Kriegszustand, Gefechtsbereitschaft, Angriffsdrohungen – einmal mehr sorgt Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un mit seinem Verhalten für tiefe Besorgnis. Das Muster ist inzwischen altbekannt: Zeichen der Provokation wechseln sich mit Signalen der Entspannung ab. So auch diesmal, als Nordkorea dem verfeindeten Südkorea nach der Verschärfung ihrer Spannungen wieder Gespräche anbot.
Auch wenn durch die Gespräche, die am Wochenende zwischen Spitzenvertretern beider Länder an der Grenze geführt wurden, eine Eskalation diesmal abgewendet werden kann, so sind ähnlich schwere Krisen auch künftig nicht auszuschließen. „Beide Seiten scheinen nicht zu wissen, was sie wirklich wollen; wie wollen sie miteinander umgehen?“, fragt ein Beobachter.
Keine grundsätzliche Lösung
Südkorea will zwar den Teufelskreis aus Drohungen und Provokationen, Sanktionen und Kompromissen möglichst durchbrechen. Eine grundsätzliche Lösung wird jedoch von den jetzigen Gesprächen nicht erwartet. Doch schon allein die Tatsache, das beide Seiten, die einander zuletzt mit Vergeltung gedroht hatten, nun wieder zusammensitzen, gilt als Fortschritt.
Für beide koreanischen Staaten steht viel auf dem Spiel. Scheitern die Gespräche, wächst das Risiko eines bewaffneten Konfliktes. Auf beiden Seiten der Grenze stehen sich mehr als eine Million Soldaten gegenüber. Nordkorea versetzte seine Grenztruppen am Freitag in Gefechtsbereitschaft und rief den „Quasi-Kriegszustand“ aus.
Trotzdem glauben die meisten Südkoreaner weiterhin nicht, dass es das verarmte, aber hochgerüstete Land auf einen Krieg mit Südkorea ankommen lässt. Denn dann würde auch die Supermacht USA als Verbündeter Seouls in den Konflikt hineingezogen werden. Ein weiterer Korea-Krieg würde angesichts der militärischen Übermacht der USA den Untergang des stalinistischen Regimes in Pjöngjang bedeuten. Er würde aber auch das wirtschaftsstarke Südkorea um Jahre zurückwerfen.
„Rein rational gesehen, kann es sich keine Seite leisten, das Ganze eskalieren zu lassen“, sagt der Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, Lars-André Richter. Allerdings könne die Lage etwa durch einen neuen Grenzzwischenfall schnell außer Kontrolle geraten.
Scharfe Töne
Die jüngste Krise weckt in Südkorea Erinnerungen an die Situation vor zwei Jahren. Damals waren die Töne noch schärfer. Nordkorea drohte in kurzen Abständen mit einem Atomangriff auf die USA oder der Einnahme Südkoreas. Allerdings waren damals die USA der Hauptangriffspunkt, denen Nordkorea eine feindselige Politik vorwirft. Und es stand das Raketen- und Atomprogramm Nordkoreas im Mittelpunkt.
Dagegen wirkte der Propagandakrieg zwischen den beiden koranischen Staaten bisher eher kontrollierbar. Doch eine Kette von Ereignissen trieb den Streit zur Eskalation. Nordkorea sieht die Lautsprechertürme, die Südkorea an der Demarkationslinie aufgebaut hat und aus denen antikommunistische Propaganda tönt, als Angriff auf das Regime in Pjöngjang.
Südkorea ist sich bewusst, dass es damit einen neuralgischen Punkt bei Pjöngjang trifft. Die Beschallung wurde als Vergeltung für einen Grenzzwischenfall wieder angeworfen. Seoul verlangt von Pjöngjang eine Entschuldigung für die Verletzung von zwei seiner Soldaten an der Grenze durch mutmaßlich nordkoreanische Landminen. Das lehnte Pjöngjang jedoch bisher ab.
Die „Trustpolitik“ von Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye gegenüber Pjöngjang hat keine handfesten Ergebnisse gebracht. Viele sehen bei ihr die Hände gebunden. Tritt sie nicht mit Härte gegenüber Pjöngjang auf, wird ihr Schwäche vorgeworfen. Die Situation ist kompliziert.