Wolfgang Schäuble war schon viel in seinem langen und bewegten politischen Leben. Der mittlerweile 74-Jährige stand an der Spitze der CDU. Er war Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, war Kanzleramtsminister, Innenminister. Seit bald acht Jahren ist er Finanzminister. Er galt als Kronprinz von Helmut Kohl und wurde in der Vergangenheit immer wieder als Kandidat für die beiden wichtigsten politischen Ämter im Staate, Bundespräsident und Bundeskanzler, gehandelt. Nun könnte, wenn es nach den Vorstellungen von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) geht, ein weiteres Amt hinzukommen. Als Alterspräsident des Deutschen Bundestages wäre es seine Aufgabe, die konstituierende Sitzung des neugewählten Parlaments im Herbst zu leiten. Damit stünde er in einer Reihe mit Politikern wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard (beide CDU) sowie Herbert Wehner, Willy Brandt oder Otto Schily (alle SPD).
Allerdings nicht, weil er das an Jahren älteste Mitglied des Bundestags ist, wie es nach den bislang geltenden Regeln vorgesehen ist, sondern der mit Abstand dienstälteste Abgeordnete. Seit 1972 gehört Schäuble ununterbrochen dem Bundestag an, das sind 45 Jahre. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Bei einer Sitzung des Ältestenrates überraschte Norbert Lammert die Parlamentarier wie die Öffentlichkeit mit diesem Vorschlag, der einen Bruch mit der bisherigen Geschichte des Bundestags wie des Reichstags der Weimarer Republik darstellen würde.
Lammert, der seit 2005 an der Spitze des Bundestags steht und bei der Wahl im September nicht mehr antritt, begründete seinen Vorschlag damit, „dass ein Parlamentarier die erste Sitzung des neugewählten Bundestages leitet, der über ausreichende einschlägige Erfahrung verfügt“. Bei der derzeitigen Rechtslage bleibe es „dem Zufall überlassen“, wer Alterspräsident werde.
Es sei nicht auszuschließen, „dass ein neugewählter Abgeordneter ohne jegliche Erfahrung in der Leitung von Versammlungen oder Sitzungen als Lebensältester in die Situation komme, die konstituierende Sitzung des größten und wichtigsten deutschen Parlaments zu leiten“. Das sei mit dessen Bedeutung nicht vereinbar.
Lammert nannte keine Namen und blieb bewusst vage. Doch sowohl der Zeitpunkt wie die Intention seines Vorstoßes sind klar gegen die AfD gerichtet. Sollte die rechtspopulistische Partei die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, zeichnet sich nach den bisherigen Listenaufstellungen der Parteien ab, dass der niedersächsische AfD-Kandidat Wilhelm von Gottberg, früher CDU-Mitglied und langjähriger Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, der am 30. März seinen 77. Geburtstag feiert, der älteste Abgeordnete wäre und somit als Alterspräsident die Konstituierung leiten würde.
Weitere potenzielle Kandidaten sind der frühere Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms von der FDP, der im November 77 Jahre alt wird, und der AfD-Vizechef Alexander Gauland, der im Februar 76 wurde. Lammert verwies darauf, dass der Bundestag mit einer entsprechenden Änderung seiner Geschäftsordnung kein Neuland betreten würde: Eine entsprechende Regelung sei bereits 1992 im schleswig-holsteinischen Landtag eingeführt worden. Der Bundestag könnte noch in dieser Legislaturperiode die Geschäftsordnung ändern, wofür eine einfache Mehrheit ausreicht.
Sowohl in der Sitzung des Ältestenrates wie in der Öffentlichkeit gab es Kritik an diesem Vorstoß. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass dies eine „Lex AfD“ sei und mit den Mitteln der Geschäftsordnung versucht werde, eine Partei zu benachteiligen.
Die AfD sprach von „Tricksereien“. Der stellvertretende Parteivorsitzende Gauland warf den „Altparteien“ vor, „mögliche Kandidaten einer demokratischen Partei mit billigen Tricks völlig grundlos“ verhindern zu wollen. Ihm persönlich, so Gauland, sei es „vollkommen egal“, wer diesen Titel im September erhalte. Allerdings erfülle ihn die „Lammert-Posse“ mit Genugtuung, da sie zeige, „dass die AfD bereits jetzt schon die Altparteien vor sich hertreibt“. Die SPD sprach sich dagegen für den Vorschlag Lammerts aus.