Um den Familiennachzug von Flüchtlingen gibt es neuen Streit. Dieser bringt seit langem schwelende Konflikte wieder an die Oberfläche. Es geht um den Vorwurf, dass die Bundesregierung die Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien behindert.
Zahlreiche Mütter, Väter, Ehepartner oder Kinder von in Deutschland lebenden Flüchtlingen sitzen nach Angaben der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke „unter sehr prekären Lebensbedingungen“ in griechischen Aufnahmeeinrichtungen fest. Doch im April seien nur 70 dieser Angehörigen in Deutschland aufgenommen worden, während es im März noch 370 und im Februar 540 Geflüchtete waren. Dies geht aus einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland hervor. Jelpke will von einer „Deckelung“ auf 70 solcher Umsiedelungen nach dem sogenannten Dublin-Verfahren pro Monat erfahren haben. Dabei bestehe ein Bedarf für mindestens 400 Personen.
Das Bundesinnenministerium wies die Vorwürfe zurück. Für den Familiennachzug aufgrund der Dublin-Regeln gebe es „keine starre Obergrenze“. Ein Sprecher verwies allerdings auf teilweise begrenzte Betreuungs- und Unterbringungskapazitäten in Deutschland. Deutschland habe aus Griechenland im Rahmen von EU-Ratsbeschlüssen bereits rund 2400 Asylantragsteller nach Deutschland umgesiedelt – mehr als alle anderen EU-Mitglieder. Seit September 2016 stelle Deutschland Griechenland 500 Umsiedlungsplätze im Monat zur Verfügung, dabei würden auch „im großen Umfang familiäre Bezüge berücksichtigt.“
Dennoch kritisierte die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl eine „willkürliche und rechtswidrige Kontingentierung“. Familien würden „durch ein Nadelöhr getrieben“ und damit „auf illegale Fluchtwege abgedrängt“. Und die Diakonie forderte: „Familien gehören zusammen.“ Mit Beschränkungen des Nachzugs verlängere die Bundesregierung die „verzweifelte Lage“ der Betroffenen.
Die Frage, wie viele der mehr als eine Million Flüchtlinge, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, ihre Familien nachholen werden, sorgt bereits seit Beginn der Flüchtlingskrise für Diskussionsstoff. Zahlreiche Angehörige von Migranten sind bereits gekommen, 2015 waren es rund 70 000, ein Jahr später bereits 105 000 – Zahlen, die in der Asylstatistik nicht auftauchen, aber in der aktuellen Zuwanderungsdiskussion eine große Rolle spielen. Nach Angaben der Bundesregierung haben insgesamt 267 000 syrische Flüchtlinge Anspruch auf Familiennachzug. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet damit, dass pro Flüchtling 0,9 bis 1,2 Angehörige nach Deutschland kommen.
Für zahlreiche weitere Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ist das Recht auf Familiennachzug derzeit ausgesetzt. Hintergrund ist das im Frühjahr 2016 in Kraft getretene Asylpaket II, durch das immer mehr Asylbewerber aus Syrien nur den sogenannten subsidiären Schutz genießen. Sie erhalten lediglich eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. 2016 etwa erhielten rund 154 000 Menschen diesen Schutzstatus – das entspricht 22 Prozent aller Asylentscheidungen. Laut Gesetz dürften auch sie ihre Familienangehörigen nachholen. Doch der Nachzug ist für diese Gruppe für zwei Jahre ausgesetzt – die Regelung läuft im Frühjahr 2018 aus.
Über ihre Verlängerung wird bereits heftig gestritten, das Thema könnte im Wahlkampf noch zu erbitterten Auseinandersetzungen führen. CDU und CSU wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige auch über das kommende Frühjahr hinaus aussetzen. Rechtsexperten halten es allerdings für fraglich, ob die Verfassung es überhaupt erlaubt, den Nachzug der sogenannten Kernfamilie weiter zu blockieren. Die SPD ist gegen die Verlängerung der Sperre, ebenso die Grünen und die Linkspartei. Die rechtspopulistische AfD dagegen spricht sich in ihrem Wahlprogramm gegen jeglichen Familiennachzug aus.