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VENEDIG/ROM
Wie die Möwe Italien terrorisiert
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 16.07.2014 19:07 Uhr

Es geschah am helllichten Tag. Gabriella Arditi hat es mit ihren eigenen Augen gesehen. „Wir waren spazieren. Da stürzt dieses Wesen plötzlich herab und schnappt der kreischenden Passantin im Flug das Sandwich aus der Hand. Es war eine Möwe, unglaublich.“ Sofort begab sich die Römerin Arditi mit ihrem Lebensgefährten Guido Berro zum Opfer, um zu helfen. „Die Frau hatte einen großen Schrecken bekommen, aber passiert war ihr zum Glück nichts.“

Szenen wie diese werden in Italien nun häufiger gemeldet. Besonders aus Touristenhochburgen wie Venedig und Rom kommen Berichte über eine Möwenplage, die fantasievolle Beobachter bereits an das Horrorszenario aus Alfred Hitchcocks Film „Die Vögel“ (1963) erinnert. In Venedig hat jetzt der Heimatverein, die Associazione Piazza San Marco, Alarm geschlagen – mit einem regelrechten Manifest gegen die Möwen.

Neue Generation ist aggressiver

Larus michahellis oder Mittelmeermöwe nennt sich der früher nicht als aufdringlich aufgefallene Vogel. Doch mit der Zurückhaltung des gelbfüßigen Königs der Mittelmeerlüfte ist es offenbar vorbei. „Die neuen Generationen der Möwen sind im Vergleich zu vor ein paar Jahren aggressiver geworden und haben keine Angst mehr vor den Menschen“, schreibt der Vereinsvorsitzende Alberto Nardi in einem offenen Brief an die Stadt. Venedig war einst für seine Massen an harmlosen Tauben auf dem Markusplatz berühmt. Doch die müssen in der Lagunenstadt nun um ihr Leben fürchten.

„Die Möwen fallen über die Tauben her, verschlingen sie vor den Augen der Touristen, und oft kann man sehen, wie sie sich mit millimetergenauer Präzision auf die Tabletts der Kellner auf dem Platz stürzen“, heißt es in dem Brief weiter. Nicht selten würden Erwachsenen und Kindern ihre Happen oder gar ihr Eis von den gierigen Vögeln aus der Hand gerissen. Von „Killermöwen“ schrieb schon vor einiger Zeit die eigentlich nicht für künstliche Aufregung bekannte Zeitung „Corriere della Sera“.

Ein „regelrechtes Sicherheitsproblem“ sei die Möwenplage für die Stadt, behauptet der San-Marco-Verein und befürchtet, in Zukunft könnten sogar Passanten verletzt werden.

Auch die Angestellten der Etablissements auf dem Markusplatz bestätigen den beunruhigenden Trend. „Die Möwen sind präpotent, mit den Tauben sind sie fürchterlich“, berichtet Stefano Stipitivich vom „Caffe Florian“. „Da gibt es eine neue Generation, die vor nichts mehr Angst hat.“ Insider berichten, insbesondere das 16 Euro teure Club-Sandwich des „Caffe Florian“ mit Truthahn, Käse, Radicchio, Tomaten, Eiern und Steinpilzcreme habe es den Möwen angetan.

Auch aus Rom werden Horrorszenarien gemeldet. „Ich habe gesehen, wie eine Möwe eine Katze verspeist hat“, schreibt ein nicht näher identifizierbarer Nutzer im Kurznachrichtendienst Twitter. Die „gabbiani“, wie sie auf Italienisch heißen, sind allgegenwärtig.

Der Kern des Problems

In Scharen kreisen sie krächzend über dem Nationaldenkmal an der „Piazza Venezia“ ebenso wie über der Mülldeponie am Stadtrand Roms und ernähren sich von Abfällen und liegen gebliebenen Happen. Und das ist offenbar der Kern des Problems. Während sich die Mittelmeermöwe in den Küstenregionen bisher vor allem von Fischen und Meerestieren ernährte, sind die von Menschen und immer mehr Müll überfüllten Städte für sie ein wesentlich bequemerer Lebensraum. Natürliche Feinde gibt es dort keine – Essensreste, überfüllte Mülleimer und herumliegende Mülltüten dafür zur Genüge.

„Je mehr sie essen, desto schneller vermehren sie sich und werden aufdringlich“, sagt der Verhaltensforscher Enrico Alleva. Der Müll der Zivilisation ziehe Tischgenossen wie Ratten, Raben, Mäuse und Möwen an. „Die Schuld daran haben wir ganz alleine“, so Alleva.

 
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