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WÜRZBURG
Würzburger Jura-Professor über den Einfluss der Presse im NSU-Prozess
Das Gespräch führte Thomas Borgböhmer
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:54 Uhr

Unter großer medialer Beobachtung startete das NSU-Strafverfahren gegen Beate Zschäpe. Professor Eric Hilgendorf, Ordinarius für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Würzburg, sprach mit dieser Zeitung über die Bedeutung der Medien bei einem der größten Prozesse der deutschen Rechtsgeschichte. Dabei betonte Hilgendorf, dass trotz der besonderen Umstände ein möglichst „normales rechtsstaatliches Verfahren“ gewährleistet werden muss. Es ginge nicht, wie es viele Medien suggerieren, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit.

Frage: Der Prozess findet unter enormem medialen Druck statt. Kann das den Verlauf beeinflussen?

Eric Hilgendorf: Ich sehe eine große Gefahr darin, dass durch den Druck der Medien und der Öffentlichkeit der Prozess negativ beeinflusst wird. Die Öffentlichkeit möchte ein Durchleuchten der Taten und fordert sicher auch einen Ausgleich für die rechtsextreme Gewalt, was unter anderem durch unsere besondere Geschichte bedingt ist. Allerdings ist es nicht die Aufgabe des Gerichts, ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen oder zum Beispiel Ermittlungspannen aufzudecken. Das Verfahren darf sich nicht zu einem Schauprozess entwickeln.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl gilt als sehr erfahren und steht besonders im Fokus. Wie sollte er sich verhalten?

Hilgendorf: Es findet hier eine extreme Personalisierung statt, die nicht der Strafprozessordnung entspricht und großen Druck auf den Richter erzeugt. Denn sobald der Name des Richters genannt wird, kann er beeinflusst werden. Bei dem Fall Kachelmann war das ähnlich. Außerdem beobachtet die ganze Welt das Verfahren. Es kommt also noch eine außenpolitische Dimension dazu.

Was könnte die Folge dieses großen Medieninteresses sein?

Hilgendorf: Aufseiten der Medien droht ein gewisser Populismus, der gefährlich ist. Schließlich soll der Richter nicht den Meinungen und Emotionen der Masse folgen, sondern einen fairen, objektiven Prozess führen. Es darf beispielsweise nicht passieren, dass zu hart gegen die Angeklagte vorgegangen wird und sie eine Strafe über dem üblichen Maß bekommt. Oder die Rechte der Angeklagten verringert werden.

Am ersten Tag stellte die Verteidigung einen Befangenheitsvorwurf gegen Richter Götzl. Ist das ein ungewöhnliches Vorgehen?

Hilgendorf: Da werden sicher noch einige Anträge gestellt werden, mal fundierte, aber auch unsinnige. Solch ein Vorgehen ist nicht ungewöhnlich und damit kann das Gericht souverän umgehen. Wichtig ist, dass alles nach rechtsstaatlichen Regeln abläuft.

Im Vorfeld wurde von einer Prozessdauer von mehr als zwei Jahren gesprochen. Wie wird sich der Prozess entwickeln?

Hilgendorf: Dass der Prozess so lange dauert, halte ich für spekulativ. Wenn zum Beispiel Frau Zschäpe gesteht, wird es natürlich viel schneller gehen.

Jedoch ist ein Geständnis eher unwahrscheinlich.

Hilgendorf: Ich vermute, dass sie wenig sagen wird, und rechne mit einer Prozessdauer von ein bis eineinhalb Jahren. Es hängt viel von der Kompetenz des Richters ab. Allerdings ist es hilfreich, dass viele erfahrene Anwälte beteiligt sind. Zudem waren die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wohl sehr gründlich, sachlich und seriös. Damit wollte sie vielleicht die Fehler bei den Ermittlungen ausgleichen. Denn es ist ja schon erstaunlich, dass eine Terrorzelle über Jahre hinweg derart morden konnte.

Wieso verwundert Sie das so sehr?

Hilgendorf: Vor dem Hintergrund der Überwachungsmöglichkeiten in Deutschland ist es fast absurd, dass so etwas geschehen konnte. Die Sicherheitsvorkehrungen funktionieren sowohl im islamistischen als auch im linksextremen Milieu offenbar sehr gut. Einzig im rechtsextremen Lager klappt die Überwachung nicht.

Woran lag das Ihrer Meinung nach?

Hilgendorf: Die Behörden waren wohl nicht sensibilisiert genug für die Gefahr. Für gewöhnlich gibt es im rechten Milieu schlichte Gestalten, die sehr offen mit ihrer Brutalität auftreten. Das hochintelligente, subtile Verhalten der NSU-Gruppe ist eher untypisch und war deshalb nicht zu erwarten.

Waren die Ermittler überfordert bei der Aufarbeitung der Fälle und im Umgang mit den Opferfamilien?

Hilgendorf: Die Ermittler konnten nicht angemessen mit den türkischen und griechischen Angehörigen umgehen. Da fehlte das Einfühlungsvermögen und weist auf mögliche Ausbildungsdefizite in den Behörden hin. In Würzburg gibt es auch deshalb das Ausbildungsprojekt „Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz“, bei dem die Juristen mit den Besonderheiten von kulturellen Minderheiten in Kontakt kommen.

Handelt es sich bei dem NSU–Prozess um einen der größten der deutschen Rechtsgeschichte?

Hilgendorf: Er gehört sicherlich zu einer Handvoll großer Prozesse, die eine vergleichbare Medienöffentlichkeit erregt haben. Dazu zähle ich unter anderem noch die RAF-Prozesse, die Nürnberger Prozesse und auch die Verfahren um die Mauerschützen. Deswegen ist auch das Verhalten der Medien enorm wichtig. Bisher war von vielen wenig Fingerspitzengefühl zu spüren. Das heißt, dass die Medien zu aggressiv in ihren Forderungen und Ratschlägen aufgetreten sind.

Gibt es die Möglichkeit, dass Beate Zschäpe freigesprochen wird?

Hilgendorf: Die Indizien scheinen so stark zu sein, dass ein Freispruch unwahrscheinlich ist. Es geht also um die Frage der Beihilfe oder Mittäterschaft. Eine Mittäterschaft hieße für die Angeklagte volles Strafmaß. Als Gehilfin fiele ihre Strafe deutlich geringer aus.

Eric Hilgendorf

Eric Hilgendorf ist Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Universität Würzburg. Nach seinem Studium der Philosophie, Neueren Geschichte und Rechtswissenschaft in Tübingen promovierte er sowohl in Philosophie als auch in Jura.

Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem das Medien-, Computer- und Internetstrafrecht sowie das europäische Strafrecht. Außerdem ist er Mitglied in zahlreichen Organisationen wie der Deutsch-Amerikanischen Juristenvereinigung und der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie. FOTO: Uni Würzburg

 
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