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BRÜSSEL/STRASSBURG
Worüber ein EU-Korrespondent sonst nicht schreibt
reda
 |  aktualisiert: 16.12.2015 10:11 Uhr

Es war bereits nach drei Uhr an diesem Morgen des Jahres 2012, als wir uns zufällig in jener kleinen Raucherecke trafen, in die auch ein Regierungschef ab und zu mal flüchtet. Drinnen tagte der EU-Gipfel bereits seit 17 Stunden. „Wir schaffen es“, sagte er, während ich ihm Feuer gab. „Ja, aber wird Ihre Lösung auch halten – wenn Italien noch dazukommt und wenn Spanien kippt. Dann reißt der Rettungsschirm.“ Ein kurzes Lächeln, ein Zug an der Zigarette. „Die werden nicht fallen, glauben Sie mir. Die brauchen Hilfe, aber kein Geld. Lassen Sie uns in zwei Jahren noch einmal drüber reden.“ Fast genau 24 Monate später sehen wir uns wieder. Lächelnd kommt der Ministerpräsident auf mich zu, bittet wieder um Feuer und sagt: „Und? Habe ich Recht gehabt?“

Auslandskorrespondent in Brüssel – frühstücken mit Abgeordneten, vor dem Mittagessen ein Auftritt von Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der mit einer Begeisterung über den Durchbruch bei der Bankenunion redet, als habe die EU in der vergangenen Nacht das christliche Abendland gerettet. Um 22 Uhr noch ein letztes Gespräch mit der Bundesverteidigungsministerin, die gerade vom Gespräch mit ihren Nato-Kolleginnen und –Kollegen zurückkommt und ganz stolz erzählt, dass es jetzt schon sechs Frauen an der Spitze von Armeen in den Mitgliedsstaaten gibt. Ein Blick in den Terminkalender von Parlamentspräsident Martin Schulz zeigt: Hier in Brüssel gibt sich die politische Prominenz manchmal im 30-Minuten-Takt die Klinke in die Hand. Man sieht sie, hört sie, erlebt sie – Wladimir Putin, Barack Obama, Xi Jinping, Prinz Charles zum Anfassen, Bono im Original. François Hollande mit und ohne Kameras. David Cameron ungeschminkt offen.

„Im kleinen Kreis“, wie diese Hintergrundgespräche genannt werden, fallen Masken, blickt man hinter die offiziellen Statements. Da räumt die Bundeskanzlerin zu mitternächtlicher Stunde mit allen Vorurteilen gegen die Währungsunion auf, so dass man den Eindruck hat, die eigenen Analysen auf der Stelle noch einmal überarbeiten zu sollen. Da steht der neue italienische Ministerpräsident Matteo Renzi zwei Meter vor einem und sprüht vor Begeisterung über das Reformprogramm, mit dem er sein Land wieder „ganz nach vorne bringen“ will.

Das sind besondere Auftritte, beeindruckende Momente, von denen man später unbedingt in den Texten erzählen will. Auch wenn man nicht alles schreiben darf. Die Sprachregelung „unter 3“ verpflichtet den Korrespondenten zu schweigen. Das ist manchmal bedauerlich, weil man so gerne erzählen würde, wer diesen Satz auf dem Höhepunkt der Krise wirklich gesagt hat: „Ich bin wirklich stolz auf diese Gemeinschaft. Und, glauben Sie mir, meine Landsleute auch. Das werden wir den Menschen in Ihrem Land nie vergessen.“

Manchmal begegnen einem auch jene menschlichen Kuriositäten, die man mit einem Schmunzeln niederschreiben möchte. Wie die Geschichte von dem Abgeordneten, der seinen 50. Geburtstag über Gebühr gefeiert hatte und am nächsten Morgen im Parlamentsplenum ans Rednerpult tritt, aber vergessen hat, zu welchem Thema er eigentlich sprechen wollte. Aber anstatt ihn zur Ordnung zu rufen, stimmte das Plenum für den inzwischen vor Peinlichkeit rot gewordenen Parlamentarier ein Ständchen an.

Dann wieder gibt es die Momente, in denen jeder der Auslandskorrespondenten vor Rührung schlucken muss. Der Auftritt der 16-jährigen Pakistanerin Malala Yousafzai, die bei einem Taliban-Anschlag schwer verletzt wurde und trotzdem mutig für den Schulbesuch von Mädchen in ihrer Heimat plädiert, gehört dazu. Als sie im Europäischen Parlament in Straßburg den nach dem russischen Bürgerrechtler Andrej Sacharow benannten Menschenrechtspreis des Plenums entgegennahm und dabei erzählte, dass ihre gleichaltrigen Freunde „keine X-Box, keine Playstation oder Schokolade, sondern ein Buch und einen Stift“ wollen, erheben sich die Europaabgeordneten und applaudieren minutenlang. Einen solchen Moment miterlebt zu haben, gehört zu den Höhepunkten eines Korrespondenten-Daseins, weil man in diesem Augenblick denkt: Es ist gut, dass es dieses Parlament gibt, das diese Geschichte an die Öffentlichkeit holt. Sonst tut das ja keiner.

 
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