War es eine Tragödie oder eine Straftat? Knapp drei Jahre nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal müssen sich die Pflegeeltern seit Montag vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 54-jährigen Mann und der vier Jahre jüngeren Frau fahrlässige Tötung und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht vor. Zum Prozessauftakt wiesen die Pflegeeltern die Vorwürfe zurück. Die Heroin-Ersatzdroge habe nicht offen herumgelegen, versicherten sie. Die Verteidiger kündigten am Rande der Verhandlung an, auf Freispruch zu plädieren.
Chantal lebte seit 2008 bei dem Paar in Hamburg-Wilhelmsburg. Die Pflegeeltern waren seit Jahren in einem Ersatzprogramm, in dem ein Methadon-Medikament verabreicht wird. Der Anklage zufolge hatte Chantal am 15. Januar 2012 eine von den Pflegeeltern liegengelassene Methadontablette eingenommen. Sie habe geglaubt, es handele sich um ein Medikament gegen Übelkeit. Einen Tag später war sie tot.
Die Gefahr nicht erkannt
Die Kinder, neben Chantal zwei Kinder des Paares und ein Enkelkind, seien am Abend für Stunden allein gewesen. Der Pflegevater sei erst am späten Abend nach Hause gekommen und habe geglaubt, es sei nur ein Unwohlsein, hieß es in der Anklage. Auch am nächsten Morgen habe er nichts unternommen, obwohl Chantal nicht zur Schule gehen wollte.
Vielmehr habe er am Vormittag die Wohnung verlassen, und das, obwohl er gewusst habe, dass seine Lebensgefährtin erst am Nachmittag nach Hause kommen würde, sagte Staatsanwalt Florian Kirstein. Das Mädchen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit gerettet werden können, wenn rechtzeitig Hilfe geholt worden wäre. In persönlichen Erklärungen, die von den Anwälten verlesen wurden, bedauerten die Angeklagten den Tod des Mädchens. Man habe die Situation falsch eingeschätzt, die Gefahr nicht erkannt. Kurz zuvor habe Chantal nach dem Essen schon einmal über Übelkeit und Juckreiz geklagt. Auch an dem 16. Januar 2012 habe der Vater eine Lebensmittelallergie vermutet.
Die Methadon-Tabletten seien in der Garage versteckt gewesen, beteuerten die Angeklagten. Der Anwalt des Pflegevaters, Udo Jacob, sagte, es sei ein Rätsel, woher Chantal, deren leibliche Mutter auch drogenabhängig sei, die Tablette gehabt habe.
Das Mädchen stand damals unter der Aufsicht des Jugendamts. Der Behörde wurden später schwere Fehler vorgeworfen.
Die Anwälte betonten am Rande der Verhandlung, das Jugendamt habe gewusst, dass die Pflegeeltern in einem Ersatzprogramm für Drogenabhängige gewesen seien. Bis zum 19. Dezember sind sechs weitere Verhandlungstage angesetzt.