Nach den Enthüllungen über breit angelegte Telefon- und Internet-Spähprogramme sieht sich die US-Regierung mit einem ungewohnt offenen Informanten konfrontiert: Der 29-jährige Computertechniker Edward Joseph Snowden enttarnte sich am Sonntag selbst und machte aus seinen weiteren Plänen kein Hehl. Er habe sich in einem Hotel in Hongkong verschanzt und hoffe auf Asyl in einem Land mit starken Freiheitsrechten, sagte Snowden in einem zwölfminütigen Interviewvideo mit dem britischen „Guardian“. Die Zeitung hatte vergangene Woche zunächst ein Telefonüberwachungsprogramm und dann gleichzeitig mit der „Washington Post“ auch das Internetprojekt PRISM enthüllt. Mit ihnen werden im Anti-Terror-Kampf Datenbanken befüllt.
Beide Medien haben inzwischen Snowden als Quelle bestätigt. Der Geheimdienst NSA (National Security Agency) habe ein riesiges Datensystem aufgebaut, das alles und jeden erfasse und anhand von Filtern durchsuchen könne, sagte er dem „Guardian“ in Hongkong. „Nicht jeder Bearbeiter hat die Befugnis, alles ins Visier zu nehmen. Aber ich hatte von meinem Schreibtisch aus definitiv die Möglichkeit, jeden auszuhorchen, von Ihnen oder Ihrem Steuerberater über einen Bundesrichter bis hin zum Präsidenten, wenn ich eine persönliche E-Mail-Adresse hätte.“ Snowden sagte, die Öffentlichkeit müsse entscheiden können, ob diese Strategien richtig oder falsch seien. Den Geheimdiensten werde er auf Dauer nicht entkommen: „Wenn sie dich kriegen wollen, kriegen sie dich auch.“
Dem „Guardian“ zufolge fand Snowden ohne Schulabschluss seinen Weg zu Anstellungen bei den Geheimdiensten CIA und NSA. Schon damals habe er zugesehen, „wie Obama genau jene Strategien ausbaute, von denen ich gedacht hatte, sie würden eingeschränkt werden“. Zuletzt wohnte er mit seiner Familie auf Hawaii, wo er für eine der größten privaten Partnerfirmen der US-Geheimdienste arbeitete – Booz Allen Hamilton. Vor drei Wochen soll er beschlossen haben, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Unter dem Vorwand gesundheitlicher Probleme nahm er frei und flog nach Hongkong.
Kontaktmann Barton Gellman schrieb in der „Washington Post“, Snowden habe ihn gewarnt, das Material lang liegen zu lassen: Die US-Geheimdienste „werden Sie mit Sicherheit töten, wenn Sie denken, dass Sie die einzige Schwachstelle sind, mit der sie die Enthüllung stoppen können“. Unter dem Decknamen „Verax“ habe er Garantien verlangt, dass die PRISM-Unterlagen innerhalb von 72 Stunden komplett veröffentlicht würden. Als die „Washington Post“ sich dazu nicht festlegte, stellte Snowden Kontakt zum britischen „Guardian“ her.
Dass Snowden sich als Aufenthaltsort Hongkong ausgesucht hat, ist für die US-Regierung nicht unproblematisch. Gerade beim Thema Computersicherheit gehört China zu den prominentesten Gegenspielern der USA. Die frühere britische Kronkolonie Hongkong hat in China nach wie vor einen Sonderstatus, die Außenpolitik wird aber in Peking gemacht. Es gibt ein Auslieferungsabkommen mit den USA, das Ausnahmen für politische Straftatbestände vorsieht. China könnte Snowden nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis aber auch ausweisen. Zu Hause droht ihm lebenslange Haft.
Die Regierung von US-Präsident Obama steht unter Druck. Und in Washington selbst gärt noch ein weiteres Thema: Angesichts der Dimension des Verrats hatten viele Beobachter die Quelle in den oberen Etagen eines Geheimdienstes vermutet. Dass es sich statt dessen um den niedrigen Angestellten eines privaten Dienstleisters handelt, wirft unangenehme Fragen auf: Haben zu viele Menschen Zugang zu den Geheimnissen der US-Behörden? Welche sensiblen Bereiche sind inzwischen ausgelagert?