Mit dem Rücktritt als britischer Premierminister zog David Cameron die Konsequenz aus seiner Niederlage beim EU-Referendum am 23. Juni. Die wichtigste Aufgabe seiner Nachfolgerin Theresa May wird in den nächsten Monaten sein, den geplanten Austritt aus der Europäischen Union zu regeln und negative wirtschaftliche Folgen zu mildern.
Auch wenn das Votum rechtlich nicht bindend ist, gilt es als ausgeschlossen, dass sich das Unterhaus, das sich mehrheitlich für den EU-Verbleib aussprach, dem Mehrheitswillen der Bevölkerung nicht beugen würde. Zwar entsteht dadurch die absurde Situation, dass die Souveränität des Volks die Souveränität des Parlaments überstimmt, aber die Bedingungen des Referendums waren von Anfang an klar. Den Verfassungsrechtlern der United Kingdom Constitutional Law Association zufolge sei das Abstimmungsergebnis de facto bindend.
Premierministerin Theresa May kann ohne eine Abstimmung im Parlament den Austrittsantrag stellen, heißt es von den Anwälten der Regierung. Nach der formellen Trennungsaktivierung bliebe den Briten ein Zeitraum von zwei Jahren, um den Brexit zu verhandeln. Eine Verlängerung ist nur nach Zustimmung aller anderen 27 Mitgliedstaaten möglich. Während Brüssel auf ein schnelles Handeln hofft, hat May bereits signalisiert, dass sie keine Eile hat. Sie wolle den EU-Austritt Großbritanniens offiziell nicht vor Jahresende erklären. Möglich wäre sogar, dass die Briten die Wahlen in Frankreich und Deutschland im nächsten Jahr abwarten und ihr Ausstiegsgesuch erst Ende 2017 an den Europäischen Rat senden. Das politische Kalkül dahinter? Die Regierung in London will sich erst weitreichende Zusagen der EU sichern, um so nicht in eine „Friss-oder-stirb-Situation“ zu geraten, in der sie keine Verhandlungsspielräume mehr hat.
Sowohl aus der Labour-Partei als auch von den Liberaldemokraten und Grünen wurden Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen laut. Sie berufen sich darauf, dass Großbritannien mit May keinen „demokratisch gewählten Premierminister“ hat. May stellte jedoch bereits vor einigen Tagen klar, dass sie keine vorgezogenen Wahlen ausrufen werde. Diese würden die Instabilität des Königreichs nur weiter verstärken. Frühestens 2020 solle es wieder zu Wahlen kommen. Sollte in den nächsten Monaten jedoch wirklich neu gewählt werden, würde den Sozialdemokraten aufgrund des bitteren Führungsstreits innerhalb der Partei laut Beobachtern eine niederschmetternde Niederlage drohen.
Auch wenn in den Tagen nach dem Referendum zahlreiche Menschen in den sozialen Netzwerken erklärten, sie würden gerne die Zeit zurückdrehen, bereuen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Mori zufolge nur fünf Prozent der Brexit-Wähler, ihr Kreuz bei „Leave“ gesetzt zu haben. Im EU-freundlichen Lager würden sich nun zwei Prozent für einen Brexit aussprechen. Eine andere Umfrage kurz nach dem Referendum ergab, dass sieben Prozent der Brexiteers ihre Entscheidung bereuen.
So aber tun das auch vier Prozent der Menschen, die für den EU-Verbleib gestimmt haben. Insgesamt haben sich 17 410 742 Menschen für den Austritt entschieden, 16 141 241 wollten in der Gemeinschaft bleiben.
Das Thema Immigration und die Kontrolle über die Grenzen war das entscheidende Argument der Brexit-Befürworter. Theresa May hat bereits betont, die Freizügigkeit für EU-Bürger solle nach dem Brexit beschränkt werden. Es gehöre zum Austritt dazu, dass die Reise- und Niederlassungsfreiheit kontrolliert werde. Die Freizügigkeit in der EU ist jedoch auch die Voraussetzung für den Zugang zum europäischen Binnenmarkt und den wollen die meisten Briten nicht aufgeben. May hat sich zudem geweigert, den bereits auf der Insel lebenden EU-Bürgern ein Bleiberecht zu garantieren. Über deren Status müsse mit der EU verhandelt werden wie über alles andere.
Ein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands müsste vom Regionalparlament in Edinburgh beschlossen werden. Damit es rechtlich bindend ist, müsste zudem das britische Parlament in London, wie bereits 2014, zustimmen. Damals hat sich die Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen. Theoretisch könnte Schottland auch auf eigene Faust abstimmen und darauf setzen, dass London das mögliche Ergebnis eines eigenständigen Staats akzeptiert. Doch dann ist noch immer nicht das größte Problem gelöst. Alle verbliebenen 27 Mitgliedstaaten müssten dem EU-Beitritt Schottlands zustimmen. Mit Spanien wehrt sich jedoch ein Land vehement. Dort kämpft Katalonien, die autonome Region im Osten des Landes, ebenfalls für die Unabhängigkeit und Madrid will einen Präzedenzfall, wie Schottland einer werden könnte, unbedingt vermeiden.
Sie wartet derzeit vor allem ab. Es herrsche große Unsicherheit, heißt es von allen Seiten, weshalb sich viele Unternehmen mit Investitionsentscheidungen zurückhalten, genauso wie mit Ankündigungen, ob sie im Königreich bleiben oder aber die Geschäfte auf den Kontinent verlagern. Eine Panik an den Märkten gab es bislang nicht und auch die Banken und Finanzinstitute in der Londoner City verhalten sich ruhig. Gleichwohl hat das Pfund in der vergangenen Woche den niedrigsten Stand seit 31 Jahren erreicht. Es ist nun an der Regierung von Theresa May, darüber zu verhandeln, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwischen Großbritannien und der EU künftig entwickeln könnten. Dabei ist für die Wirtschaft vor allem entscheidend, ob es zu einem sogenannten „Hard Brexit“, also einem EU-Austritt ohne freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt, kommt oder zu einem „Soft Brexit“, mit eben solchem. Die überwältigende Mehrheit hofft auf den weichen Austritt.