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Wo Bio-Shrimps die Küste sichern
Klimawandel: In Costa Rica sind die Folgen der globalen Erwärmung deutlich spürbar. Die Mangrovenwälder an der Pazifikküste werden immer wichtiger als Wellenbrecher. Für deren Erhaltung zahlen auch Supermarktkunden in Deutschland.
Shrimps-Farmer in den küstennahen Wäldern auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica: Über Kanäle leiten sie Meerwasser in Teiche, in denen die Garnelen aufwachsen. Etliche Betriebe haben auf biologische Methoden umgestellt und arbeiten für den Export nach Deutschland. Teile des Erlöses werden dafür verwendet, die biologische Vielfalt der Küstenregion und die für den Hochwasserschutz wichtigen Mangrovenwälder zu stärken.
Foto: Winfried Züfle | Shrimps-Farmer in den küstennahen Wäldern auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica: Über Kanäle leiten sie Meerwasser in Teiche, in denen die Garnelen aufwachsen.
Newsdesk Aktuelles
 |  aktualisiert: 11.12.2019 10:19 Uhr

Können Bio-Shrimps das Weltklima retten? Wohl kaum. Aber im zentralamerikanischen Staat Costa Rica gibt es einen unerwarteten Zusammenhang: Die Garnelen-Zucht trägt dort dazu bei, die Gefahren eines steigenden Meeresspiegels zu bekämpfen.

Der Klimawandel ist auf der Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika deutlich zu spüren. „Costa Rica“, sagt der Klimaforscher Lenin Corrales, Professor an der Universität der Hauptstadt San José, „ist ein kleines Land mit sehr unterschiedlichen Gegebenheiten.“ Auf der einen Seite befindet sich das Karibische Meer, auf der anderen der Pazifische Ozean. Dazwischen verläuft der Gebirgszug der Kordilleren, der beide Welten voneinander trennt.

Doch an der einen wie an der anderen Küste wird es ungemütlicher. „An der Karibikküste steigt der Wasserspiegel“, berichtet Corrales, „und am Pazifik bedroht stärkerer Wellengang die Küste.“ Zudem verändern sich besonders in Jahren, in denen - wie derzeit - das Wetterphänomen El Nino wirkt, die Niederschläge: „In der Karibik fällt zu viel Regen, am Pazifik ist es zu trocken.“ Verursacher ist aus Sicht des Forschers eindeutig die globale Klimaerwärmung, über deren Bekämpfung vom 30. November an die Weltklimakonferenz in Paris beraten und entscheiden soll.

Unter strengem Naturschutz

Wir schauen uns die Situation vor Ort an. Auf der in den Pazifik hineinragenden Halbinsel Nicoya scheint die Natur noch in Ordnung. Wie nahezu überall in Costa Rica ist die Landschaft grün. Ausgedehnte tropische Wälder beherbergen eine Artenvielfalt, die auf dem Globus ihresgleichen sucht. Der älteste Nationalpark des Landes befindet sich an der Spitze der Halbinsel. Heute steht ein Viertel Costa Ricas unter strengem Naturschutz.

Dazwischen versuchen Menschen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Und damit beginnen die Probleme. Noch bis zu Beginn der 80er Jahre wurde in Salinen Salz gewonnen: Man leitete das Meerwasser über Kanäle in flache Becken und ließ die Flüssigkeit verdunsten, bis festes Salz übrig blieb. An manchen Stellen wurde für die Salinen Mangrovenwald gerodet. Überdies reicherte sich das Salz in den Böden teilweise so stark an, dass die Bäume eingingen. Deswegen sind Teile des Mangrovengürtels an der Küste verkümmert. Der schlammige Boden wird nicht mehr von den Wurzeln der Bäume zusammengehalten und ist schutzlos dem Angriff der Wellen ausgeliefert.

Jetzt, in stürmischeren Zeiten, werden diese Mangroven immer wichtiger. Die grünen Überlebenskünstler, die in salzigem Umfeld gedeihen, sind ideale Wellenbrecher und schützen vor Überflutung. Klimaforscher Corrales warnt: „Die höheren Wellen am Pazifik können ganze Ortschaften bedrohen.“ Er weiß: Ein natürlicher Schutzgürtel ist wesentlich billiger als der Bau von Dämmen und Deichen.

Die Wasserbecken auf der Halbinsel Nicoya gibt es noch. Und über die Kanäle wird weiter Meerwasser hineingepumpt. Aber man lässt sie nicht mehr austrocknen. Das System hat jetzt eine neue Funktion: In den auf einen Meter vertieften Becken werden Camarónes gezüchtet, wie Garnelen in Costa Rica heißen.

Etliche Farmer produzieren sogar nach Bio-Standard. Sie verzichten auf Antibiotika und andere pharmazeutische Zusätze. Kontrolliert und zertifiziert wird das vom deutschen Öko-Anbauverband „Naturland“. Warum haben sich die Bauern darauf eingelassen? „Es ist besser für die Umwelt“, sagt der junge Shrimps-Farmer Ronny Acon.

Aber das alleine gab nicht den Ausschlag. Denn trotz des geringeren Ertrags sind die Verdienstmöglichkeiten bei den Öko-Produkten besser. Die deutsche Firma Ristic aus Oberferrieden bei Nürnberg, die Handelsketten wie Rewe und Aldi mit Bio-Garnelen beliefert, zahlt einen höheren, und vor allem stabilen Preis. „Das ist ein großer Vorteil“, bestätigt Ronny, „bei konventionellen Shrimps schwanken die Preise sehr stark.“ Dafür nimmt er in Kauf, dass er viel Papierkram erledigen muss. Ob das nicht nervt? „Doch“, meint er lachend und schiebt sein Käppi zurecht. Im Hintergrund hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die Fäden gezogen. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums unterstützen ihre Fachleute Costa Rica dabei, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Dazu soll die natürliche Vielfalt des Meeres und der Küsten gestärkt werden. Aus dem fünfjährigen Projekt, in das 3,5 Millionen Euro investiert wurden, sind Bewirtschaftungspläne für 17 Küstenregionen hervorgegangen. Eine der Ideen ist das Bio-Shrimps-Projekt von Nicoya.

„Gleichzeitig wollen wir Finanzmittel für Klimaschutzprojekte generieren“, betont Projektleiter Michael Schlönvoigt von der GIZ. Teil des Deals ist daher, dass die Firma Ristic, die 16 Shrimps-Farmen mit 450 Hektar Teichfläche unter Vertrag hat, in einen Fonds einzahlt, der die Wiederaufforstung des Mangrovenwaldes finanziert. „Im Endeffekt werden die Käufer von Bio-Garnelen in Deutschland in den kommenden Jahren eine halbe Million Euro für die Stabilisierung des Ökosystems in dieser Bucht aufbringen“, bilanziert Schlönvoigt.

Ist es ein Indikator für eine bereits wieder intakte Umwelt? In einem von Ronnys Garnelenteichen fühlt sich jedenfalls auch ein Spitzkrokodil wohl. Es lässt nur drei Punkte von sich sehen: die beiden Augen und die Nasenöffnung auf seiner schmalen, spitz zulaufenden Schnauze. Das „Cocodrilo Americano“ ist in Mittel- und Südamerika verbreitet und kann auch im Salz- und Brackwasser leben. Ausgewachsen wird es fünf bis sechs Meter lang. In unserem Fall handelt es sich um ein Jungtier, das es auf die Bio-Garnelen abgesehen hat. Schnell taucht es wieder ab. Spätestens wenn die Farmer den Teich ablassen, um die Camarónes zu „ernten“, wird es sich einen neuen Unterschlupf suchen müssen.

Das Geschäft mit den Bio-Garnelen hat sich gut eingespielt. Sie werden in der Fabrik in Puntarenas von 300 Mitarbeitern, zumeist Frauen, gepult. „Wir zahlen nicht nur den Mindestlohn von 450 US-Dollar“, versichert der deutsche Betriebsleiter René Diers, „sondern bei uns erhält man auch leistungsgerechte Zulagen.“ Über den Karibikhafen Puerto Limón gelangen die Garnelen dann per Frachtschiff tiefgekühlt nach Hamburg. Zwei Wochen dauert die Überfahrt.

Von der Pazifikküste fahren wir zurück ins zentrale Hochland inmitten der Kordilleren. Rund um die Hauptstadt San José leben 2,6 Millionen Menschen, 60 Prozent der Einwohner Costa Ricas. Sofort ins Auge springt der hohe Motorisierungsgrad. Zur Rushhour sind alle wichtigen Verbindungsstraßen verstopft. Es geht nur im Stop-and-go-Modus voran. Professor Corrales hatte dazu bereits die wichtigste Zahl geliefert: Im Schwellenland Costa Rica („Reiche Küste“) kommen auf 1000 Einwohner 244 Autos. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 665 Fahrzeuge. Aber: „Für Lateinamerika ist diese Quote sehr hoch“, sagt der Klimaforscher.

Dieser überbordende Verkehr mit seinen klimaschädlichen Abgasen hat Costa Rica einen dicken Strich durch die umweltpolitischen Pläne gemacht. Die Regierung wollte schließlich nicht nur Anpassung an den kommenden Klimawandel betreiben, sondern auch helfen, die globale Erwärmung zu begrenzen.

Costa Ricas bekanntester Präsident, der Friedensnobelpreisträger scar Arias, hatte 2007 ein ehrgeiziges Klimaziel ausgegeben: Bis 2021, zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit von Spanien, sollte das Land „klimaneutral“ sein. Alles schien gut zu laufen: Den Strom liefert heute nahezu komplett die Wasserkraft (98 Prozent). Andere erneuerbare Quellen kommen ebenfalls voran. So gewinnt in Cartago der größte Schweinezuchtbetrieb des Landes in einer Biogasanlage Strom aus Gülle. Und der Fußballverein LD Alajuelense, 29-facher Landesmeister, hat sich eine große Solaranlage aufs Stadiondach bauen lassen.

Auch die Aufforstung verlief vielversprechend: Waren in den 80er Jahren nur 27 Prozent des Landes von Wald bedeckt, so sind es heute dank konsequenter Förderung 53 Prozent. Eine Steigerung auf 60 Prozent gilt als machbar. Damit sollten die Belastungen aus dem wachsenden Autoverkehr ausgeglichen werden.

Verfechter des „Zwei-Grad-Ziels“

Doch gegenwärtig herrscht in San José Unsicherheit, ob das gelingt. Neue Studien zeigen, dass die Abgasbelastung stärker steigt als erwartet – und dass die Wälder nicht so viel Kohlendioxid binden wie vermutet. Wohl oder übel muss nun auch der Verkehrssektor einen eigenen Beitrag leisten. Vize-Umweltministerin Irene Canas stellt einige Ideen vor: eine Abwrackprämie für Altwagen, eine nach Emissionswerten gestaffelte Kfz-Steuer, ein Importstopp für ineffiziente Gebrauchtwagen, Förderung für Hybridfahrzeuge und Elektro-Autos. Das letzte Wort hat das Parlament. Das kann dauern in Costa Rica ...

Zur Pariser Weltklimakonferenz hat sich das Land vorsichtshalber in den Klub jener Staaten eingereiht, die das „Zwei-Grad-Ziel“ verfechten und Kohlendioxid-Emissionen von nicht mehr als zwei Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr anstreben. Wenn man schon nicht so rasch wie erhofft als erstes Land der Welt „karbonfrei“ werden kann, will man wenigstens zur Gruppe der Vorreiter gehören. Die globalen Durchschnittswerte sollen um nicht mehr als zwei Grad ansteigen, damit, so die Hoffnung, irreversible Schäden wie das Abschmelzen der polaren Eismassen nicht eintreten. Als Minimalziel formuliert Irene Canas: „Wir wollen einen sehr sauberen ökologischen Fußabdruck hinterlassen.“

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