
Mehr als zwei Wochen nach seinem Skiunfall in Frankreich liegt Michael Schumacher noch immer im künstlichen Koma. Der siebenfache Formel-1-Weltmeister ist kein Einzellfall: 131 Tage lag der frühere Handball-Weltmeister Joachim Deckarm nach einem Zusammenstoß mit einem Gegenspieler im Koma und ist seitdem ein Pflegefall (siehe Text unten). Schumachers Unfall habe ihn „berührt“, sagte Deckarm kurz vor seinem 60. Geburtstag. Er habe Schumacher zwar nie persönlich kennengelernt, wünsche aber seiner Familie, „dass sie einfach nur das Beste hoffen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Im Bezirkskrankenhaus in Günzburg teilen jährlich 200 Patienten Schumachers Schicksal und werden in den Tiefschlaf versetzt. Leiter der zuständigen Neuroanästhetischen Abteilung ist der 62-jährige Dr. Dirk Repkewitz. Im Interview erklärt der Facharzt für Anästhesiologie, welche Folgen ein künstliches Koma haben kann.
Dr. Dirk Repkewitz: Nach ein bis zwei Wochen beendet man in solchen Fällen eigentlich das künstliche Koma. Man versetzt Patienten ja immer dann in solch einen Tiefschlaf, wenn das Gehirn geschädigt und nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt ist. Das ist im Prinzip wie bei anderen verletzten Organen: Ein gebrochenes Bein stellt man auch ruhig, und wenn man einen Herzinfarkt hat, versucht man, das Herz zu entlasten. Dieser Schongedanke steht auch in Bezug auf das Gehirn im Vordergrund. Solange es geschwollen ist, hält man den Tiefschlaf aufrecht. Nach einer gewissen Zeit klingt die Schwellung aber ab, das ist immer so. Und dann beendet man das künstliche Koma so frühzeitig wie möglich.
Repkewitz: Ja. Michael Schumacher hatte durch den Skiunfall offenbar mehrere Blutungen und Schwellungen im Gehirn – und dadurch gestiegenen Hirndruck. Jetzt haben die französischen Ärzte bei ihm ja Folgendes gemacht: Sie haben ihn ins Koma versetzt und erst mal versucht, den Schädel zu entwässern, um dort Druck abzubauen. Dann haben sie den Knochendeckel am Schädel entfernt. Und sie haben seinen Körper gekühlt. Das ist eine weitere Möglichkeit, zusätzlich zum künstlichen Koma den Sauerstoffverbrauch des Gehirns zu senken. Diese sogenannte Hypothermie hat man bei Schumacher wohl gemacht, obwohl sie noch weitere Risiken birgt. Das künstliche Koma ist ja auch schon nicht ganz ungefährlich.
Repkewitz: Je länger es dauert, desto mehr Komplikationen treten auf. Ein Patient im künstlichen Koma schläft so tief, dass man ihn beatmen muss. Sein ganzer Körper ist gedämpft, auch die Schluckreflexe und die Hustenreflexe. Durch die künstliche Beatmung entwickeln die Patienten nach ein paar Tagen eigentlich immer eine Lungenentzündung. Am Anfang funktioniert die Beatmung über einen Narkoseschlauch, den man in die Luftröhre einführt. Das kann man aber nicht länger als ein paar Tage machen, weil es sonst Komplikationen gibt. Spätestens nach zehn Tagen muss man bei den Patienten deshalb einen Luftröhrenschnitt – also eine Tracheotomie – machen. Ich bin mir sicher, dass man auch schon bei Herrn Schumacher eine Tracheotomie gemacht hat.
Repkewitz: Bestimmte Narkotika kann man nicht zu lang geben, das gibt sonst Komplikationen am Herzen. Am Anfang wird oft Propofol gegeben, das Medikament ist ja durch Michael Jackson bekannt geworden. Damit wird der Patient in den Tiefschlaf versetzt. Nach einer gewissen Zeit versucht man, das dann mit Benzodiazepinen fortzuführen. Der Vorteil dabei ist, dass diese Mittel für das Herz schonender sind. Ein Nachteil ist aber, dass es sehr lange dauert, bis der Stoff den Körper wieder verlässt.
Repkewitz: Am Anfang über einen Venenkatheter, aber dann versucht man, auf eine Ernährungssonde im Magen umzustellen. Wenn dadurch die Funktion des Magen-Darm-Trakts aufrechterhalten werden kann, ist das ein positives Zeichen. Das schützt auch vor Infekten. Häufig gelingt es aber nicht, weil die Patienten doch viel Magensaft verlieren oder sich erbrechen. Aber wenn es klappt, ist es sehr gut.
Repkewitz: Ja, sicher. Bei Komapatienten besteht ein hoher Pflegeaufwand. Sie müssen gelagert werden. Wenn die Lungenentzündung kommt, ist es üblich, dass man sie auch auf den Bauch dreht.
Repkewitz: Der Patient könnte sich äußern oder bewegen. Er ist nicht gelähmt, man gibt keine Medikamente wie in einer richtigen Narkose zur Muskelerschlaffung.
Repkewitz: Nein, eigentlich nicht.
Repkewitz: Nein. Diese Patienten können sich an nichts erinnern.
Repkewitz: Man würde merken, dass das Herz schneller schlägt und dass er schwitzt. Das merkt man in einer Narkose ja auch. Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma wie Michael Schumacher überwacht man außerdem die Hirnfunktion. So kontrolliert man zum einen den Hirndruck, zum anderen leitet man Hirnpotenziale ab, um zu sehen, was überhaupt noch an Funktion da ist.
Repkewitz: Indem man die Medikamente reduziert. Wenn das Koma nur ein paar Tage gedauert hat, müsste der Patient nach 20 Minuten die Augen aufmachen. Wenn jemand länger im Koma liegt, kann es Stunden oder Tage dauern, bis er wieder richtig wach wird.
Repkewitz: Nein, das künstliche Koma endet, sobald man die Medikamente weglässt. Bei Patienten mit so schweren Schädel-Hirn-Traumata, wie Michael Schumacher eines erlitten hat, besteht aber natürlich die Gefahr, dass die Schäden im Gehirn so gravierend sind, dass der Patient im Wachkoma bleibt.
Repkewitz: Viele. Pro Jahr sind es sicher 200. Das sind bei uns meist Menschen, die eine spontane Hirnblutung erlitten haben. Medizinisch ist das aber derselbe Mechanismus wie bei einem Unfall. Wir verlieren leider auch viele Patienten.
Repkewitz: Also, überleben tun schon die meisten. Aber sie überleben häufig so, dass sie nicht mehr das Leben führen können, das sie einmal hatten. Wenn ich das erklären muss, bringe ich oft das Beispiel Monica Lierhaus. Das sind die Patienten, die dann in Therapiezentren wie Burgau oder Neresheim weiterbehandelt werden.
Natürliches und künstliches Koma
Unter einem natürlichen Koma versteht man eine tiefe Bewusstlosigkeit, in die Patienten etwa nach einem Unfall, einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt fallen. Darauf, wie es mit Komapatienten weitergeht, haben Ärzte nur wenig Einfluss: Im weiteren Verlauf ist es im günstigsten Fall möglich, dass das Bewusstsein vollständig zurückkehrt, oder im schlechtesten Fall, dass der Hirntod eintritt. Auch Zwischenstadien können eintreten, wie das sogenannte Wachkoma oder das Locked-in-Syndrom, bei dem der Patient zwar bei Bewusstsein, aber fast völlig gelähmt ist.
Im Unterschied dazu können Ärzte ein künstliches Koma jederzeit beenden, da es medikamentös herbeigeführt wurde. Mediziner sprechen daher lieber von einer Langzeitnarkose. Während des künstlichen Komas wird die Körpertemperatur der Patienten auf etwa 33 Grad abgekühlt. Die meisten Organe arbeiten in der Regel selbstständig weiter. Allerdings werden die Patienten künstlich beatmet und über eine Infusion oder Magensonde ernährt. Das künstliche Koma soll das Gehirn nach Unfällen oder Krankheiten entlasten. Insofern kann übrigens auch ein natürliches Koma eine Schutzreaktion des Körpers sein. Beendet wird ein künstliches Koma, indem die Medikamente abgesetzt werden und die Körpertemperatur langsam – etwa um 0,3 Grad pro Stunde – wieder erhöht wird. Text: ben