Darf sie kommen oder darf sie nicht? Die Organisatoren des Evangelischen Kirchentags haben lange überlegt, ob die AfD bei ihnen in Berlin mitdiskutieren darf oder nicht. Dass sie die Frage letztlich mit „Ja“ beantwortet haben, passt einigen Gläubigen nicht.
Mehr als 1500 Menschen haben auf der Website der Initiative „Keine AfD auf dem Evangelischen Kirchentag“ unterschrieben. Sie wollen nicht, dass die Bundessprecherin der Christen in der AfD, Anette Schultner, am Himmelfahrtstag zusammen mit dem Berliner Bischof Markus Dröge und der Publizistin Liane Bednarz auf einem Podium sitzt.
Die geplante Diskussion ist Teil einer Gesprächsreihe, die sich „Streitzeit“ nennt. Das passt. Denn das Verhältnis zwischen den beiden großen Kirchen und der rechtspopulistischen Partei ist schon seit Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 äußerst angespannt.
In den vergangenen Wochen hat sich der Streit noch einmal zugespitzt, nachdem sich Kirchenvertreter an Protesten gegen die AfD beteiligt hatten. Hauptstreitpunkt ist die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die AfD empfindet Asylbewerber und illegale Einwanderer als Bedrohung für Deutschland. Die Kirchen leiten aus dem Prinzip der christlichen Nächstenliebe eine Pflicht zur Hilfe für Flüchtlinge – auch im Inland – ab. Auch durch Kirchenasyl.
Die katholischen Bischöfe raten zwar nicht ausdrücklich davon ab, die AfD zu wählen. Gegen die Positionen der Partei haben sie aber mehrfach Stellung bezogen. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat mit Blick auf die AfD gesagt: „Solche Alternativen brauchen wir nicht.“ Die Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, sagt, sie könne nicht verstehen, wenn Christen AfD wählen.
Auf dem Kölner Bundesparteitag im April erhält der niedersächsische AfD-Landesvorsitzende Paul Hampel donnernden Applaus, als er den Vertretern der katholischen und evangelischen Kirchen politische Einmischung vorwirft. Er fordert alle christlichen AfD-Mitglieder auf, aus der Kirche auszutreten. „In dem Verein sollte keiner von uns mehr Mitglied sein“, ruft er ihnen zu. Vor allem aus den Stuhlreihen, die für die Delegierten der östlichen Landesverbände reserviert waren, erhält er dafür viel Zuspruch.
SPD-Chef Martin Schulz empört sich später über Hampels Einlassungen, spricht von einem ungeheuerlichen Angriff der AfD auf die Kirchen. Die Deutsche Bischofskonferenz will auf Hampels Provokation dagegen lieber nicht reagieren. „Das kommentieren wir nicht“, sagt ein Sprecher.
Was die AfD-Delegierten in Köln zusätzlich in Rage versetzt, ist die Teilnahme von Kirchenvertretern an den Protestaktionen gegen ihren Parteitag – unter dem Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“. Als Hampel vorschlägt, die AfD solle in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl fordern, dass die Finanzverwaltung künftig keine Kirchensteuer mehr eintreiben soll, wird dieser Antrag zwar abgelehnt.
Doch ein zweiter Antrag, der ein Ende der Finanzierung eines Großteils der Gehälter hoher kirchlicher Würdenträger durch die Bundesländer fordert, geht durch.
Im Osten und im Rechtsaußen-Flügel der AfD ist der Anteil derjenigen, die nicht an Gott glauben, zwar recht groß. Doch insgesamt gibt es in der AfD nicht weniger Christen als etwa bei der FDP oder der SPD. In der Anfangszeit gehörten der Partei besonders viele Mitglieder evangelischer Freikirchen an. Sie fühlten sich vor allem vom konservativen Familienbild, das die Partei propagierte, angezogen und von der kritischen Haltung zur Abtreibung, die heute noch von Partei-Vize Beatrix von Storch vertreten wird.
Einige dieser Mitglieder haben die Partei jedoch nach dem Austritt von AfD-Gründer Bernd Lucke 2015 verlassen. Hampel sagt, er wolle sich von Bischöfen nicht „als Nazi beschimpfen lassen“. Dennoch bleibe er auch nach seinem Kirchenaustritt „bekennender Lutheraner“.
Der ehemalige Journalist sagt, bei den Christen in der AfD sei nicht nur die Protestaktion in Köln schlecht angekommen. Zuvor habe in den Reihen der AfDler auch schon die Geste des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, in Jerusalem für Unverständnis gesorgt. Die beiden kirchlichen Würdenträger hatten im vergangenen November bei einem Besuch auf dem Tempelberg und an der Klagemauer aus Rücksicht auf ihre muslimischen und jüdischen Gastgeber ihre Kreuze abgelegt.