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Essen
„Wie mein Sohn zum Terroristen wurde“
Das Gespräch führte Michael Pohl
 |  aktualisiert: 16.10.2016 03:40 Uhr

Vor einem halben Jahr beging ein 16-jähriger islamistischer Deutschtürke in Essen zusammen mit einem gleichaltrigen Komplizen einen Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen. Dabei wurden drei Menschen teils schwer verletzt. Der Jugendliche ist jetzt wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Seine Mutter erzählt, wie sie gegen die Radikalisierung ihres Sohnes gekämpft hat und wie sie dabei im Stich gelassen wurde.

Frage: Frau Yaman, Sie haben sich jahrelang an verschiedenste Stellen gewandt und um Hilfe gesucht, um die Radikalisierung Ihres Sohns zu stoppen. Fühlen Sie sich im Stich gelassen?

Neriman Yaman: Ich habe bei sehr vielen Stellen Rat gesucht. Aber es wurde mir immer gesagt: Wir können nur etwas tun, wenn ihr Sohn zustimmt und mitmachen möchte. Das fand ich schon damals nicht in Ordnung. Wenn ich als Erziehungsberechtigter sage, mein Sohn braucht dringend Hilfe, dann kann man doch nicht sagen, das geht nur, wenn er das möchte. Enttäuscht war ich von den Moscheen, wo ich zuerst um Hilfe gebeten habe.

Darüber schreiben Sie in dem Buch „Mein Sohn, der Salafist“, das gerade erschienen ist. Bei wie vielen Moscheen haben Sie um Hilfe gesucht?

Yaman: Ich war in mindestens 15 Moscheen persönlich vor Ort und habe noch mal so viele abtelefoniert. Ich habe gesagt, mein Sohn ist nicht mehr in unserer muslimischen Welt zu Hause. Er radikalisiert sich und wird dabei von Tag zu Tag schlimmer. Er antwortet mir schon mit Koranversen und lernt Arabisch.

Was hat man Ihnen dort gesagt?

Yaman: Man hat mir immer wieder gesagt, das ist nur eine pubertäre Phase. Yusuf war ja damals 14, 15 Jahre alt. Ich sollte geduldig sein, nicht die Kommunikation abbrechen und ihm unsere Liebe zeigen. Ich habe geantwortet, das mache ich ja sowieso schon. Das ist keine Hilfe. Ich habe mich zigmal mit Imamen gestritten. Wo soll ich mir Hilfe holen? Man hat mir nicht mal jemand anderen empfohlen, wo ich hingehen kann.

Woran lag das Ihrer Meinung nach?

Yaman: Mir wurde immer wieder gesagt, die Gemeinden müssten sich um so viele Jugendliche kümmern, da könne man sich nicht mit einem einzelnen Problemfall beschäftigen. Ich glaube, dass sich da niemand beim Thema Salafismus die Finger schmutzig machen wollte. Aber die Moscheen sind auch definitiv überfordert mit dem Problem. Da muss sich von oben her etwas ändern.

Wie begannen die Probleme mit Ihrem Sohn?

Yaman: Mein Sohn war immer ein sehr auffälliges Kind: Seit seinem Kindergartenalter besuche ich schon Kinderpsychologen und danach Schulpsychologen. Mit zwölf wurde bei ihm die Aufmerksamkeitsdefizit-Krankheit ADHS festgestellt. Mit 14 begann er dann, sich Schritt für Schritt in den Islam und den Salafismus hineinzusteigern.

Wie begann die islamistische Radikalisierung bei Ihrem Sohn?

Yaman: Er begann sich im Internet Videos von dem Salafisten-Prediger Pierre Vogel anzuschauen. Das war neu, dass man auf Deutsch eine Islam-Predigt hören konnte. Aber richtig begonnen hat die Radikalisierung erst später mit der Koranverteilungsaktion „Lies!“.

Wie haben Sie sich damals verhalten?
„Ich hatte nie die Angst, dass er einen Anschlag begeht.“
Neriman Yaman

Yaman: Das hatte anfangs auf mich einen harmlosen Eindruck gemacht. Aber dann habe ich festgestellt, dass er dadurch immer neue Freude dazugewann, die ich nicht kannte. Nachdem er bei der „Lies!“-Aktion mitgemacht hat, besuchte er deutsch-arabische Moscheen. Er wollte in islamischer Kleidung in die Schule gehen. Das habe ich ihm verboten. Und in der Schule gab es massive Probleme.

hr Sohn hat einer jüdischen Mitschülerin gedroht, ihr das „Genick zu brechen“, als im Unterricht das Thema Israel Streit ausgelöst hat.

Yaman: Yusuf wurde angezeigt und zu einer Jugendarreststrafe verurteilt. Der Schulleiter hat mir ein Aussteiger-Programm für Salafisten empfohlen. Dafür war ich ihm unendlich dankbar. Weil das endlich genau das war, wonach ich so lange gesucht habe. Das war das „Wegweiser“- Programm in Bochum.

Wie lief dieses „Aussteigerprogramm“?

Yaman: Zuerst kam eine Sozialarbeiterin zu uns. Sie hat Yusuf erst mal provoziert, um seine radikale Einstellung herauszulocken. Dann kamen zwei junge Männer, die sich als „Wegweiser“ nach einer Art Großer-Bruder-Prinzip um Yussuf kümmerten. Das hat sehr gut funktioniert.

Aber warum ist es dann gescheitert?

Yaman: Ich meine, das lag an dem Freundeskreis, den sich Yusuf im Internet zusammengesucht hatte. Bis er die drei anderen Jugendlichen kennengelernt hatte, funktionierte es. Dann aber verschlechterte sich die Beziehung zu den „Wegweisern“. Und er hat sich mir gegenüber immer mehr verschlossen.

Hielten Sie Ihren Sohn für gefährlich?

Yaman: Nein, überhaupt nicht. Niemals. Glauben Sie mir, ich wäre zur Polizei gegangen. Aber ich hatte nie die Angst, dass er einen Anschlag begeht. Meine Angst war, dass er nach Syrien oder Arabien will.

Wie haben Sie von dem Anschlag erfahren?

Yaman: Yusuf rief mich zwei Tage später in sein Kinderzimmer. Er sagte: „Mama, ich habe ganz, ganz großen Mist gebaut.“ Er hat mir auf seinem Handy eine Online-Nachrichtenseite gezeigt: „Bombenanschlag auf Sikh-Tempel in Essen – drei Menschen verletzt.“ Dann sagte er: „Das haben wir gemacht.“ Für unsere Familie ist eine Welt zusammengebrochen.

Wie ging es für Sie weiter?

Yaman: Wir haben zusammen mit meinen Mann, meinen Eltern und Verwandten am Abend stundenlang geredet. Aber es war für alle klar, dass Yusuf sich stellen muss. Wir haben ihn zusammen zur Polizei gebracht. Seitdem kann ich ihn dreimal im Monat für jeweils 45 Minuten in der Untersuchungshaft besuchen. Im Dezember ist der Prozess. Ich habe sehr große Hoffnung, dass er sich jetzt verändert. Er sagt immer wieder: „Ich habe einen Fehler gemacht.“

Hat sich für Sie durch das Ganze Ihre Einstellung zur Religion verändert?

Yaman: Nein, überhaupt nicht. Ich gehöre zu denen, die sagen, so etwas hat nichts mit Islam zu tun. Das sind Hassprediger, die Menschen so beeinflussen. Man muss solche You-Tube-Kanäle verbieten und gegen Hassprediger schärfer vorgehen. Dieser Irrsinn wird ja nicht nur im Internet verbreitet, sondern auch in arabischen Moscheen. Mein größter Wunsch wäre es, dass man diesen Terror nicht mit dem Islam zusammenbringt. Sehen Sie: Ich bin in Deutschland geboren, und ich bin eine überzeugte Muslima. Ich trage schon immer gerne Kopftuch, weil das für mich dazugehört. Aber jetzt spüre ich, wie die Stimmung immer schlechter wird und ich schon fast Angst habe, mit Kopftuch auf die Straße zu gehen.

Neriman Yaman (37) ist gebürtige Gelsenkirchenerin. Nach dem Gymnasium arbeitete die Deutschtürkin im elterlichen Lebensmittelhandel. Ihr Buch „Mein Sohn, der Salafist – Wie sich mein Kind radikalisierte und ich es nicht verhindern konnte“ ist im mvg-Verlag erschienen (256 Seiten, 19,99 Euro).

 
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