Jeden Tag liegen frische Blumen auf der Grabplatte. Darunter steht in Granit gemeißelt: „Francisco Franco“.
Hier also ruht der Diktator.
Ein Mann mittleren Alters verharrt andächtig vor dem Grab. Dann nimmt er Haltung an und reckt ehrerbietig den rechten Arm in die Höhe. Anders als in Deutschland ist der Faschistengruß in Spanien nicht verboten. Andere Besucher nähern sich und lassen sich vor dem Franco-Grab ablichten. Bis ein Sicherheitsbeamter herbeieilt und ruft: „Keine Fotos!“ Befolgt wird diese Anweisung nur von wenigen. Kaum hat sich der Wachmann umgedreht, werden die Handys wieder hervorgeholt und Bilder von der umstrittensten Grabstätte des Landes gemacht.
Der berüchtigte Francisco Franco. Jener Mann, der in seinem Land erst einen Bürgerkrieg (1936-1939) gegen die linke Republik anzettelte und es dann nach seinem Sieg 36 Jahre lang mit harter Hand regierte. Annähernd eine halbe Million Menschen kamen allein im Bürgerkrieg um. Und in der nachfolgenden Diktatur ließ er linke Oppositionelle systematisch verfolgen. Das Verschwinden von mehr als 100 000 Regimegegnern, die hingerichtet und in Massengräbern verscharrt wurden, ist bis heute nicht aufgeklärt. Und wir reden von Spanien, einem der größten Länder der Europäischen Union.
Seit 1975 liegen seine sterblichen Überreste in einer Bergbasilika unter einer tonnenschweren Granitplatte. Gleich gegenüber befindet sich das Grab des 1936 hingerichteten Gründers der faschistischen Falange-Bewegung, José Antonio Primo de Rivera. Beide starben – Ironie der Geschichte – an einem 20. November.
Mit der posthumen rechten Eintracht könnte es bald vorbei sein. Francos Grab soll aufgelöst werden. In Spanien kommt das einer kleinen Revolution gleich. Deshalb ist die Aufregung schon jetzt groß.
Die Menschen nennen den Ort, unweit der Gemeinde San Lorenzo de El Escorial, Valle de los Caídos – Tal der Gefallenen. Das gewaltige, 150 Meter hohe Steinkreuz über der Berggruft, die vom Staat unterhalten, aber von Benediktinermönchen gehütet wird, ist weithin sichtbar. Hunderttausende Menschen, darunter viele Touristen, besuchen jedes Jahr das Mausoleum, das eine Autostunde von der Hauptstadt Madrid entfernt in der Sierra de Guadarrama liegt.
Den Bau der Basilika hat Franco 1940 selbst angeordnet. Gedacht als riesiger Grabtempel für die „Helden und Märtyrer des Kreuzzuges“. Mit den „Helden“ waren die Franco-Soldaten gemeint, die im dreijährigen Krieg gegen die linke Republik gefallen waren. Rund 20 000 Zwangsarbeiter, darunter viele inhaftierte Regimegegner, schufteten auf der Baustelle.
Tatsächlich wurden hinter den dicken Mauern zunächst rund 22 000 Tote aus dem Franco-Lager bestattet. Von den 1960er Jahren an ließ Franco aber auch die Gebeine von 12 000 Gegnern in die Grabanlage bringen. Hier prangt bis heute die nationalistisch-katholische Lobpreisung der franquistischen Bürgerkriegssieger: „Gefallen für Gott und für das Vaterland 1936-1939“. Einen Hinweis auf die ebenfalls an diesem Ort ruhenden Republikaner-Soldaten gibt es nicht.
Immer wenn sich wie an diesem Dienstag der Todestag Francos jährt, marschieren Zigtausende Anhänger im Tal der Gefallenen auf, um ihren „Caudillo“ hochleben zu lassen. Darunter sind viele Alt- und Neonazis aus ganz Europa, die zur Gruft pilgern. Fernseh-Reportagen zeigen, wie sie geduldig vor dem Eingang in der Schlange stehen. Einige haben die Franco-Fahne über die Schultern geworfen. Irgendjemand ruft „Hoch lebe Spanien, hoch lebe Franco“, und der Chor der Anhänger brüllt ihm nach. Schließlich gehen wieder die Arme hoch zum Faschistengruß.
Doch damit soll bald Schluss sein. „Eine Demokratie kann nicht einen Diktator verehren“, hat der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez klar gemacht. Er ordnete bereits im Sommer an, dass die Gebeine von General Franco exhumiert und an einem abgeschiedenen Ort beigesetzt werden müssen.
So ähnlich, wie man 2011 in Deutschland mit den sterblichen Überresten von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß verfuhr. Diese wurden damals aus dem Grab in der oberfränkischen Kleinstadt Wunsiedel geholt, eingeäschert und schließlich auf offener See bestattet.
Doch eines unterscheidet die beiden Fälle: Die Exhumierung der Heß-Gebeine und die Beseitigung des Grabes geschahen im Einvernehmen mit der Familie. Das ist bei Franco anders. Hier wehren sich die Nachfahren vehement gegen die Umbettung des Diktators. Sie wollen einer Exhumierung nur unter einer Bedingung zustimmen: dass die Gebeine aus dem Tal der Gefallenen in die Almudena-Kathedrale von Madrid verlegt und dort mit militärischen Ehren wieder beigesetzt werden. In der Krypta des vielbesuchten Gotteshauses, das sich im Stadtzentrum gleich neben dem historischen Königspalast erhebt, besitzt die Familie eine Grabstätte, in der 2017 bereits Francos einzige Tochter beerdigt wurde.
Die Opfer der Diktatur empfinden den Vorschlag, Franco in der Kathedrale beizusetzen, als Provokation. „Das ist eine Demütigung für die Opfer und ihre Angehörigen“, empört sich Julián Rebollo. Er ist Sprecher jener Plattform, die jede Woche auf dem Platz „Puerta del Sol“ in der Hauptstadt dafür demonstriert, dass die Menschenrechtsverbrechen Francos endlich aufgeklärt werden. „Wie kann man nur auf die Idee kommen, einen Mörder in der Kathedrale beizusetzen?“ Und damit mitten in der Stadt eine neue Pilgerstätte für Rechtsextreme zu schaffen.
Der Hausherr der Kathedrale, Madrids Erzbischof Carlos Osoro, ließ ebenfalls durchblicken, dass ihm die Idee, Franco in der Hauptkirche der Diözese Madrid zu beherbergen, nicht behagt. Aber offiziell hält er sich aus dem Streit heraus. Er sagt: „Das ist eine Angelegenheit, die von der Regierung und der Familie gelöst werden muss.“
Die Regierung hat klargestellt, dass für sie ein Umzug der Überreste in die Kathedrale nicht infrage kommt. „Wir werden nicht erlauben, dass sich ein Diktator an einem öffentlichen Ort befindet und dort verherrlicht wird“, sagt Regierungssprecherin Isabel Celaá. Stattdessen wolle man Franco an einen „diskreten“ Ort überführen.
Dieser könnte, so stellen sich das die Sozialisten vor, ein kleiner abgelegener Waldfriedhof in der Nähe von El Pardo sein. In dem Dorf etwa 20 Kilometer nördlich von Madrid hatte Franco früher seine Residenz. Sollte es keine Einigung mit seiner Familie geben, werde man auch ohne deren Zustimmung die Umbettung vornehmen, heißt es.
Auf dem Friedhof in El Pardo wurde vor 30 Jahren Francos Ehefrau Carmen in einer staatlichen, allerdings öffentlich nicht zugänglichen Grabstätte beigesetzt. Auf dem Gelände ruhen bereits zahlreiche ehemalige Franco-Minister und andere Repräsentanten des Regimes. Zu rechten Aufmärschen kam es hier bisher nicht.
Man könnte vermuten, dass es die auch nicht mehr in Wunsiedel gibt. Eine Kleinstadt mit 9000 Einwohnern in Oberfranken, Kulturfreunden bekannt als Austragungsort der jährlichen Luisenburg-Festspiele, dem Rest des Landes, so traurig das ist: als Ruhestätte von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Die Bürger hofften, dass das mit den regelmäßigen Aufmärschen von Neonazis vorbei sein würde, als man das Grab im Juli 2011 auflöste. Tatsächlich erinnert auf dem Friedhof nichts mehr an den NS-Funktionär. Trotzdem gingen die jährlichen rechten Treffen einfach weiter.
Die Stadt, sagte der Rechtsextremismus-Experte Martin Becher einmal, bleibe der Ort, an dem ein hochrangiger Vertreter der Nazis ein Grab hatte, das öffentlich zugänglich war. „Das gab es nirgendwo sonst.“ Also marschierten die Neonazis weiter, wenn auch nicht mehr in der Größenordnung früherer Jahre. Vergangenen Samstag waren es noch rund 150, die durch ein Wohngebiet im Norden der Stadt zogen, begleitet von mehreren Hundertschaften der Polizei.
Das Netzwerk „Wunsiedel ist bunt“, die örtlichen Kirchengemeinden und ein Gymnasium organisierten auf dem Marktplatz eine Gegenveranstaltung mit etwa 300 Teilnehmern.
Und wie war das, als es das Heß-Grab nicht mehr gab? Peter Seißer, Mitglied im Kirchenvorstand und ehemaliger Landrat des Kreises Wunsiedel, sagte damals dem Magazin „Stern“, die überwiegende Mehrheit sei froh, dass das Grab nun weg sei. Es habe aber auch Stimmen gegeben, die sagten: Hättet ihr ihn doch ruhen lassen. Und: „Manche haben auch durchaus den Tourismusvorteil gesehen und gedacht: Es ist doch schön, dass unser Ort immer wieder genannt wird.“
Der Plan für die Umbettung von Francisco Franco entzweit Spanien. Umfragen zufolge bevorzugt etwa die Hälfte der Bevölkerung, Francos einbalsamierten Körper im Mausoleum zu belassen, um, wie es heißt, keine alten Wunden aufzureißen. Entsprechend enthielten sich die beiden konservativen Oppositionsparteien Spaniens, die Volkspartei und die Partei Ciudadanos (Bürger), als das Parlament im September die Umbettung absegnete.
Wann die Leiche tatsächlich exhumiert wird, steht noch nicht fest. Der Termin musste wegen des Widerstands der Nachfahren mehrmals verschoben werden. Um Demonstrationen zu vermeiden, soll der genaue Zeitpunkt ohnehin nicht bekanntgegeben werden. Es soll offenbar nachts, ohne dass die Medien davon etwas mitbekommen, und möglichst bald geschehen. Regierungschef Sánchez kündigt schon mal an: „Im Jahr 2019 wird es kein Mausoleum mehr geben, mit dem Franco geehrt wird.“
Wo Franco eigentlich beerdigt werden wollte
Beisetzung: Nach seinem Tod wurde Francisco Franco (1892–1975) im Mausoleum Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) in der Nähe von Madrid beerdigt. Franco hatte den gewaltigen Komplex schon 1940 zu Ehren seiner Soldaten bauen lassen, wollte aber angeblich selbst nie dort beigesetzt werden. Dies ist jedenfalls von seiner 1988 gestorbenen Ehefrau Carmen überliefert. Danach hatte Franco für sich jenen kleinen Waldfriedhof in der Nähe seines Palastes im Dorf El Pardo vorgesehen, in dem später auch seine Frau beigesetzt wurde.
Anordnung: Trotzdem ordnete Spaniens König Juan Carlos, der von Franco noch zu Lebzeiten zum Nachfolger als Staatschef auserkoren worden war, die Beisetzung des Diktators im „Tal der Gefallenen“ an.
Nutzung: Sollte Franco nun umgebettet werden, ist noch unklar, was danach mit dem riesigen Mausoleum geschehen soll. Angesichts von etwa 34 000 Toten, deren Gebeine dort verbleiben sollen, schwebt Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez vor, das Monument in eine schlichte Ruhe- und Gedenkstätte „für die Opfer des Bürgerkriegs und des Franquismus“ umzuwidmen. ze