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WASHINGTON
Wie geht es in Washington weiter?
Wahlen: US-Präsident Donald Trump hat die Kongresswahl zu einer Abstimmung über sich selber erklärt. Dass seine Republikaner zwar den Senat gehalten, das Repräsentantenhaus aber verloren haben, schmälert Trumps Ego nicht.
Karl Doemens
Karl Doemens
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:38 Uhr

Auf den zwei riesigen Leinwänden rechts und links der Bühne laufen gerade erste Hochrechnungen, die den Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus versprechen, als die Musik im Ballsaal heruntergedreht wird. Es ist 21 Uhr am Dienstagabend, und es wäre wirklich übertrieben, die Stimmung unter den mehreren hundert Gästen als euphorisch zu bezeichnen. Die demokratische Partei hat ihre Unterstützer ins Hyatt Regency Hotel ganz in der Nähe des Kapitols eingeladen, um eine eindrucksvolle „blaue Welle“ zu feiern. Doch den meisten Besuchern, die bei einem Miller Lite oder einem Glas Rotwein die Auszählung verfolgen, dämmert, dass die Welle in der Parteifarbe nicht ganz so hoch sein wird wie erhofft.

Immerhin wird die Frau im blauen Kostüm auf der Bühne mit einem kräftigen Applaus begrüßt. Ihre Stimme ist heiser, und die Ringe unter ihren Augen werden von dickem Make Up übertüncht. „Wir werden siegen! Und es wird ein Sieg für unser Land sein“, ruft Nancy Pelosi in den Saal. Die bisherige Oppositionsführerin im Repräsentantenhaus spult noch einmal die wichtigsten Wahlkampfversprechen herunter, zeigt sich offen für eine Zusammenarbeit mit den gegnerischen Republikanern und lobt dann überschwänglich die „eindrucksvolle neue Generation von Kandidaten“, die den Einzug ins Parlament geschafft haben.

„Wir haben die Energie der Graswurzelbewegung“, schwärmt Pelosi. Da brandet Applaus unter den Zuhörern auf. „Seid Ihr bereit für einen großen Sieg der Demokraten?“, ruft sie in den Saal. „Yeah!“, antworten die Parteifreunde. Irgendwie passen die Anmutung der 78-jährigen Millionärin, die seit anderthalb Jahrzehnten die demokratische Fraktion führt, und ihre Rhetorik nicht so recht zusammen.

Nach ein paar Minuten ist Pelosi wieder verschwunden, und die Gäste werden dem Nervenkrimi auf den beiden Leinwänden überlassen. 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 35 Mandate im Senat sind zu vergeben, dazu noch die Gouverneursposten in drei Dutzend Bundesstaaten. In schwindelerregendem Tempo stürmen bei den Sendern einzelne Zwischen-, Teil- und Endergebnisse herein. Es ist ein wildes Wechselbad der Gefühle.

Anfangs gewinnen die Demokraten Mandate in den Vororten, und ihr zur Lichtgestalt verklärter Hoffnungsträger Beto O?Rourke liegt im konservativen Texas als Senatsbewerber tatsächlich vorn. Dann plötzlich wird er vom Republikaner Ted Cruz überholt.

Die Stimmung schwankt zwischen Enttäuschung und Freude, als immer mehr Abgeordnetenbezirke ausgezählt sind: Die forsche Staatsanwältin Jennifer Wexton hat es im nahegelegenen Virginia geschafft, mit zwölf Punkten Vorsprung die republikanische Amtsinhaberin zu entmachten. Und weiter südlich im Bundesstaat zieht die Ex-CIA-Agentin Abigail Spanberger gegen Mitternacht nach einer Zitterpartie tatsächlich an dem bisherigen Tea-Party-Abgeordneten vorbei und erobert nach einem halben Jahrhundert erstmals einen konservativen Bezirk.

Schließlich besteht kein Zweifel mehr: Trump hat die Mehrheit im Repräsentantenhaus eingebüßt, dort werden künftig die Demokraten das Sagen haben. Noch fehlen einige Ergebnisse, aber die Demokraten haben 220 Sitze sicher und die Republikaner 194.

Trumps Republikaner konnten aber die Mehrheit im Senat dank günstiger Voraussetzungen klar halten. Sie haben wie bislang 51 der 100 Sitze sicher. Es könnten noch mehr werden, weil außer in Florida und Mississippi auch die Rennen in Arizona und Montana offen sind.

Das ist auch die Zeit, als sich nach ungewöhnlich langem Schweigen ein sonst oft nervöser Twitterer aus dem Weißen Haus zu Wort meldet. „Gewaltiger Sieg heute abend. Danke Euch allen!“, verkündet Donald Trump. Offenbar hat er ein anderes Programm geschaut – oder eines, das nur über die Ergebnisse der Senatswahl berichtet. Im Oberhaus mussten die Demokraten vor allem Posten in Bundesstaaten verteidigen, die seit der letzten Wahl ins Trump-Lager gewechselt sind. Niemand hatte ernsthaft mit einem Machtwechsel gerechnet. Dass die Republikaner ihre zuvor hauchdünne Mehrheit aber sogar ausbauen konnten, feiert der Präsident nun als persönlichen Triumph.

So widersprüchlich endet ein Wahlkampf, der in jeder Hinsicht extrem verlief. Nie zuvor war eine Kampagne für den Kongress so teuer und hat das Land dermaßen polarisiert. Und selten hat ein Präsident die Abstimmung über die Mehrheit im Parlament in diesem Maße zu einem Referendum über ein einziges Thema gemacht: seine Person.

Trump ist zuletzt kreuz und quer durchs Land gejettet und hat bei Kundgebungen im republikanischen Kernland vor vollen Stadien und Arenen seine apokalyptische Botschaft mit offen rassistischen Untertönen verbreitet. Sie heißt: „Wir oder die“. Entweder „die größte Bewegung in der Geschichte“ mit seiner Person an der Spitze setzt sich durch, oder die „linksradikalen“ Demokraten, die „Partei des Verbrechens“, der gewalttätige „Mob“ wird die Wirtschaft abwürgen, gewalttätige Migranten-Banden über die Grenzen locken und das Land in den Abgrund stürzen.

„Alles, was wir bislang erreicht haben – und das ist monumental – steht bei dieser Wahl auf dem Spiel“, hatte Trump gemahnt. In diesem Punkt hätte ihm sein Vorgänger Barack Obama nicht widersprochen. Zwei Jahre lang hatte sich der Ex-Präsident mit Äußerungen zur Tagespolitik zurückgehalten, doch in der Endphase dieses Wahlkampfes mochte Obama nicht mehr schweigen. Bei einem Dutzend Auftritte zur Unterstützung demokratischer Kandidaten ergriff er das Wort – so wie am Montag bei einem Überraschungsbesuch bei Wexton in Virginia.

Mit einem verschmitzten Lächeln und einem Karton voller Donuts stand Trump da plötzlich in der Wahlkampfzentrale vor den Toren Washingtons unter den ehrenamtlichen Helfern und machte Scherze, bevor er plötzlich verdammt ernst wurde. „Diese Wahl ist vielleicht die wichtigste unseres Lebens“, sagte er: „Es geht darum, wer wir sind.“

Hier die Botschaft der Achtung und der Toleranz – dort eine Rhetorik voller Hass und Demagogie. Der Kontrast zwischen Obama und Trump könnte nicht größer sein. Doch Obama ist Vergangenheit. Trump sitzt noch mindestens zwei Jahre im Weißen Haus. Die Wähler haben sich für einen heftigen Rüffel, nicht aber für die rote Karte entschieden. Seine rechte Basis steht geschlossen hinter dem Präsidenten. Und die Demokraten müssen als stärkste Kraft im Parlament nun ihre neue Rolle und ihren Kurs bestimmen. Der personelle Aufbruch auf ihren Hinterbänken hat die Spitze bislang nicht erreicht.

Und das Land? Wie wird es weitergehen nach diesem Wahlkampf, der die vorhandenen Gräben zwischen Rechts und Links, Stadt und Land, Jungen und Alten, ja auch Männer und Frauen weiter vertieft hat? John Zogby ist ein Mann mit feiner Ironie und bisweilen erschreckender Nüchternheit. Seit mehr als drei Jahrzehnten analysiert der Politikwissenschaftler aus New York die amerikanischen Wahlen und genießt trotz seines Bekenntnisses zu den Demokraten einen ausgezeichneten Ruf als Meinungsforscher.

Jetzt steht der 70-Jährige hinter einem großen Pult im Foreign Press Center in Washington und schüttelt energisch den Kopf. Ein Journalist hat ihn gefragt, ob Demokraten und Republikaner nach dem Machtwechsel im Repräsentantenhaus nun zusammen die Probleme des Landes lösen werden. „Nein“, antwortet Zogby in schnörkelloser Härte: „Nein. Ausrufezeichen!“ Seine Erklärung: „Die Demokraten wollen Blut, genauso wie die Republikaner Blut wollten. Und Donald Trump wird das tun, was er am besten kann: Er wird sich als das Opfer inszenieren.“

Kurz danach kam es bei der Pressekonferenz von Trump erneut zu einem Eklat mit den Medien: Trump zettelte einen handfesten Streit mit dem CNN-Reporter Jim Acosta an.

„Sie sind eine furchtbare, unverschämte Person“, fuhr der Präsident den in den USA bekannten Reporter an. „Wenn Sie Fake News in die Welt setzen, was CNN tut, dann sind Sie der Feind des Volkes“, fuhr er fort. Der Reporter hatte Fragen zu den laufenden Russland-Untersuchungen von Sonderermittler Robert Mueller gestellt.

Mit Informationen von dpa

So viele Frauen wie nie zuvor als Abgeordnete

Im Repräsentantenhaus der USA werden Prognosen zufolge so viele Frauen sitzen wie noch nie. Nach der Berechnung des Senders CNN ziehen 96 Frauen in die Kammer des US-Parlaments ein. 65 Amtsinhaberinnen konnten ihre Sitze verteidigen, 31 Kandidatinnen wurden neu gewählt. Der bisherige Frauen-Rekord lag bei 85 in den Jahren 2015 bis 2017. Insgesamt hat das Repräsentantenhaus 435 Sitze.

Die klare Mehrheit der siegreichen Frauen trat laut CNN für die Demokraten an.

Die jüngste Frau, die den Einzug ins US-Repräsentantenhaus geschafft hat, ist die 29 Jahre alte Demokratin Alexandra Ocasio-Cortez. Die Einwanderertochter aus dem New Yorker Stadtteil Bronx war im Sommer über die USA hinaus bekannt geworden, weil sie völlig überraschend den alteingesessenen Demokraten Joe Crowley, einen der ranghöchsten Demokraten, in einer Vorwahl besiegt hatte.

Die ersten muslimischen Frauen sind ins Repräsentantenhaus eingezogen: Die beiden Demokratinnen Rashida Tlaib und Ilhan Omar aus den Bundesstaaten Michigan und Minnesota. Die 42 Jahre alte Tlaib stammt aus Detroit, ihre palästinensischen Eltern waren in die USA eingewandert. 2008 war sie als erste Muslima ins Repräsentantenhaus von Michigan gewählt worden. Sie ist Mutter von zwei Kindern. Die 36 Jahre alte Ilhan Omar stammt aus Somalia. Ihre Familie floh vor dem Bürgerkrieg in dem ostafrikanischen Land, als sie acht Jahre alt war. Die Familie lebte zunächst in einem Flüchtlingslager in Kenia, bevor sie 1997 in die USA kam. 2016 wurde die Mutter von drei Kindern als erste muslimische Amerikanerin aus Somalia in das Repräsentantenhaus in Minnesota gewählt.

Die ersten Ureinwohnerinnen konnten sich Sitze in dem Gremium sichern. Die beiden Demokratinnen Sharice Davids und Deb Haaland ziehen als erste Ureinwohnerinnen ins US-Repräsentantenhaus ein. Die 38-Jährige Davids ist Juristin und Tochter einer alleinerziehenden Veteranin. Sie ist auch in anderer Hinsicht eine Pionierin, nämlich als erste lesbische Frau aus Kansas und wohl auch als erste Ex-Profi-Kampfsportlerin im US-Kongress. Die 57 Jahre alte Haaland aus New Mexico ist alleinerziehende Mutter. Auch ihre Eltern waren beim Militär. Die Juristin war Vorsitzende der Demokratischen Partei in ihrem Bundesstaat. dpa

 
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