
Deutschlands Sicherheit wird nicht nur in Fußballstadien und auf Weihnachtsmärkten verteidigt. Im Oktober sind es zwei Wohnungen in Leipzig, die Elitepolizisten der GSG 9 stürmen, weil sich die Hinweise verdichten, dass zwei Deutschtunesier von dort aus einen Anschlag planen. Wenige Tage zuvor wird in Offenbach der 20-jährige Aria L. verhaftet, der in Syrien gekämpft hat und anschließend ein Bild von sich ins Internet stellt, auf dem er vor abgetrennten und aufgespießten Köpfen posiert. In beiden Fällen wissen die Behörden zwar bis heute nicht, welche Gefahr von den Verdächtigen tatsächlich für ihre Mitmenschen ausging – für die Terrorfahnder aber zählt vor allem eines: Sie hatten alle drei auf ihrem Radar.
Ob sie auch ein Kommando des Islamischen Staates wie das in Paris rechtzeitig enttarnt hätten, ist damit allerdings nicht gesagt. Bisher hätten es Polizei und Geheimdienste in Deutschland vor allem mit radikalisierten Einzelpersonen oder kleinen, autonomen Gruppen zu tun gehabt, sagt der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka. Umso wichtiger sei es, sich nun auch auf generalstabsmäßig geplante Attentate wie in Paris einzustellen. Sicherheitsexperten sprechen hier vom Mumbai-Szenario – einer Serie von Anschlägen kurz hintereinander und mit so unterschiedlichen Zielen wie dem jüdischen Zentrum, einem Bahnhof und einem Luxushotel.
Dabei sterben im Herbst 2007 im indischen Mumbai insgesamt 174 Menschen.
Konkrete Hinweise auf bevorstehende Attentate in Deutschland haben die Behörden nach eigener Aussage zwar nicht. Im Falle eines Falles aber, beteuert der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), sei die Polizei gewappnet. Das hätten auch die Analysen von Experten nach den Anschlägen auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt im Januar in Paris gezeigt. Was der Minister aus Mainz nicht sagt: Unter dem Druck, ihre Haushalte sanieren zu müssen, haben Bund und Länder seit der Jahrtausendwende etwa 16 000 Stellen bei der Polizei abgebaut – Personal, das auch nicht durch Soldaten der Bundeswehr ersetzt werden kann.
„Ich glaube, dass uns das aktuell nicht weiterhelfen würde“, betont der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch. Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus wird nach Einschätzung von Münch noch länger bestehen. „Wir gehen nicht von einer kurzfristigen Bedrohung aus, sondern auf unabsehbare Zeit ist das eine zentrale Herausforderung für die Sicherheitslage in Deutschland“, sagte Münch am Donnerstag am Rande der Herbsttagung des BKA in Mainz. Die Zahl potenzieller Terroristen nehme zu, ebenso die internationale Vernetzung. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) hatte am Mittwoch im ZDF gesagt: „Die Terrorgefahr wird längere Zeit bestehen bleiben in Europa und in Deutschland.“ Münch schlug eine nationale Strategie zur Prävention vor. Projekte sollten besser koordiniert werden. Geprüft werden solle, ob dabei auch Konzepte gegen Rechtsextremismus wirksam seien.
Auch der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) hält nicht viel von den Vorschlägen der Union, die Bundeswehr als eine Art Hilfspolizei im Innern einzusetzen: Es gebe eine klare Grenze zwischen militärischen Aufgaben, der Amtshilfe und dem, was die Polizei dürfe, sagte er. „Das können und dürfen Bundeswehrsoldaten nicht.“ Es sei denn, so Bartels, es werde „der innere Notstand festgestellt“. Herbeireden aber solle eine solche Situation nur ja niemand.
Dass Polizei und Geheimdienste angesichts der neuen Bedrohungslage zusätzliche Kräfte benötigen, ist politisch allerdings unstrittig. Die Zahl der sogenannten Gefährder, denen die Behörden auch einen terroristischen Anschlag zutrauen, ist inzwischen auf weit über 400 Personen gestiegen, von denen längst nicht alle rund um die Uhr beobachtet werden können. Vor allem die Bundespolizei arbeitet am Rande der Kapazitätsgrenze, alleine durch ihren Einsatz in der Flüchtlingskrise an der deutsch-österreichischen Grenze haben die Beamten in den vergangenen Wochen mehr als 500 000 Überstunden angehäuft. Nun will Bundesinnenminister de Maiziere insgesamt 750 neue Stellen bei Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz schaffen.
Neue Anti-Terror-Gesetze hält er, zumindest für den Moment, nicht für nötig. Mit den erweiterten Befugnissen für die Dienste und einer Reihe weiterer Maßnahmen, argumentiert er, habe der Bund in den vergangenen Monaten „schon viel bewegt“.
Wozu die Sicherheitsbehörden in der Lage sind, wenn es darauf einkommt, zeigt ihr Schlag gegen die Sauerlandgruppe 2007. Zwei zum Islam konvertierte Deutsche und ein türkischer Glaubensbruder haben in zwölf großen Kanistern eine Wasserstoffperoxidlösung gebunkert, deren Sprengkraft 550 Kilogramm TNT entspricht und mit der sie offenbar an mehreren Orten gleichzeitig Autobomben explodieren lassen wollen. Nach einer monatelangen Observierung gelingt den Ermittlern dabei ein filmreifer Coup: Schon Wochen vor der Festnahme ersetzen Beamte der Polizei in einer Garage heimlich den größten Teil der gefährlichen Flüssigkeit durch Wasser und machen die Bomben damit unschädlich. Mit Informationen von dpa
Messenger-App Telegram sperrt 78 Propaganda-Kanäle des IS
Die in Berlin ansässige Messenger-App Telegram hat 78 Propaganda-Kanäle der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gesperrt. Der Kurzbotschaftendienst habe besorgt zur Kenntnis genommen, dass der IS öffentliche Konten für seine Propaganda nutze, teilte Telegram in der Nacht zum Donnerstag mit. In dieser Woche seien deshalb nach Hinweisen anderer Nutzer 78 Kanäle in zwölf Sprachen gesperrt worden, die mit der Dschihadistenmiliz in Verbindung stünden. Die individuelle Kommunikation möglicher IS-Anhänger ist von diesem Schritt nicht betroffen. Seit 2013 gibt es Telegram. Der Messenger-Dienst wurde von den russischen Brüdern Pawel und Nikolai Durow in den USA entwickelt und hat seinen Sitz in Berlin. Die kostenlose Messenger-App wirbt damit, dass die verschickten Botschaften verschlüsselt vom Absender zum Empfänger gelangen und sich auf Wunsch von selbst zerstören. Seit Kurzem gibt es zudem Kanäle, über die sich – ähnlich wie bei Twitter – Botschaften an ein großes Publikum schicken lassen. Telegram wird vorgeworfen, für Dschihadisten aufgrund seiner Kommunikationsmöglichkeiten attraktiv zu sein. Nach den Anschlägen von Paris wies Durow der französischen Regierung in einem Facebook-Eintrag eine Mitschuld an den Ereignissen zu.
Die Regierung sei genauso verantwortlich wie der IS, da auch „ihre Politik und Fahrlässigkeit“ zu der Tragödie geführt hätten. Die französische Regierung gebe die „unerhört hohen Steuern“ der Bevölkerung für „nutzlose Kriege“ in Nahost und dafür aus, ein „schmarotzerhaftes soziales Paradies für Einwanderer aus Nordafrika“ zu schaffen. Text: afp