Seit knapp zwei Wochen sorgt die Aufarbeitung von Doping im westdeutschen Spitzensport für große Diskussionen hierzulande. Führender Kopf hinter der vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp) initiierten Studie „Doping in Deutschland“ ist der Berliner Wissenschaftler Giselher Spitzer. Im Interview spricht der 61-Jährige über seine Arbeit sowie die Irritationen um die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse.
Giselher Spitzer: Als betroffener Forscher muss ich Kritik äußern: Nachdem die Initiative der „Main-Post“ und der „Märkischen Oderzeitung“ dazu geführt hat, dass endlich Originale zu Dopingforschungen vorliegen und dass alle anderen Akten offensichtlich vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft vernichtet worden sind, ist die Debatte durch Spekulationen sozusagen gekippt. Es wird nach Namen gefragt, ein Zwischenbericht aus dem März 2012 wird gesucht, angeblich fehlende Seiten gezählt. Leider werden die Ergebnisse und Lösungsvorschläge des offiziellen und autorisierten Abschlussberichtes deshalb nicht mehr diskutiert. Als Verdienst der Diskussion in den Medien kam der Bericht überraschend ins Internet, wird aber jetzt nicht mehr beachtet.
- Schlussbericht "Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation"
Spitzer: Richtig, wobei ich den öffentlichen Umgang mit den internen Berichten von 2012 für nicht korrekt halte: Den Medien entnahm ich, dass ein Text von 800 Seiten Umfang dem Sportausschuss im Deutschen Bundestag zur Verfügung gestellt werden soll. Obwohl dieser mit mir als Autor in Verbindung gebracht wird, bin ich nicht benachrichtigt worden. Ich habe deshalb die Vorsitzende des Sportausschusses, die Abgeordnete Dagmar Freitag, heute um Zusendung gebeten, damit ich ihn identifizieren kann. Im Übrigen wird die Veröffentlichung jetzt, wo die Möglichkeit konkret besteht, auch unter Hochdruck vorbereitet. Übrigens: Die sogenannten Kürzungen gehen auf die genau eingehaltenen Längenvorgaben des Auftraggebers BISp zurück.
Spitzer: Ich habe als Zeithistoriker und in der Aufarbeitung des Dopings in der DDR gelernt, wie verantwortungsvoll mit der Nennung von Namen umzugehen ist. Täter brauchen ein Gesicht, unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte. Zudem ging es im Auftrag nicht darum, Namen bekanntzumachen, sondern Strukturen zu analysieren, die das systemische Doping in Westdeutschland möglich machten – und Schlüsse daraus zu ziehen.
Spitzer: Ich habe das Gefühl, gerade im Sport muss man Aufklärung noch lernen.
Spitzer: Sehen wir uns doch die Fakten an: Ich sehe hier die völlig ungeeignete Form der „Auftragsdatenverarbeitung“, die vom BISp im laufenden Projekt implementiert wurde, mit Schweigeerklärungen und Geheimhaltung. Dadurch war die sonst übliche Publikationspraxis unmöglich. Wir dürfen bis heute nicht einmal die Vortragsfassungen von 2010 und 2012 herausgeben. Zur offiziellen Abschlussveranstaltung wurden wir nicht eingeladen.
Spitzer: Nicht nur Veröffentlichungen, ja sogar jedes Interview wurde durch eine sogenannte „Publikationsrichtlinie“ unmöglich gemacht. BISp-Direktor Jürgen Fischer hatte am 20. Oktober 2010 angeordnet, dass das BISp „eine Prüfung der Veröffentlichung“ vornimmt. Maßstab waren für den Auftraggeber – ich zitiere – „Möglichkeiten einer Fehlinterpretation oder auf die Gefährdung des Projektfortgangs“. Das ist sehr dehnbar.
Spitzer: Ich frage, wie der Leser den folgenden Satz aus der „Publikationsrichtlinie“ bewertet: „Nach Herstellung des Einvernehmens können die Forschungsnehmer die Veröffentlichung weitergeben.“ Auch die übliche Form des Transfers von Forschung in die Öffentlichkeit wurde verboten: Herr Fischer ordnete an, ohne dass sein Beirat ihm widersprochen hätte, und da muss man ihn wirklich im Wortlaut zitieren: „Die Veröffentlichung von Ergebnissen in Form journalistischer, auch wissenschaftsjournalistischer oder sonstiger Form ist nicht zulässig, um die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden.“
Spitzer: Zensur gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Eine Behinderung durch diese Publikationsrichtlinie schon: Sie wurde nur vier Tage vor der ersten öffentlichen mündlichen Präsentation von Ergebnissen der Berliner Projektarbeit in Leipzig 2010 kommuniziert. Als Vertragsnehmer haben wir uns daran halten müssen, sonst hätten wir die Arbeit einstellen müssen.
Spitzer: Wir haben dazu vielfältige Vorschläge erarbeitet. Ein zentraler Punkt ist die Auseinandersetzung mit der Sportförderung, die gekoppelt ist an die Endkampfteilnahme bei Meisterschaften. Zudem ist sachgerechte Information wichtig: Ärzte, Sportler, Trainer und auch Sportwissenschaftler brauchen eine zentrale Anlaufstelle, an die sie sich vertrauensvoll mit ihren Sorgen und Nöten, beispielsweise bei einer Verführung zu Doping, wenden können.
Giselher Spitzer
Der gebürtige Kieler ist seit 2002 an der Berliner Humboldt-Universität und dort seit 2009 Außerplanmäßiger Professor für Sportwissenschaft. Der 61-Jährige war Leiter der Berliner Forschungsgruppe für die Studie „Doping in Deutschland“. Er hat zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter die „Heidi-Krieger-Plakette“ für die „Unterstützung von dopinggeschädigten Sportlern und der Verhinderung von Doping im Sport“. Spitzers Forschungsschwerpunkte sind Sport und Gesellschaft, Doping als Spezialfall des Enhancement, Prävention und Sport. Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher. Text: ach/FOTO: privat