Zu Lande, zu Wasser und aus der Luft – mit dieser Formel wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein Kriegsdrohungen eingeleitet. Das Arsenal, das die türkische Regierung in dem diplomatischen Konflikt mit Deutschland, den Niederlanden oder Österreich auffährt, ist weit subtiler. Von ganz oben herab schwingt Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Nazikeule gegen bis vor gar nicht allzulanger Zeit befreundete Staaten.
Das ist längst nicht alles. Ankara arbeitet mit beleidigenden Pressemitteilungen, rüpelhaften Reden führender Politiker, der Aussperrung von Botschaftern, maßlosen Sanktionsdrohungen oder der gezielten Aufwiegelung der türkischstämmigen Bevölkerung in EU-Staaten gegen ihre Gastländer.
Je mehr und kompromissloser EU-Staaten sich weigern, türkische Politiker für Wahlkampfauftritte in ihr Land zu lassen, desto fanatischer die Reaktionen aus Ankara. Die Befürchtung, dass sich die orchestrierte Empörung bis zum Referendum über eine Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems steigert, scheint real.
Jetzt wird der Frontalangriff aus der Türkei von verdeckten Attacken im Internet flankiert – auch wenn die türkische Regierung für die gekaperten Twitter-Accounts von prominenten und verschiedenen Organisationen bisher nicht direkt verantwortlich gemacht werden kann.
Nazi-Schmähungen
Hacker nutzten Twitter für Nazi-Schmähungen gegen Deutschland und die Niederlande. Auf den gehackten Konten fanden sich Nachrichten mit den türkischen Hashtags #Nazialmanya und #Nazihollanda sowie Hakenkreuz-Symbole. Unter den betroffenen Accounts waren die offiziellen Twitter-Auftritte von Borussia Dortmund und Tennis-Legende Boris Becker, des TV-Entertainers Klaas Heufer-Umlauf, des Senders Pro Sieben und Amnesty International.
Ermutigung für diese Aktion kam von höchster Stelle: Erdogan hatte Deutschland und den Niederlanden wiederholt „Nazi-Methoden“ vorgeworfen, nachdem Auftritte türkischer Politiker in beiden Ländern untersagt worden waren. Twitter bestätigte den Vorfall und erklärte, dass eine Untersuchung eingeleitet werde.
Was kommt als Nächstes? Das fragen sich die Regierungen in den europäischen Hauptstädten der Länder, die einen hohen Anteil an Einwohnern mit türkischem Pass aufweisen. Gleichzeitig verringert sich die Bereitschaft, die Verbalinjurien aus der Türkei abgeklärt hinzunehmen – auch in Deutschland. Von Tag zu Tag vielstimmiger wird der Chor der Stimmen, die fordern, dass auch hierzulande die Bühne für türkische Wahlpropaganda gesperrt wird. Der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel wächst, AKP-Politiker nicht mehr ins Land zu lassen, die bei uns für ein Präsidialsystem werben wollen, das mit den westlichen Vorstellungen von Demokratie kaum noch etwas gemein hat. Der Ton in Berlin hat sich zuletzt merklich verändert. Gestern brachte Merkel ihren Kanzleramtschef in Stellung. Die Botschaft Peter Altmaiers (CDU) an den munter weiter pöbelnden Erdogan war unmissverständlich: Deutschland habe völkerrechtlich die Befugnis, die Einreise ausländischer Regierungsmitglieder zu unterbinden. „Ein Einreiseverbot wäre das letzte Mittel. Das behalten wir uns vor.“ Der Zeitpunkt, diese Drohung scharf zu machen, scheint unaufhaltsam näher zu rücken. Doch kann es wirklich sein, dass in der Türkei nach der beispiellosen Verhaftungswelle gegen Journalisten, Juristen, Streitkräfte und die Polizei jeglicher Widerstand gegen den diplomatischen Amoklauf des Präsidenten erloschen ist?
Gnadenlose Verfolgung
Schließlich befindet sich die Wirtschaft längst in einer Krise. Die Opposition im Parlament tut sich schwer. Der charismatische Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas, befindet sich seit November 2016 in Haft. Die kurdische HDP hatte vor dem Putsch auch bei nichtkurdischen, liberalen Wählern beachtlichen Anklang gefunden. Doch die HDP ist gnadenloser Verfolgung ausgesetzt. Bleibt die größte Oppositionspartei in der Türkei, die Mitte-Links Partei CHP. Aus Angst, von einer nationalistischen Welle weggespült zu werden, unterstützte sie Erdogans aggressiven Kurs gegen Deutschland und die Niederlande. Doch es gibt auch Kritik: Der CHP-Abgeordnete Baris Yarkadas kreidete gestern der Regierung an, die „nationalen Gefühle des Volkes auszunutzen“, um Zustimmung für das Präsidialsystem zu erhalten. Besorgt über Erdogans Kurs zeigt sich der Chef des türkischen Unternehmerverbandes Tüsiad, Erol Bilecik. Immer wieder warnt er vor den Folgen für die türkischen Unternehmen. Die Tourismusbranche leidet bisher noch weitgehend still unter dem erneuten Einbruch der Buchungen für die kommende Saison.
Und die Medien? Unverdrossen kämpft die Zeitung „Cumhuriyet“ gegen Versuche des Staatsapparats, sie mit Verhaftungen und Schikanen zum Schweigen zu bringen. Auch für die verbliebenen regierungskritischen Internetportale wird die Luft immer dünner. Über allem schwebt die Frage: Was passiert, wenn Erdogan sein Referendum gewinnt? Mit Informationen von dpa