitgestellt. Bei der Erstellung der Steuererklärung sei dies allerdings berücksichtigt worden.