Ganz nah sitzen die Eltern der verschwundenen Madeleine McCann in einem Hamburger Hotel beieinander, halten sich an den Händen. Das Paar trägt bunte Armreifen mit der Aufschrift „Madeleine, möge Gott Dich beschützen“. Am 3. Mai 2007 verschwand die damals dreijährige Maddie aus einer Ferienwohnung in Praia da Luz an der portugiesischen Algarve-Küste. Die Umstände sind bis heute unklar, eine Leiche wurde nie gefunden. Auch vier Jahre danach suchen die Eltern unermüdlich nach ihrem Kind.
„Wir müssen eine Antwort finden und den Verantwortlichen vor Gericht bringen“, sagt Gerry McCann. Aufgeben komme nicht infrage: „Wir werden immer nach ihr suchen“, sagt die Mutter. In diesen Tagen geben die Briten wieder viele Interviews, denn Kate McCann hat ein rund 450 Seiten starkes Buch über den Fall geschrieben, der weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Am Freitag erschien „Madeleine. Das Verschwinden unserer Tochter und die lange Suche nach ihr“ in Deutschland. Die erste deutsche Auflage umfasst nach Verlagsangaben 50 000 Exemplare. In Großbritannien ist das Buch am 12. Mai, an Madeleines achtem Geburtstag erschienen. Hunderttausende Exemplare wurden seitdem verkauft.
Mit dem Erlös wollen Gerry und Kate McCann die Kasse für die Suchkampagne auffüllen, weil trotz vieler Spenden das Geld ausgeht. Außerdem soll das Buch ihnen helfen, die internationale Aufmerksamkeit zu behalten. Die McCanns hoffen noch immer auf bislang unbekannte Zeugen. „Wir wollen Madeleine zurück und dafür müssen wir so hart wie möglich arbeiten.“
Immer und immer wieder erzählen die beiden 43-Jährigen in aufrechter Haltung, gefasst und ruhig von dem Tag, der ihr glückliches Leben als Familie mit drei Kindern für immer veränderte. Ist es nicht schmerzvoll, diese Erinnerungen unablässig aufzuwühlen? „Es wäre schmerzhafter für uns, nicht über Madeleine zu reden und so zu tun, als hätte es sie nie gegeben“, sagt Gerry McCann.
Er und seine Frau sind überzeugt, dass Madeleine noch lebt. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie tot ist“, sagt die Mutter und verweist auf viele ähnliche Fälle, in denen Kinder entführt und erst nach vielen Jahren wiedergefunden wurden. Offiziell stellte die portugiesische Polizei die Ermittlungen im Juli 2008 ohne Ergebnis ein. Kurz nach Erscheinen des Buches in Großbritannien erklärte die britische Polizei, die Ermittlungsakten würden neu überprüft.
Zwischenzeitlich war das Ärzte-Paar selbst in Verdacht geraten, etwas mit dem Verschwinden seiner Tochter zu tun zu haben. Die Ermittlungen gegen die beiden wurden jedoch eingestellt. „Es wurde ein riesiger Druck auf uns ausgeübt, dieses Verbrechen zu gestehen“, sagt Vater McCann. „Das Buch soll zeigen, wie leicht man unter so einen Verdacht geraten kann.“
Kate McCann schildert in ihrem Werk nicht nur ihre Version der Geschehnisse. Sie will auch gegen die Vorwürfe angehen, sie wirke gefühllos und habe nicht gut genug auf ihre Tochter aufgepasst. Sie gibt in ihren Schilderungen viele private und intime Details preis, erzählt von ihrer Ehe und betont oft, dass sie sich ein Leben ohne Kinder niemals habe vorstellen können. Die Memoiren sollten zeigen, wie viel ihnen ihre Tochter bedeutet habe.
Die Suchkampagne zehrt an den Kräften. Doch die Hilfe ihrer Freunde und der Glaube an Gott gäben ihnen immer wieder neuen Antrieb, erzählt die Mutter. Inzwischen könnten sie mit ihren sechsjährigen Zwillingen auch wieder glückliche Momente erleben. Als Kate McCann davon erzählt, huscht erstmals ein Lächeln über ihr Gesicht. „In der ersten Zeit hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn man lachte oder einfach Spaß hatte. Aber irgendwann habe ich verstanden, dass das wichtig ist, um zu überleben.“
Kate McCann: „Madeleine – Das Verschwinden unserer Tochter und die lange Suche nach ihr“, Bastei Lübbe, 454 S., Euro 16,99.