Schuld sind auf jeden Fall die anderen. Die Amerikaner, die Europäer, die Nato, die Medien. Und er selbst? Ihm geht es um die Menschen, vor allem um die 146 Millionen Russen natürlich. Er kämpft für Gerechtigkeit und gegen den Terrorismus. In einem ausführlichen Interview erklärt Wladimir Putin seine Welt. Der russische Präsident sitzt den Bild-Journalisten Kai Diekmann und Nikolaus Blome in einem schweren schwarzen Ledersessel gegenüber. Und plötzlich scheint alles ganz einfach, ganz logisch zu sein.
Da ist zum Beispiel die Sache mit der Krim: Dass die ukrainische Halbinsel im Schwarzen Meer heute wieder zu Russland gehört, ist für Putin ein Sieg der Demokratie. „Jedes Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung“, sagt er. Und was ist mit all den russischen Soldaten, die pünktlich zum Referendum wie aus dem Nichts auf der Krim aufgetaucht waren? Die haben „lediglich die ukrainischen Truppen auf der Krim daran gehindert, die freie Meinungsäußerung der Menschen dort zu behindern“.
Vorkämpfer für die Demokratie
Putin hat einfache Antworten auf schwierige Fragen. Auch auf die Frage, ob es nicht völkerrechtswidrig sei, Grenzen in Europa einfach so zu verschieben? „Für mich sind nicht Grenzen und Staatsterritorien wichtig, sondern das Schicksal der Menschen“, sagt der Kreml-Chef. Er sagt es seelenruhig. Man spürt: Dieser Mann ist mit sich im Reinen. Und man vergisst beinahe die Widersprüche in Putins Welt. Schließlich nimmt es der selbst ernannte Vorkämpfer für die Demokratie mit der freien Selbstbestimmung der Völker ja nicht immer so genau. Vor allem dann nicht, wenn Volkes Wille mit russischen Interessen kollidiert.
Wenn es zum Beispiel um die Nato geht. Dass sich das westliche Militärbündnis nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ Richtung Osten ausgedehnt hat, ist für Putin die Wurzel des angespannten Verhältnisses zwischen Moskau und dem Westen. Dabei spielt es für ihn keine Rolle, dass sich die osteuropäischen Staaten damals aus freien Stücken für den Nato-Beitritt entschieden haben.
In Putins Welt ist die Sache ganz einfach, ganz logisch: Hätte der Westen die Länder aus dem früheren Einflussgebiet der Sowjetunion nicht an sich gebunden, gäbe es heute viel weniger Konflikte in der Welt. „Die Nato und die USA wollten den vollen Sieg über die Sowjetunion. Sie wollten allein auf dem Thron in Europa sitzen – aber da sitzen sie nun und wir reden über die ganzen Krisen, die wir sonst nicht hätten.“
Überraschend mild fällt hingegen das Urteil des Russen über Angela Merkel aus. „Ich vertraue ihr, sie ist ein sehr offener Mensch. Auch sie unterliegt bestimmten Zwängen und Beschränkungen. Aber sie bemüht sich ehrlich darum, die Krisen beizulegen“, sagt der Präsident. Das klingt ja fast nach Bewunderung? „Nein, das habe ich nie gesagt. Ich schätze sie nach wie vor als sehr professionell und offen“, stellt Putin klar und räumt auch gleich mit einer alten Legende auf.
Die Kanzlerin und Putins Hund
Sie spielt im Jahr 2007. Angela Merkel steht noch am Anfang ihrer Kanzlerschaft und besucht ihren russischen Kollegen in Sotschi. Und der bringt einfach seinen Hund Koni mit. Wusste er wirklich nicht, dass sein Gast Angst vor Hunden hat? Wollte er testen, wie stark Merkels Nerven sind? Alles Unsinn, beteuert Putin heute. „Ich wollte ihr eine Freude machen. Als ich erfuhr, dass sie Hunde nicht mag, habe ich mich natürlich entschuldigt.“ So einfach ist das.
Sein Verhältnis zur Kanzlerin bezeichnet der Kreml-Chef heute als „geschäftsmäßig“. Sieben Mal habe er sie im vergangenen Jahr getroffen, mindestens 20 Mal mit ihr telefoniert. Auf ein weiteres Gespräch bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar legt er aber keinen gesteigerten Wert: „Ich werde nicht nach München kommen.“
Dennoch ist dem Präsidenten um das deutsch-russische Verhältnis nicht bange: „Die gegenseitige Sympathie unserer Völker ist und bleibt die Grundlage unserer Beziehungen.“ Selbst mit „anti-russischer Propaganda“ sei es den Massenmedien in Deutschland nicht geglückt, diese Sympathie zu beschädigen, sagt Putin. Er lächelt spöttisch.
Dann fügt er hinzu: „Natürlich stehen die Medien in Deutschland unter erheblichem Einfluss aus dem Land auf der anderen Seite des Atlantiks.“ Ach so. In Putins Welt ist die Sache eben ganz einfach: Schuld sind die anderen.