Auf dem Militärstützpunkt Fort Meade im US-Bundesstaat Maryland beginnt am heutigen Montag der Prozess gegen den mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning. Mehr als drei Jahre nach der Festnahme des Obergefreiten soll ein Militärgericht über den umfangreichsten Geheimnisverrat in der Geschichte des Landes urteilen. Manning wird beschuldigt, mehr als 700 000 geschützte Regierungs- und Militärdokumente an die Online-Enthüllungsplattform Wikileaks gegeben zu haben. Der 25-Jährige ist in 22 Punkten angeklagt. Der schwerste Vorwurf, Unterstützung des Feindes, kann ihn lebenslang ins Gefängnis bringen.
In Voranhörungen hat Manning den Verrat zugegeben und gesagt, er habe im Land eine Debatte über die Rolle des Militärs im Irak und Afghanistan „und über unsere Außenpolitik im Allgemeinen“ anstoßen wollen. Mannings Anwälte boten einen Deal an, der ihrem Mandanten immer noch bis zu 20 Haftjahre hätte einbringen können. Die Strafverfolger haben aber darauf bestanden, die schwersten Vorwürfe nicht fallen zu lassen und das Verfahren voranzutreiben. Wie aussichtsreich der Versuch ist, Manning nachzuweisen, dass er den USA schaden oder Feinde wie El Kaida unterstützen wollte, ist unter Experten umstritten. Der Prozess soll mindestens zwölf Wochen dauern, die Anklage will mehr als 140 Zeugen aufbieten.
Mannings Tat spaltet das Land bis heute. Zahlreiche Unterstützer demonstrierten auch am Wochenende vor Fort Meade und in der Hauptstadt für einen Angeklagten, der ihrer Meinung nach Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen enthüllt hat. Bekannt geworden ist etwa das sogenannte Apache-Video aus dem Irak, in dem zu sehen war, wie eine US-Hubschrauberbesatzung unter Gelächter fliehende Zivilisten niederstreckte. Auch zu Afghanistan und den Gründen für die Festnahme zahlreicher Inhaftierter in Guantánamo haben die Unterlagen Fragen aufgeworfen.
Mannings Kritiker sehen in ihm einen frustrierten jungen Mann, der sich auf verantwortungslose Weise an seinem Arbeitgeber gerächt hat: Er habe ja keineswegs nur skandalträchtiges Material weitergegeben, sondern offenbar wahllos möglichst viel. Darunter waren nicht nur vertrauliche Depeschen des diplomatischen Dienstes, die dem Außenministerium später peinliche Gespräche mit internationalen Partnern bescherten. Schwerer wiegt der Vorwurf, Mannings Geheimnisverrat habe Menschenleben in Gefahr gebracht, weil in den Dokumenten Klarnamen von Informanten in Afghanistan auftauchten.
Seine Fürsprecher betonen, dass er das Material nicht frei ins Internet gestellt, sondern Wikileaks zur Auswertung überlassen habe. Weil man auch dort mit der Menge überfordert war, machte das Portal die Dokumente mehreren Medienhäusern über ein Passwort zugänglich. Durch ein Versehen soll dieses Passwort öffentlich geworden sein, worauf sich die Dateien verbreiteten.
Der Prozessbeginn fällt mitten in eine Debatte über das Verhältnis zwischen Sicherheit und öffentlicher Transparenz. Seit bekannt wurde, dass das US-Justizministerium die E-Mail- und Telefondaten zahlreicher Journalisten erhoben hat, um Geheimnisverräter in den Reihen der Regierung zu finden, steht Generalbundesanwalt Eric Holder massiv in der Kritik. In der US-Geschichte ist keine Regierung aggressiver gegen solche „Whistleblower“ vorgegangen als diejenige des aktuellen Präsidenten Barack Obama.