In den guten Zeiten holten die Sozialdemokraten bei Landtagswahlen in Bremen jahrzehntelang locker über 50 Prozent. Am Sonntag wird in Bremen wieder gewählt, und die SPD wäre froh, wenn sie die 30-Prozent-Marke erreichen könnte. In den Umfragen liegt die Partei gerade bei 23 beziehungsweise 24 Prozent – und vor allem liegt sie hinter der CDU.
Schlechte statt gute Zeiten erlebt die SPD gerade auch mit Blick auf Europa. Da schaffte sie vor fünf Jahren mit rund 27 Prozent ein solides Ergebnis. Für das vergleichsweise gute Abschneiden bei der letzten Europawahl war auch Martin Schulz verantwortlich. Er nutzte seinen Bonus als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten und legte einen fulminanten Wahlkampf hin. Als Kanzlerkandidat scheiterte Schulz später bekanntlich, er wurde von seiner Partei abserviert und auf die Hinterbank im Bundestag abgeschoben. Doch nun scheint es Schulz wieder an die Spitze zu drängen.
Medienberichten zufolge will der Ex-Bürgermeister von Würselen den Vorsitz der SPD-Fraktion übernehmen. Die Faktenlage ist ein wenig verschwurbelt, „Spiegel-Online“ berichtet von einem vertraulichen Treffen von Nahles und Schulz und beruft sich dabei auf Angaben aus Parteikreisen. Nahles habe den ehemaligen EU-Parlamentarier bei dem Treffen mit „ihren Erkenntnissen“ konfrontiert, dass er sie vom Fraktionsthron stürzen wolle. Schulz habe Nahles die Rückkehr ins Arbeitsministerium angetragen. Fraktion und Partei äußerten sich zu diesen Berichten nicht.
Das Absurde an dieser Geschichte ist, dass es auf die Höhe ihres Wahrheitsgehaltes gar nicht ankommt. Irgendjemand aus dem Umfeld von Schulz, oder der Betroffene selber, wird Journalisten die Story gesteckt haben. So läuft das in der Berliner Blase. Interessant ist dabei schon allein die Tatsache, dass ausgerechnet Martin Schulz, der krachende Wahlverlierer von 2017, auch nur daran denkt, wieder ein SPD-Spitzenamt zu übernehmen. Der Vorgang zeigt, in welch ungeordnetem Zustand die Partei sich gerade befindet.
Hinter den Kulissen geht es täglich hoch her. Teilnehmer von Fraktions- und Parteisitzungen berichten über chaotische Verhältnisse. Es wird durcheinandergeredet, Anträge werden oft mit Gegenanträgen bombardiert, eine vernünftige Arbeit sei kaum möglich, heißt es.
Die SPD wirkt derzeit wie eine Schulklasse, der der Lehrer abhandengekommen ist. Beziehungsweise die Lehrerin, denn als Fraktions- und Parteivorsitzende müsste Andrea Nahles mal ordentlich auf den Tisch hauen, um wieder Ruhe in den Klassenraum zu bekommen. Ursache des Aufruhrs ist die Serie an schweren Wahlniederlagen und die Aussicht auf weitere Klatschen bei der Europawahl, in Bremen und den nach der Sommerpause anstehenden Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In der ältesten Partei Deutschlands geht die Angst um vor dem Verschwinden. Egal was die SPD in Berlin beschließt, sie profitiert nicht davon.
Diese Angst lähmt auch Nahles. Es ist nicht klar erkennbar, was die 48-Jährige zu ihrer Zurückhaltung veranlasst. Womöglich will sie erst einmal den Wahlsonntag abwarten. Doch der wird absehbar nicht zu einer Stärkung ihrer Position führen. Denkbar ist, dass Nahles auf die Klausurtagung der Fraktionsvorstände von Union und SPD Mitte Juni schaut, um dann dort mit politischen Statements zu punkten.
Dabei hat die erste Frau an der Spitze der SPD eigentlich nicht so viel Zeit. Bereits am Sonntag wird sie sich zur Lage in ihrer Partei äußern müssen.